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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

Aus den Gärten und von den Bergen.
Nr. 2. Die Weinlese am Rhein.


Er kommt zur Welt auf sonnigem Stein,
Hoch über dem Rhein, hoch über dem Rhein,
Und wie er geboren, da jauchzt überall
Im Lande Trompeten- und Paukenschall;
Da wehen mit lustigen Flügeln
Die Fahnen von Burgen und Hügeln.



Der Spätherbst zieht heran, – die eigentliche Erntezeit am Rheine – die Zeit, in der hier ein doppeltes Leben, ja, eine neue Zeitrechnung beginnt; denn aller Wohlstand des Landes, alle Behaglichkeit des bürgerlichen Lebens und Verkehrs erwächst dem Rheinland aus den Erfolgen und Erträgnissen des Herbstes.

Jahrhunderte lang haben die Rheinlande nicht so gesegnete Zeiten gesehen wie seit dem Jahre 1857. Sechs Jahrgänge – sechs Weinernten – gaben einen so köstlichen Rebensaft, daß den Kennern der edlen Bacchusgabe die Wahl wahrhaft schwer wurde, da jeder der verschiedenen Jahrgänge (1857, 58, 59, 61, 62, 65) seine besonderen Vorzüge hatte – es scheint fast, als sollten sie sich gegenseitig ergänzen. Während sonst seit mehr denn fünfzig Jahren durchschnittlich nur alle eilf Jahre ein vorzüglicher Wein die Arbeit des rheinischen Winzers lohnte, während sonst wohl die Noth und Sorge im bescheidenen Hause des Weinbauern überhand nahm, erfreut sich jetzt das Rheinland, absonderlich das Rheingau, eines Wohlstandes, wie er seit Decennien hier nicht einkehrte, und deshalb lächeln uns überall heitere, lebensfrohe Gesichter entgegen, fröhliche Grüße und Jauchzer heißen uns willkommen und die sprüchwörtliche muntere Laune des Rheinländers heimelt uns in erhöhtem Maße an – denn wieder steht die Ernte vor der Thür.

Mag man das Feuer der spanischen, ungarischen, Madeira- und Capweine preisen, mag man die Burgunder- und Medocweine ob ihrer eigenthümlichen Wirkungen vorziehen – der edelste, poetischste und anregendste der Weine bleibt der göttergewürzte Nektar des Rheines. Es giebt keinen anderen Rebensaft, der sich der begeisternden Wirkung, der herrlichen „Blume“ (Bouquet) des rheinischen Weines rühmen könnte –

Und wüßten wir, wo Jemand traurig läge,
Wir gäben ihm den Wein!“ –

Besuchen wir darum einmal gemeinschaftlich die Quellen, an denen man die „göttlichen Tropfen“ gewinnt, wir meinen die rebengeschmückten Berge des Mittelrheines mit ihren grünen, schlanken Trostesspendern, die der Hand des Winzers ungeduldig zu harren scheinen. Wir verlassen die Eisenbahn und sind mit einem Schritt mitten im Herzen des großen deutschen Weingartens, mitten in der „gleichsam durch Gärten unterbrochenen Uferstadt des majestätischen Rheinstroms“ – und kaum haben wir das scharf am Ufer herziehende Eisenbahngleis überschritten, so tönt uns schon der hundertstimmige Gesang fröhlicher Winzerinnen und Winzer entgegen. Auf der ganzen Straße, die wir in der Richtung nach den Weinbergen berühren, herrscht reges Leben. Mostwagen und Winzer mit Kannen und Bütten ziehen hin und her. Ein Trupp rüstiger, blondhaariger Mädchen aus den benachbarten Ortschaften verläßt eben einen bereits abgelesenen Weinberg und begleitet uns bergauf.

Von der fröhlichen Stimmung, welche diese Leute trotz ihres kärglichen Verdienstes schon am frühen Morgen beseelt, hat der Norddeutsche keinen Begriff. Es scheint, daß der Wein schon am Stock und während er gelesen wird, eine fröhliche Stimmung zu erzeugen im Stande ist. Zwei vermögende Weinhändler und Weinbergsbesitzer gehen vor uns her – vielleicht zur Zeit die Dienstherren der jauchzenden Mädchen? – das gilt indeß gleich. Sie werden geneckt und „geutzt“ so recht nach Noten, denn während einzelne der Winzerinnen ihren Scherz mit den Herren treiben, singt der große Haufen wohlklingende, dreistimmige Volkslieder.

Die Herren laden uns ein, den nächsten Weinberg mit ihnen zu besuchen. Viel Umstände pflegt man in der Lesezeit und auch sonst wohl am Rhein mit derartigen Einladungen nicht zu machen. „Gut gemeint und herzlich gegeben“ ist des Rheinländers Wahrwort.

Wir treten ein. Eine Gruppe fröhlicher Mädchen, Frauen und munterer Kinder, die in der Lese gleichfalls rüstig Hand anlegen müssen, empfängt uns. Ein Blick hinunter auf den herrlichen Strom mit seinen lachenden Ortschaften, ein Blick auf die frischen fröhlichen Gesichter, und unsere eigene Stimmung giebt der heiteren der Winzerinnen nichts nach.

Vor uns, auf sanft anstrebendem Hügel, in fast peinlicher Ordnung und in gleichmäßigster Entfernung von einander, stehen sie, die leibhaftigen, lebendigen Thyrsusstäbe, halb schon der rauheren Witterung ihren Tribut zollend, denn zum Theil haben sie das Saftgrün ihres Blätterschmuckes mit einem intensiven Gelb vertauscht. Ueber die „Wingerte“ (Weingarten) hinaus ragt der zinnengeschmückte Bergfried eines mittelalterlichen Burgrestes. Eine der Winzerinnen kommt uns entgegen und reinigt uns mit Weinblättern die Stiefeln – eine Sitte, die sich in den rheinischen Weinbergen jeder Eindringling gefallen läßt, gefallen lassen muß; des Pudels Kern – eine klingende Gabe – scheucht die blauäugige Dirne wieder hinweg. Man sieht es den Leuten an, es ist ihnen nicht um das unbedeutende Geldstück, es ist ihnen nur um den „Utz“ zu thun, denn ein fröhliches Gelächter aller Winzerinnen bekommen wir in den Kauf, und es contrastirt das verblüffte Gesicht des mit der Sitte nicht vertrauten Fremdlings wahrhaft komisch mit dem Jubel der Neckenden.

Wir wandern hin und her auf dem Berge, hie und da zwar in Gefahr unsere Fußbekleidung im erweichten Boden zu verlieren, aber heiter angeregt durch die wechselnden Liedervorträge und durch einzelne treffliche Stimmen, die, zwar höherer Bildung entbehrend, in ihrer Frische immerhin mancher Sängerin von Fach beneidenswerth erscheinen dürften. Die Lieder selbst – dreistimmig und gut geübt – beziehen sich auf den Rhein und das rheinische Leben. Man hört es den Vorträgen an, daß sie von dem Ortsschulmeister oder sonst einem musikalischen Talent des betreffenden Rheindorfs – vielleicht in den langen Winterabenden beim Spinnrocken – den Mädchen so trefflich einstudirt wurden. –

Der rheinische Winzer sieht zumeist auf die Güte des zu erzielenden Weines und zwar durch Pflanzung edler und dem jeweiligen Boden entsprechender Rebsorten, durch sachgemäße Pflege des Weinstockes und richtigen Schnitt der Reben, durch häufige Bodenlockerung, durch Spät- und Auslese und genügende Düngung, welche letztere wieder genau den Bodenverhältnissen entsprechen muß. Die Pflege des Weinstockes hat sich zu einer, wir möchten sagen, Fachwissenschaft herausgebildet, und eben dieser Fachwissenschaft verdankt der Rhein die Veredelung seiner Gewächse und seines Weines.

Von Einfluß ist die örtliche Höhe der Weinberge. Im mittleren Rheinlande erheben sich die Wingerte nicht mehr als hundert und zweihundert Fuß über der Thalsohle, während sich dies Verhältniß in fast allen andern weinbautreibenden Gegenden Deutschlands wesentlich ungünstiger stellt. Bei Bacharach beispielsweise beginnt der Weinbau ca. zweihundert Fuß über Meer und erhebt sich am Mittelrheine bis zu nahe fünfhundert Fuß; im eigentlichen Rheingau ist die oberste Grenze ungefähr achthundert Pariser Fuß über dem Meere und fünfhundertfünfundfünfzig Fuß über dem mittleren Wasserstand des Rheines. Der Boden alter und vielbebauter Weinberge wird, oft erst nach mehrjähriger Ruhe und Bepflanzung mit anderen Früchten, bei neuer Anrodung (Rottung) häufig bis zehn Fuß tief gebracht und der weniger erschöpfte Urboden auf die Oberfläche gefördert. Terrassenbau und Mauerungen – nothwendig zum Schutz vor Winden und Besserung der Sonnenlage – treten hinzu, und die Kosten der Anlagen eines Morgens belaufen sich häufig auf zweitausend Gulden und mehr. Im Rheingau wird nicht selten bei der Rottung der Boden in Letten, Kies und Sand gesondert und dann gleichmäßig in dem Wingert vertheilt. Dabei übt die geringste Abweichung der Lage einen so bedeutenden Einfluß auf den Wein selbst aus, daß die Preise des Gewächses auf benachbarten Weinbergen um Hunderte von Gulden differiren. Der Boden selbst ist in hohem Preis, indeß nach Lage und Beschaffenheit sehr verschieden. Im Marcobrunn wurden seiner Zeit für die Quadratruthe (fünfundzwanzig Quadratmeter) hundert Gulden bezahlt, in ungünstigeren Lagen indeß nur fünfzehn bis zwanzig Gulden, und so schwankt der Preis für Rebengelände je nach der Ertragsfähigkeit.

Chronistische und verbürgte Nachrichten lassen in Bingen schon

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verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 694. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_694.jpg&oldid=- (Version vom 5.3.2017)