Seite:Die Gartenlaube (1867) 704.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

fehlte, mit welchem das Original dieser gelungenen Copie so zierlich zu fuchteln pflegte.

Höchst entrüstet verließ Saphir seinen Sitz, stürzte zum inspicirenden Polizeicommissär, protestirte energisch gegen diesen provocirten öffentlichen Scandal und stürmte über Hals und Kopf nach Hause.

In Folge der Aufforderung des Commissars wechselte Melchior die Kleidung und legte statt des hellblauen Frackes – seinen drapfarbenen Oberrock an.

Aber auch Saphir war nur nach Hause geeilt, um die Kleidung zu wechseln und der hämische boshafte Zufall wollte, daß in demselben Augenblick, als er in seinem drapfarbenen Oberrock wieder auf seinem Ecksitz erschien, auch Pfiffspitz in seinem drapfarbenen Oberrock wieder die Bühne betrat. Früher hatte das Publicum nur gejohlt, jetzt fing es an zu brüllen und brüllte fort, bis der Vorhang fiel und Saphir wie der rasende Roland durch alle Straßen stürmte.

Für den nächsten Abend war die Wiederholung der Vorstellung angekündigt. Vergebens waren alle Schritte Saphir’s, sie zu vereiteln; es schien, als ob die Behörde Gefallen fände an dem Spaße. Endlich erbat und erwirkte sich der unglückliche Kritiker beim Erzherzog Palatin eine Audienz. In einer wohlgesetzten Rede bewies er, wie seine Person profanirt und dem Hohne des Publicums preisgegeben worden sei und er sich an keinem öffentlichen Ort mehr zeigen könne, wenn ihn ein allerhöchstes Machtwort nicht gegen solchen Unfug schütze.

„Es ist mit sehr leid,“ sagte der Erzherzog, der ruhig und ohne eine Miene zu verziehen die lange Rede angehört hatte, „aufrichtig, es ist mir sehr leid.“

„O, diese Gnade!“ rief Saphir mit freudestrahlendem Blicke.

„Wie gesagt, es ist mir sehr leid, daß ich gestern nicht mit im Theater gewesen bin.“

„Wie?“

„Ich hätte mich gewiß sehr gut unterhalten, denn der Pfiffspitz muß sehr spaßig gewesen sein.“

„Spaßig?“

„Heut’ bin ich leider auch verhindert –“

„Aber die Vorstellung, kaiserliche Hoheit – die Vorstellung –“

„Nun?“

„Ich habe mir geschmeichelt, daß sie auf allerhöchsten Befehl verboten wird –“

„Wie kann ich denn das Stück verbieten, wenn ich es mir morgen selber anschauen will? Ich muß mich ja überzeugen, ob der Melchior wirklich so famos den Saphir spielt.“

„Kaiserliche Hoheit sprechen mein Todesurtheil.“

„Ach, gehen’s!“ erwiderte der Erzherzog gutmüthig lächelnd. „Sie sind so ein witziger Kopf, der sich über alle Welt lustig macht, was ist’s denn weiter, wenn man sich einmal auch über Sie ein Bißchen lustig macht? Lassen Sie doch den armen Schauspielern auch ein unschuldiges Vergnügen.“

Verzweiflungsvoll verließ Saphir den Audienzsaal. Abends fand die Vorstellung bei noch gesteigertem Zudrange statt, und am nächsten Tage wurde sie auf allerhöchstes Verlangen angekündigt. Es ist buchstäblich wahr, Saphir war damals so schwach, sich Abends auf der Schlagbrücke vor die Pferde der Hofequipage zu werfen und den Palatin nochmals zu beschwören, der Vorstellung nicht beizuwohnen und sie zu verbieten, aber auch dieser Coup de hazard mißlang und er mußte sich in sein Schicksal fügen. Gleich darauf erschien sein satirischer „Argonautenzug“, eine Flugschrift, in welcher er Alles geißelte, was des Schriftstellers kurze Arme damals erfassen konnten, und einige Tage später hatte er sein Vaterland verlassen. Erst nach zehn Jahren erschien er wieder in Pest, aber noch immer als grollender Jupiter, denn als ich ihn fragte, ob er auf der Pester Bühne keine Vorlesung zu halten gedenke, antwortete er ziemlich frostig: „So undankbar werde ich gegen die Pester Bühne und ihr Publicum nie werden.“




Die Familie des Präsidenten Juarez. Ich war an einen Mr. G. in New-York, einen der Geldkönige der fünften Avenue, empfohlen und verdankte ihm eine Einladung zu einer Abendgesellschaft in seinem Hause, bei welcher ich, wie Mr. G. mit einem feinen Lächeln hinzufügte, Gelegenheit haben würde, einige interessante Persönlichkeiten kennen zu lernen. So fand ich mich eines Abends in den eleganten, mit schweren Teppichen belegten, hell beleuchteten Salons inmitten eines Damenflors, welcher durch die eigenthümliche Zusammensetzung seiner Elemente, die verschiedenen an mein Ohr dringenden fremden Sprachidiome, zugleich durch eine unverkennbare Uniformität des Geschmackes hinsichtlich der Toiletten mich anfangs mehr zur ruhigen Beobachtung stimmte.

„Missis Juarez – Sennora Romero – Miß Juarez – Sennor Romero,“ dies die vorstellenden Worte meines liebenswürdigen Wirthes, Mr. G., an dessen Arm ich einer Gruppe gegenüber stand, deren einzelne Persönlichkeiten mir eigenthümlich und interessant erschienen.

Missis Juarez war nämlich Niemand anderes, als die Frau des Präsidenten Juarez; man kann daher denken, wie sehr sie und ihre Begleitung mein Interesse in Anspruch nahm. Frau Juarez ist eine jener Erscheinungen, die, ohne schön und imponirend zu sein, sich schwer vergessen. Mittelgroß, mehr schlank, ist sie von edlem Anstande und einfachen, ruhigen, natürlichen Bewegungen welche stark contrastiren mit der Beweglichkeit, die ich sonst bei Mexicanerinnen angetroffen und die, wie es mir scheinen will, eine specifische Eigenschaft des eingewanderten spanischen Elementes gegenüber der fast apathischen Ruhe und Unbeweglichkeit des eingeborenen Vollblut-Indianers ist, welche derselbe bis auf den heutigen Tag unverändert bewahrt hat. Das Gesicht der Dame ist ein unvollkommenes Oval, in welchem hervorragende Backenknochen und Kinn etwas unschön die sonstige Harmonie des Kopfes stören, da mandelförmige tiefbraune Augen, schön gezeichnete Augenbrauen, eine schöne kühn gebogene Nase und ein fein angelegter Mund ein Ganzes bilden, das nicht verfehlt, eine angenehme Erinnerung zurückzulassen. Das tiefschwarze Haar ist einfach gescheitelt und die fast weiße Gesichtsfarbe sticht merklich von dem gelb-bräunlichen Incarnat der Töchter ab, von denen, außer der Sennora Romero – der Frau des mexicanischen Gesandten in Washington – ich noch zwei jüngere kennen zu lernen das Glück hatte.

Die Präsidentin ist ungefähr vierzig Jahre alt, sehr einfach gekleidet, mehr beobachtend und äußere Eindrücke in sich aufnehmend, als sprechend, und zwar dann in der bilderreichen Art, wie sie dem Indianerstamme eigen. Die Conversation wurde, namentlich von dem größeren Theile der anwesenden Herren, unter denen mir auch der Vicepräsident der Republik Venezuela gezeigt wurde, spanisch geführt; die Damen sprachen theils französisch, theils englisch, doch hörte ich auch Deutsch und Italienisch, so daß in der That ein buntes Conglomerat lebender Sprachen an meinem Ohr vorüberzog, als einige Stunden später die Unterhaltung lebhafter und mannigfaltiger wurde. So cursirte in der Gesellschaft ein Ausspruch der Präsidentin, welcher, sich auf das Schicksal des Kaisers Maximilian beziehend, heute charakteristisch ist, da derselbe einen Rückschluß auf die Gesinnungen des Präsidenten Juarez vor etwa sechs Monaten, also lange vor Maximilian’s Tode, gestattet. Ich muß nämlich bemerken, daß ich Anfang April in New-York war, während bekanntlich die Hinrichtung des unglücklichen Kaisers am 19. Juni zu Queretaro statt hatte.

„Es würde,“ so sagte Frau Juarez, „dem Präsidenten, meinem Gemahl, Schmerz und Betrübniß bereiten, wenn der Geist dieses Prinzen Maximilian von Habsburg über die blumenreichen Pfade meines Vaterlandes dahinschwebte.“ Mit andern Worten heißt das: der Präsident Juarez, auf dessen Seite Anfang April dieses Jahres der Erfolg noch lange in dem Maße nicht war, wie nach Einschließung und Uebergabe des Klosters La Cruz, hatte nicht die Absicht, Maximilian zu tödten, ja es beängstigte ihn – und man kann annehmen, daß diese Frau mit den Intentionen ihres Gemahls vertraut ist – schon damals der Gedanke, Maximilian ermordet zu wissen, und er fürchtete, ganz dem Aberglauben und der beflügelten Phantasie des Indianers angemessen, eben Banquo’s Geist.

Werfen diese wenigen Worte nicht ein charakteristisches Streiflicht auf die später eingetretenen Ereignisse, auf das Zögern des Präsidenten, das Bluturtheil zu unterzeichnen, bis er endlich dem Andrängen Escobedo’s, Romero’s, seines Schwiegersohnes, ja eines großen Theiles der mexicanischen Bevölkerung, nicht mehr zu widerstehen vermochte und er gezwungen war, sich der Macht der herrschenden Persönlichkeiten, vornehmlich wohl aber der öffentlichen Meinung zu fügen?

Inmitten dieser glänzenden Toiletten, unter diesen blitzenden Diamanten und noch blitzenderen Augen waren es doch fast nur ernste, bange Gedanken, die mich beschäftigten, der ich Zeuge gewesen war des Abschieds, den die Bevölkerung von Triest dem geliebten Erzherzoge Max und seiner Gemahlin bei ihrer Abreise zu Theil werden ließ, der ich so manchen lieben Bekannten – heute so manchen Gefallenen – unter den Officieren der österreichischen Legion zählte und so ganz und gar nicht im Stande war, mich auf den starren politischen Standpunkt der Männer zu stellen, welche die Zeit nicht erwarten zu können schienen, in der Juarez’ starke Hand zermalmend die Acteurs dieser Napoleonischen Tragödie treffen würde.

Eduard S…




Kleiner Briefkasten.


M. in B..n. Die Skizze über Contreadmiral Jachmann werden Sie in der nächsten Nummer abgedruckt finden.

D. Red.




Inhalt: Der Habermeister. Eine Geschichte aus den bairischen Bergen. Von Herman Schmid. (Fortsetzung.) – Aus den Gärten und von den Bergen. Nr. 2. Die Weinlese am Rhein. Von Ferd. Heyl. Mit Illustration. – Im Feldlager König Theodor’s von Abessinien. Von M. Th. v. Heuglin. – Wiege und Grab deutscher Kaiserherrlichkeit. Mit Abbildungen. – Blätter und Blüthen: Saphir in „Krähwinkel“. – Die Familie des Präsidenten Juarez. – Kleiner Briefkasten.




Von dem Autor „Das Geheimniß der alten Mamsell“ erschien so eben in zweiter Auflage:


Goldelse.


Roman von E. Marlitt.
Preis 1 Thlr. 21 Ngr.

Daß, nachdem dieser Roman durch die Gartenlaube bereits von Hunderttausenden gelesen wurde, schon nach kaum sechs Monaten seines Erscheinens als Buch eine zweite Auflage nöthig geworden ist und eben eine englische Uebersetzung desselben vorbereitet wird, spricht für Interesse und Bedeutung des Werkes besser als jedwede buchhändlerische Anpreisung.

Leipzig, October 1867.

Ernst Keil.



Verantwortlicher Redacteur Ernst Keil in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 704. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_704.jpg&oldid=- (Version vom 28.2.2017)