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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

„Mich trifft der Schlag! Und wegen was denn?“

„Das weiß ich nit recht … aber sagen hab’ ich hören, es wär’ wegen dem Waldstreit von der Osterbrunner Gemeind’ und von den Westerbrunnern…“

„Die Sach’ ist ja aus; sie haben ja einen prächtigen Vergleich geschlossen, der Aichbauern-Sixt hat ihn zuwegen ’bracht…“

„Just wegen dem Vergleich geht’s her … der Herr Amtmann hat an die Regierung einbericht’ und hat zu den Bauern gesagt, er hätt’ den Vergleich sehr gelobt und hätt’ dafür gesprochen, daß er genehmigt werden sollt’; die Bauern aber, denen viel d’ran gelegen ist, daß die Sach’ recht geschwind’ geht, haben gemeint, es könnt’ allemal nit schaden, wenn ein Bissel nachgeschoben würd’, und so haben sie eine Deputation in die Stadt hinein geschickt; da sind s’ aber schön an’kommen auf der Regierung, da wär’ ihnen bald der Kopf abgerissen worden: da hat’s geheißen, sie wären rebellische Unterthanen, und da ist’s heraus ’kommen, daß der Bericht gegen den Vergleich gelautet hat…“

„Wär’ nit übel, die G’schicht,“ sagte der Wirth immer unbehaglicher, „wenn so was passiren thät, da wollt’ ich schon gleich, ich wüßt’ ein Mausloch, daß ich mich drein verkriechen könnt’ die nächsten acht Tag’… Aber jetzt einmal fort,“ schloß er, zu den Uebrigen gewandt, „daß wir in’s Bett kommen, so lang die Sach’ noch gut ist … laßt’s Euch gesagt sein, daß mir Keins ein Licht brennt und Jedes eingesperrt bleibt in seiner Kammer… Wo ist denn die Franzi, die Kellnerin, daß man sie nicht zu Gesicht kriegt? …“

Auf die Erwiderung einer der Mägde, daß dieselbe längst in ihrer Stube sich eingeschlossen habe, schickte sich der Wirth zu gehen an, als der letzte der Knechte vom Stalle hergehuscht kam. „Pst!“ rief er, „ich glaub’ sie kommen, Herr … ganz schwarz zieht’s vom Wald da herüber…“

„So halt’ Euch still und macht mir Keins ein’ Schnaufer – vielleicht zieh’n s’ vorbei.“

„Ich glaub’ nit, Herr … sie kommen auch von der andern Seiten: es ist, als wenn sie auf’s Haus zu wollten!“

„Was?“ rief der Wirth und sank rathlos auf die Bank. „Mir fallen all’ meine Todsünden ein! Zu mir kommen s’? Das ist ja gar nit möglich!“

„Ob’s möglich ist, weiß ich nicht,“ sagte der Knecht, „aber da sind sie schon…“

Im Augenblick brach vor dem Hause wie mit Einem Schlage ein so betäubender Lärmen los, daß er wohl geeignet war, das verstockteste Gewissen aus dem Schlafe zu reißen und auch ein verhärtetes Gemüth erbeben zu machen. In das wüste Geschrei von ein paar hundert rauhen Männerstimmen mischte sich das Dröhnen von Eisenbecken und Blechdeckeln, die wie Heerpauken geschlagen wurden; Schellen klingelten, Glocken läuteten, Kuhhörner brüllten; Schuß auf Schuß krachte darein, als wäre in der Nacht ein wildes Gefecht entbrannt, und über das Klirren und Klappern und Rasseln hinaus schrillte ein so helles markdurchdringendes Pfeifen, daß es wohl begreiflich war, wenn das Landvolk vermeinte, die Hölle habe eine Schaar Teufel losgelassen und feiere eines der Feste, welche Pater Kochem im „Goldenen Himmelsschlüssel“ so auferbaulich beschreibt. Ueber der tobenden Schaar lag die vollständigste Finsterniß; eine einzelne Laterne schimmerte in der Mitte: nach allen Seiten hin aber war das Haus und der Platz mit Wachen besetzt, welche mit scharf geladenen Büchsen gespannten Hahns jeden Ankommenden zurückwiesen und deren Aufruf sich wohl Niemand widersetzt haben würde, denn es war bekannt, daß sie kein Bedenken trugen, dem Zudringlichen statt der Worte eine Kugel entgegen zu schicken.

Das Geschrei hatte zuerst nur in unarticulirten Rufen bestanden; allmählich wurden bestimmte Laute hörbar, verständliche Worte ließen sich vernehmen und bald brüllte es deutlich aus hundert Kehlen: „Heraus, Franzi ’raus! Kellnerin ’raus!“ Ein scharf gellender, Alles übertönender Pfiff erscholl; plötzlich verwandelte sich der Lärmen in die tiefste Grabesstille und eine mächtige, weithin klingende Stimme rief:

„Die Haberer sind da zum Haberfeldtreiben,
Ein Jedes im Haus soll ruhig bleiben:
Habt Acht auf’s Feuer und auf’s Licht,
Dann Niemanden ein Schaden g’schicht,
Zuvor aber wollen wir verlesen,
Ob Alle richtig da gewesen!“

Dem alten Brauche gemäß wurden nun die Anwesenden alle aufgerufen, aber unter lauter fremden, meist berühmten und angesehenen Namen, vermuthlich, um durch die Bedeutsamkeit der Geladenen der Versammlung selbst ein größeres Ansehen zu geben. Es waren Namen aus den ältesten Zeiten wie aus der Gegenwart, aus der Nachbarschaft wie aus den entlegensten Ländern und Orten; der Landrichter von Tölz, der Verwalter von Benedictbeuren, der Forstner von Bayerbrunn wurden aufgerufen und jedesmal antwortete ein kräftiges „Hier!“ Das Volk erzählt sich, wenn auf einen der aufgerufenen Namen das „Hier“ ausbliebe, wäre das ganze Treiben ungesetzlich und die Schaar würde augenblicklich, ohne einen weiteren Laut, auseinander stäuben; dennoch weiß es damit die andere Sage zu verbinden, daß immer um Einen mehr anwesend seien, als verlesen würden, und dieser Eine sei Niemand Anderes, als der Teufel selbst. Der Prälat von Weyarn, einem längst säcularisirten Kloster, kam an die Reihe, dann der Prinz Eugen, Kaiser Joseph und der Schmied von Kochel, Napoleon und der Frühmesser von Garching; zuletzt kam noch die Aufforderung an Kaiser Karl, auch zugegen zu sein und schließlich das Protokoll mit zu unterschreiben. Ein neuer Ausbruch des Lärmens und Schreiens folgte, wie ein Tusch einer höllischen Musik, vermischt mit neuem, verstärktem Rufen nach der Verfehmten, welcher das Strafgericht gelten sollte.

Franzi war indessen schon lange ruhig in ihre Schlafkammer gegangen, hatte sich ausgekleidet, ihr Nachtgebet gesprochen und war eben daran, das geweihte Wachsstöcklein auszulöschen und zu Bett zu gehen, als das Getöse losbrach. Erst horchte sie verwundert auf, aber sie konnte nicht lange im Zweifel sein, weder was es zu bedeuten habe, noch wem es vermeint war. Dennoch war ihr Anfangs zu Muth, als habe sie schon geschlafen und sei aus einem wüsten Traume aufgefahren und wisse sich eben nicht zurecht zu finden, ob sie wache oder jetzt noch in den Bildern des Traumes befangen sei. Bald aber kam ihr das klarere Besinnen und mit ihm ein so tiefes Gefühl unsäglicher Kränkung, des tiefsten Schmerzes und der vollsten Hülflosigkeit, daß ihr die Kniee brachen; sie knickte am Bette nieder und drückte das thränenüberströmte Angesicht schluchzend tief, tief in die Kissen. Aber in einem starken Gemüthe, wie das ihre, konnte die Wehmuth nicht von langer Dauer sein – der in ihre Seele gestoßene Stachel hatte die weiche Umhüllung durchdrungen und glitt ab an dem innern festen Kern, an dem Bewußtsein der Unschuld und der unverdienten Schmach. Der Gedanke schnellte sie mit Federkraft empor und stählte ihr das Herz; die Wehmuth wurde zum Groll und das leidende Gefühl der Kränkung zum aufflammenden Zorn. Sie stürzte aus der Kammer auf den Gang und hatte im Nu die Thür entriegelt und aufgerissen, welche zu dem kleinen Altane im Hausgiebel führte. Sie fühlte nicht, wie ihr die eisige Nachtluft entgegenströmte und sie am Gewand erfaßte und an dem halb aufgelösten Haar; sie kam eben recht, zu hören, als der Rugmeister beim Scheine der emporgehaltenen Laterne zu lesen begann:

„Bei ein’ Madel woll’n wir Haberfeld treiben
Und ihr das Sünden-Register schreiben;
Wir wollen’s der Gemeind’ und dem Gau erzähl’n,
Wie sie lügen kann und sich ehrbar g’stell’n:
Kaum daß sich ein Bub ’traut, sich an sie z’ wag’n,
Thut sie wie die Katz’ ihre Jungen vertrag’n,
Sie denkt sich, der Kuckuck versteht’s auf’s Best’,
Und legt ihre Eier ein’ Andern in’s Nest…“

Länger vermochte Franzi nicht, an sich zu halten, das Blut schoß ihr in’s Gehirn und vor die Augen, daß es um sie brauste wie Wassersturz und wie ein rother Flor ihren Blick umzog. „Was wollt’s von mir?“ rief sie mit schallender Stimme hinab, daß der Vorlesende verblüfft inne hielt. „Wer ist da, der was von der Franzi will? Ist das Eure ganze Kunst, daß Ihr hundertweis’ daher kommt, zu ein’ einschichtigen, armen Madel, das nichts hat, als sein’ Ehr’ und sein’ guten Namen? Wenn Ihr ’was habt gegen mich, so kommt nit bei der finstern Nacht und mit verstelltem Gesicht, kommt offen beim hellen, lichten Tag und wie Euch Gott g’schaffen hat! Ist Keiner unter Euch, der die Schneid’ hat dazu und das Herz? Dann seid Ihr Lügner alle miteinander und Verleumder! Dann geb’ ich’s Euch auf Euer Gewissen, was Ihr mir anthut, und wenn’s auf der Welt kein Recht mehr giebt und kein’ Gerechtigkeit … so verklag’ ich Euch bei unserm Herrgott, so sollt Ihr mir am jüngsten Tag Antwort geben, als ungerechte Richter…“

Bis hierher hatte das Staunen und die Ueberraschung der

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verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 690. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_690.jpg&oldid=- (Version vom 29.1.2017)