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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

suchen für das unwürdige Staatsbild seiner Zeit, Muth für die rastlosen Kämpfe des Tages und Hoffnung auf eine bessere Zukunft. Wo aber konnte das Auge freudiger und stolzer weilen, als auf der großen Hohenstaufenzeit unserer Geschichte? Wir Alle wissen, daß den Jünglingen und Männern der Befreiungskriege die Ehre des Vaterlandes, d. h. seine Selbstständigkeit und Macht nach Außen, höher stand, als die staatsbürgerliche Freiheit im Innern; es war eben die tiefere Schmach gewesen, von welcher sie den deutschen Boden erst mit befreit hatten. Ebendarum mußte aber auch ihren Augen das deutsche Reich im höchsten Glanz da erscheinen, wo der deutsche Kaiser noch als „Herr der Welt“ gepriesen werden konnte und vor seinem Scepter nicht blos alle deutschen Stämme, die Burgunder mit eingeschlossen, sondern auch die slavischen Wenden, Böhmen und Polen, die Ungarn und die Italiener und selbst die Dänen sich beugten. Und dies geschah unter dem gefeiertsten Kaiser der Hohenstaufen und dem einzigen, welchen die Sage, dem deutschen Volke noch bis heute lebendig erhalten hat: dem Kaiser Friedrich dem Rothbart, dessen Wiege in Schwaben stand und als dessen Denkmalsäule im Herzen Deutschlands, über der goldnen Au Thüringens, der graurothe Thurm des Kyffhäuser aufragt, der im Volksmunde selbst „der Kaiser Barbarossa“ heißt.

Ist somit kein Kaiserhaus der deutschen Nation so im Gedächtniß geblieben, wie das der Hohenstaufen – denn nur die Männer der heiligen Vehme auf der rothen Erde und ihre späten Abzweige im bairischen Walde beriefen sich noch auf den Kaiser Karl den Großen –, so tritt dagegen das Schicksal mit erschütternden Wiederholungen auf, die, obwohl durch Jahrhunderte getrennt, dieselben Folgen im Wandel der Herrschaft verheißen. Dem letzten großen Hohenstaufen, dem Kaiser Friedrich dem Zweiten, folgte (1250) das große Interregnum, und sein Enkel, der letzte Hohenstaufe, Konradin, starb auf dem Schaffot, als er in der Fremde sich seine Krone erobern wollte. Die Habsburger wurden die Erben des Reichs; sie herrschten, bis im Jahre 1806 das neue große Interregnum begann, dessen Ende nahe zu sein scheint. Auch sein Konradin ist dem Hause Habsburg nicht erspart worden: im Kampf um eine fremde Krone verfiel der Enkel des letzten deutschen Kaisers der Habsburger dem Blutgericht. Derweil ist von einer anderen Schwabenburg die Reichssturmfahne nach dem deutschen Norden getragen worden, und wie einst die Habsburger nach den Hohenstaufen, so werden die Hohenzollern die Erben der Habsburger nach dem jüngsten großen Interregnum des deutschen Reichs sein.

In solchen Tagen, wie die unserigen, wo die Geschichte unserer Nation bei so wunderbaren Parallelen angelangt ist, erhalten auch die Trümmer der so schicksalverwandten Vorzeit für unsere Theilnahme neue Bedeutung, und darum ist eine Wallfahrt nach der Hohenstaufenwiege und zu den wenigen Stätten, die noch sichtbare Spuren der einst so gewaltigen Männer zeigen, vielleicht eben jetzt an der Zeit.

Ein kundiger Freund in Stuttgart gab mir den Wink, auf die öde Grundfläche des einstigen Hohenstaufenschlosses mich durch Umschau im Lorch und Gmünd vorzubereiten. Ich folgte ihm, und der Leser wird erkennen, daß ich Ursache habe, ihm dankbar für den guten Rath zu sein. – So ließ ich denn beim Beginn des jüngsten Herbstes mich auf der Remsthal-Eisenbahn zu den letzten Resten der größten deutschen Kaiserherrlichkeit tragen. Als die erste Station meiner Hohenstaufen-Wallfahrt begrüßte ich im Vorüberfahren Waiblingen, die alte Stadt, welche schon dem Salischen Königshaus und dann dem Hohenstaufischen Geschlecht den weltgeschichtlich gewordenen Parteinamen der Waiblinger in Deutschland und der Ghibellinen in Italien zubrachte. „Hie Welf!“ – „Hie Waiblinger!“ war der Schlachtruf, der dies und jenseits der Alpen Strömen von Blut vorausging; er hat an der Kraft zweier Nationen fast zweihundert Jahre lang gezehrt. So steht die freundliche Stadt recht unschuldig wie ein Denkmal der alten deutschen Zwietracht da. – Der Name Schorndorfs brachte mir ein liebes Gartenlaubenbild in Erinnerung, das jener tapferen patriotischen Bürgermeisterin, welcher Gott viele Nachfolgerinnen in der Gegenwart bescheeren möge; haben sich doch solche Bürgermeisterinnen im lieben Schwabenland noch in jüngster Zeit als gar nothwendig gezeigt! – Waldhausens Burgthümer führen uns wieder auf Hohenstaufenspuren, denn die Sage läßt dort den Kaiser Rothbart geboren sein. So geheimnißvoll spielt die Sage mit diesem ihrem Liebling, daß sie weder für seine Wiege noch für seinen Sarg bestimmte Stätten duldet: sie schmückt in Schwaben und Thüringen ein paar einsame Berge mit ihrem strahlendsten Kranze.

„Station Lorch!“ – Hier verlassen wir den Bahnzug und betreten historischen Hohenstaufenboden, indem wir den ehemaligen Benedictiner-Klostergebäuden zuschreiten, welche nordöstlich vom Marktflecken den Marienberg krönen. Der Hauptbau ist die Kirche, eine alte romanische Pfeilerbasilica, welcher wir auf unserem Randbildchen einen gothischen Chor angefügt sehen, den ein neuer, schon mehrfach geänderter Thurm mehr drückt, als schmückt. Von den ursprünglichen vier Thürmen der Kirche ist nur einer erhalten, rund und wegen seiner Wendeltreppe von den Meistern geschätzt; er wird „Marsiliusthurm“ genannt, weil schon unter Pipin ein Schwabenherzog Marsilius hier seinen Sitz gehabt haben soll. – Auf den acht Pfeilern der Kirche erkennen wir ebenso viele Wandgemälde von Hohenstaufenfürsten, die aus dem Jahre 1475 herrühren, stark verblichen, oft restaurirt sind und Folgendes darstellen: rechts am Eingang Herzog Friedrich der Erste und seine Gemahlin Agnes, die Stifterin der Kirche; dann weiter deren Sohn Friedrich der Einäugige; hierauf Friedrich Barbarossa und sein Sohn Heinrich der Sechste, endlich Kaiser Friedrich der Zweite, dann sein Sohn Konrad der Vierte, zum Schluß Konradin und über dessen Bild seine Hinrichtung zu Neapel, und zwar durch ein Fallbeil.

Von dem frommen und getreuen Abt Nicolaus von Arberg, welcher die Herstellung dieser Gemälde besorgte, sehen wir ein zweites Zeugniß seiner Hohenstaufen-Verehrung in einem schönen, steinernen Sarkophag in gothischem Stil, den uns unsere Illustration im Langhaus der Kirche zeigt. Auf dem Deckel ist das Wappen der Hohenstaufen ausgehauen. Die Umschrift sagt uns, daß dies Kloster im Jahre des Herrn 1102 gestiftet sei und hier Herzog Friedrich von Schwaben begraben liege: – „er und sin Kind – diß Klosters Stifter sind – sin Nachkömmling ligent och hi by – Gott in allen gnädig sy. – Gemacht 1475.“ – Wir stehen hier vor und auf einem großen Hohenstaufengrab, in welchem ein zu Staub vermodertes Geschlecht ruht, in dessen Nähe noch heute uns der Hauch einer gewaltigen Zeit berührt. Eine in röthlichen Fels gehauene Gruft bewahrt die Gebeine des Stifters und anderer seines Geschlechts, während unterm Chor der Kirche in ursprünglich fünf Grüften begraben liegen: König Heinrich, Barbarossa’s Sohn, Gertrud, Konrad’s des Dritten Gemahlin, die Kaiserin Irene, Philipp’s von Schwaben Gemahlin, und deren Tochter Beatrix und noch viele andere Hohenstaufenglieder. Als Abt Nicolaus im Jahre 1475 diese verschiedenen Gräber öffnen ließ, soll er noch Köpfe mit wohlerhaltenen blonden Haaren gefunden haben.

So lange Mönche den Dienst der Klosterkirche verrichteten, d. h. ehe der Bauernkrieg seine Brandfackel auch hierher trug, wurden alljährlich am Tage des heiligen Antonius, dem Gedächtnißtag der Stiftung, die Gräber im Chor, die Grüfte und der Sarkophag mit Leichentüchern behängt, und Nachts in der zweiten Stunde erschallten Gesänge und Gebete feierlich an der Ruhestätte dieser Hohenstaufen.

Unsere nächste Station ist die Johanniskirche zu Gmünd. Das Dampfroß reißt uns fort durch das freundliche Land, wir erblicken vor Gmünd rechts drüben den zweigipfeligen Rechberg und flüchtig auch den Hohenstaufen. Durch die Gassen der ehemaligen freien Reichsstadt Schwäbisch-Gmünd, wie sie der Unterscheidung von ihren bairischen und österreichischen Namensschwestern wegen sich vorsichtig schreibt, eilte ich zum Marktplatz und seinem Hauptschmuck, der schönen Johanniskirche in romantisch-gothischem Uebergangsstil und mit dem merkwürdigen Thurm, der vom Volke der „Schwindelstein“ genannt wird. In dieser Kirche zeigt ein uraltes Bild uns die Burg Hohenstaufen, wie sie durch Jahrhunderte auf ihrem Berg gestanden. Wer desselben Wegs zieht, der präge sich dieses Bild (das auch unserer Illustration angefügt ist) recht tief ein, es wird ihm die Phantasie wohlthuend beschäftigen, wenn er nun endlich zum Hohenstaufen selbst hinüberwallt.

Rüstige Wanderer ersteigen von Gmünd her gleich das langgestreckte Gebirg, um von der Wallfahrtskirche der höheren Rechberggipfel aus in die Lande zu schauen und dann an den Trümmern des Schlosses Hohenrechberg vorüber, das erst im Jahr 1865 durch Feuersbrunst zur Ruine ward, auf dem Gebirgskamm hin zum Hohenstaufen zu gelangen. Ein entzückender Fernblick

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verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 702. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_702.jpg&oldid=- (Version vom 5.3.2017)