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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

der junge Mann geflüsterte Worte von einem Ende des großen Zimmers zum andern so deutlich verstehen, daß er sie nachsprechen konnte. Wie wesentlich änderte sich nun der Gesichtsausdruck des Patienten! Scheu und gedrückt war er gekommen, jetzt sah man es den freudig erregten Zügen an, daß er dem Verkehr mit der Welt zurückgegeben war.

Ein Ungar war der nächstfolgende Patient, ein schon älterer Herr, der in Folge eines chronischen Katarrhes der Nasen- und Rachenschleimhaut und in Folge der Fortpflanzung dieses Katarrhes auf Trompete und Trommelhöhle an hochgradiger Gehörsschwäche auf beiden Seiten, verbunden mit außerordentlich belästigendem Rauschen und Singen in den Ohren, litt. Die Uhr vernahm Patient rechts selbst beim Anlegen nur schwach, links ebenfalls nur beim Anlegen, aber deutlich, die Sprache wurde rechts auf zwei Fuß, links aus fünf Fuß Entfernung verstanden, Uhr und Stimmgabel wurden von den Kopfknochen aus wahrgenommen. Das Trommelfell zeigte sich, beleuchtet, stark nach Innen gewölbt, eine Veränderung, die in Verbindung mit noch anderen, gleichzeitig vorhandenen Erscheinungen den Katarrh der Trompete und Trommelhöhle als Ursache der Schwerhörigkeit erkennen ließ. Unter gleichzeitiger örtlicher und allgemeiner Behandlung traten zwar nach etwa vierzehn Tagen die katarrhalischen Erscheinungen zurück, die Hörverbesserung aber dauerte immer nur sehr kurze Zeit nach jeder Sitzung, selbst nach eingetretener Besserung des Katarrhs, an, und die Geräusche wurden durch die Behandlung durchaus nicht beeinflußt. Da brachte Politzer ein bis da noch unversuchtes Mittel zur Anwendung, welches ebenso einfach, wie erfolgreich war; die Gehörsverbesserung, die vorher nie länger, als eine halbe bis höchstens zwei Stunden nach der örtlichen Behandlung währte, hielt jetzt Tage lang an und die Geräusche schwächten sich beträchtlich ab. Ein intensiver frischer Katarrh störte zwar plötzlich wieder das gewonnene Resultat; als derselbe aber nach kurzer Zeit abgelaufen war, hörte Patient auf der linken Seite wieder vollständig, auf der rechten ziemlich normal. Die Freude des alten Herrn, der nach vergeblicher Behandlung seines Gehörleidens durch der Ohrenheilkunde unkundige Aerzte ziemlich hoffnungslos nach Wien gekommen war, fand nicht genug Worte des Dankes.

Ein Herr aus Rußland trat jetzt ein; er litt auf beiden Ohren an eitrigem Ausfluß, hörte außerordentlich schwer, empfand im linken Ohre häufig Schmerzen, und öfters war der aus diesem Ohre kommenden Flüssigkeit Blut beigemischt. Die Untersuchung ergab, nach vorausgegangener Reinigung beider Ohren, rechts eine umfangreiche Zerstörung des Trommelfelles, links das Vorhandensein eines bis über die Mitte des äußeren Gehörganges hervorragenden Polypen, der aus der Trommelhöhle hervorwucherte, weich und gefäßreich und die Quelle der Blutung war. Dieser Polyp war wegen ungünstiger räumlicher Verhältnisse schwer zu entfernen, indeß gelang es der geschickten, ruhigen und schonenden Hand Politzer’s doch rasch, ihn mittels Schlinge so weit abzutragen, daß nur ein kleiner Rest zurückblieb, welcher durch Aetzmittel in kurzer Zeit zerstört wurde. Ausfluß und Schwerhörigkeit wurden durch Einspritzungen und Lufteintreibungen in wenigen Wochen so glücklich behandelt, daß Patient, zur Ausübung seines Berufes wieder befähigt, mit freudiger Ungeduld in die Heimath zurückkehrte.

Eine sehr corpulente Dame aus Siebenbürgen kam nun zur Behandlung; sie hörte schwer, litt an starkem Ohrensausen, zeitweise an eingenommenem Kopf, an Schwindel und Uebelkeit. Sie hatte schon mehrere Aerzte consultirt und Verschiedenes, doch erfolglos, gegen ihr Leiden angewendet und zwar nicht, weil dasselbe der Behandlung unzugänglich, sondern nur, weil man sie nicht zu untersuchen verstand. Der erste Blick in die beleuchteten Gehörgänge ließ in beiden eine beträchtliche Anhäufung von Ohrenschmalz erkennen, dessen Entfernung, durch erweichende Mittel vorbereitet, sehr rasch erfolgte, mit sofortiger Wiederherstellung des Gehörs und Beseitigung der erwähnten Krankheitserscheinungen. Nicht immer indeß ist das Resultat der Entfernung ein so günstiges und nicht immer bleiben Ohrenschmalzpfröpfe so ganz ohne nachtheilige Einwirkung auf das Gehörorgan, weshalb es sehr nothwendig ist, sie zu entfernen, noch bevor sie bedeutendere Störungen bedingen.

Ein Mädchen von siebenzehn Jahren trat mit der Klage über äußerst heftige, Ruhe und Schlaf raubende Schmerzen im rechten Ohre, Ohrensausen und Schwerhörigkeit ein; das Trommelfell war sehr stark gleichmäßig geröthet, an einer kleinen Stelle zeigte sich eine grünlich-gelbe Entfärbung. Blutegel und schmerzstillende äußere und innere Mittel brachten Besserung, die sich schon am folgenden Tage nach erfolgter Durchbohrung des Trommelfells und Abfluß des Eiters aus der Trommelhöhle noch wesentlicher gestaltete. Es wurden nun nach Beseitigung der Reizungserscheinungen zusammenziehende Mittel erwärmt in’s kranke Ohr geträufelt und Luft nach Politzer’s Verfahren eingetrieben. Die Vernarbung der am vordern untern Viertel des Trommelfells befindlichen Oeffnung erfolgte rasch, und auch die anfangs noch andauernde Schwerhörigkeit war in vierzehn Tagen vollständig beseitigt.

Die folgende Patientin, eine fünfunddreißigjährige Dame aus Schweden, brachte eines jener Leiden zur Beobachtung, gegen welche auch die Ohrenheilkunde der Neuzeit mit ihren wesentlich reicheren Hülfsmitteln nichts zu erzielen vermag. Die Dame litt seit vier Jahren an fortwährendem Sausen, stetig und ohne jede Schwankung zur Besserung zunehmender Schwerhörigkeit und an Eingenommenheit des Kopfes. Das Trommelfell war beiderseits ganz normal, die Uhr wurde rechts auf drei Zoll, links auf sechs Zoll, die Stimme rechts auf zwei Fuß, links auf fünf Fuß Entfernung wahrgenommen, die Knochenleitung war vorhanden. Aus dem ganzen Verlaufe des Uebels und aus der Gesammtuntersuchung ergab sich, daß ein schleichender Katarrh mit Verdichtung des Gewebes und verminderter Beweglichkeit der Gehörknöchelchen Ursache der Gehörstörung war, und da erfahrungsmäßig solche schleichende Formen eine Besserung von Belang nicht erzielen lassen, sprach das Politzer der Patientin unverhohlen aus, eine Behauptung, die in der Resultatlosigkeit einer mehrtägigen Behandlung, welche Patientin gewünscht hatte, volle Bekräftigung fand.

Von den an diesem Morgen sich noch vorstellenden zahlreichen Patienten will ich nur noch ein fünf Jahre altes, von Katarrhen oft heimgesuchtes, sonst gesundes Kind aus Böhmen erwähnen, das seit zwei Jahren abwechselnd, seit Wochen andauernd an hochgradiger Schwerhörigkeit litt. Die Hörweite für lautgesprochene Worte betrug rechts fünf, links drei Fuß, das Trommelfell war beiderseits stark eingezogen. Dr. Politzer blies der widerstrebenden kleinen Patientin mit dem Munde nach seinem Verfahren Luft in das mittlere Ohr ein und erzielte sofort eine bedeutende Besserung. Auffallend wirkte dieser Erfolg auf das Kind; ruhig und gefügig ließ es von nun an die allerdings nicht schmerzhafte Lufteintreibung geschehen und zeigte dem Arzte bald eine außerordentliche Zuneigung. In ungefähr vierzehn Tagen, durch welche mit Unterbrechungen die Behandlung fortgesetzt ward, wurde das Gehör wieder fast normal, ein um so beachtenswertheres Resultat, als das Kind der früheren Behandlungsweise, der Einführung des Katheters, nicht zugänglich gewesen und mit innern und äußeren Mitteln wahrscheinlich vergeblich behandelt worden wäre.

Die mitgetheilten Fälle werden wohl genügend beweisen, daß die neuere Ohrenheilkunde durch die außerordentliche Rührigkeit der Forscher eine wesentliche Umgestaltung erlitten, wesentliche Fortschritte gemacht hat und, was die Behandlung anlangt, Erfolge aufweist, welche die frühere Ansicht gründlich widerlegen, daß gegen Ohrenleiden absolut nichts zu thun sei. Ist es auch immerhin noch unmöglich, Krankheiten der Gehörnerven oder Verdichtungsprocesse der Schleimhaut des Mittelohrs und Unbeweglichkeit der Gehörknöchelchen mit Erfolg zu behandeln, so sind das doch verhältnißmäßig die bei weitem seltneren Krankheiten des Ohres; die häufigst auftretenden dagegen können durch eine geeignete, vorsichtige Behandlung geheilt oder gebessert werden und selbst in Fällen, in denen weder das Eine, noch das Andere möglich, kann nachweisbar eine Verschlimmerung verhütet oder verlangsamt werden.

Groß ist die Zahl der Gehörleidenden, weit größer, als man nach den Klagen darüber annehmen kann; bemühen sich doch eigenthümlicher Weise die Meisten, ihr Leiden zu verbergen, während Andere es gar oft nicht ahnen, daß sie, wenigstens auf einem Ohre, einem langsam fortschreitenden Krankheitsproceß unterliegen; oft macht das nur der Zufall bemerklich. So Viele aber auch gehörleidend sind, so wenig Beachtung schenkt man immer noch den Ohrleiden, vielleicht wohl, weil man sich daran gewöhnt hat, Ohrenleiden als schwer oder gar nicht heilbar zu betrachten. Wer sich aber vergegenwärtigt, wie wichtig ein normales Gehör für Ausbildung des Geistes und Charakters, wie einflußreich auf den Verkehr in der Welt, auf einen ungestörten Lebensgenuß ist, der wird die jetzt ermöglichte

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verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 683. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_683.jpg&oldid=- (Version vom 5.3.2017)