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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

Sprechlust mit einem ironischen Halloh empfangen. Selbst der älteste der Veteranen, der an diesem Tage enthusiastisch gefeierte General von Pfuel, vermochte nicht durchzudringen und mußte, was er sonst nicht gewohnt war, das Feld räumen. Besorgt blickte ich Freund Mühlfeld an; er, welcher ein lautloses Auditorium zu beherrschen pflegte, sobald er nur den Mund öffnete, und welchem, nach dem Programm des Tages, die Aufgabe zugefallen war, die Bedeutsamkeit des heutigen Momentes für Deutschland dem Publicum zu Gemüthe zu führen, er zögerte und zögerte, bis der Festjubel und der Wein die Gemüther bis zur Unbändigkeit erhitzt hatte und an ein ruhiges Anhören kaum mehr zu denken war. Endlich erhob er sich und betrat die von einer tobenden Masse umringte Tribüne. Lautlos überflog er mit dem geistsprühenden Auge die Menge, und nun geschah ein Wunder! Die aufgeregten Schreier, welche soeben noch einen von ihnen wirklich hochverehrten Greis ihrer Spottlust preisgegeben hatten, verstummten nach den ersten Worten des fremden Redners, und nach fünf Minuten herrschte eine Stille im weiten Saal, daß man die Taschenuhren picken hören konnte; auf den Zehen schlichen sich die Gäste aus den Nebensälen herbei und horchten in feierlicher Andacht der gewaltigen Rede des deutschen Mannes!

Eine halbe Stunde lang sprach Mühlfeld, ohne ein Blatt Papier in der Hand zu haben, vom Herzen zum Herzen, mit erschütternder, unwiderstehlicher Gewalt. Eine Wandlung seltenster Art war unter den Anwesenden vorgegangen. Aus einem wüsten Trinkgelage war ein Dom geworden, in dem Hunderte mit Thränen in den Augen andächtig mit verhaltenem Athem und bewegter Brust lauschten, bis das letzte Wort verhallt war und ein endloser, jubelnder Applaus den Redner belohnte, der plötzlich der Mittelpunkt, der gefeierte Liebling der Versammlung geworden war. Dieser Zug charakterisirt nach meiner Ansicht die ganze Laufbahn Mühlfeld’s auf das Schärfste. Weil er nie gegen seine Ueberzeugung spricht, ist bei seiner mächtigen Gewalt der Rede, welche ein geistreicher Mann „Gruß und Kuß“ genannt hat, stets der Sieg auf seiner Seite; darum ist er der mächtigste Gegner der Finsterlinge und der Feinde des Gesetzes.

Mühlfeld (Eugen Alexander Megerle, Edler von Mühlfeld) wurde in Wien geboren, wo sein Vater als kaiserlicher Rath und Archivdirector lebte. Im Jahre 1837 war er bereits Doctor der Rechte, Professor der Welt- und österreichischen Geschichte an der Wiener Universität und Professor der Aesthetik am Theresianum. Im Jahre 1840 wurde er Hof- und Gerichtsadvocat in Wien, und als Mitglied der juridischen Facultät und Abgeordneter der Wiener Universität 1848 zum Frankfurter Parlament gewählt. Hier war er bis zu seinem Eintritt in die Nationalversammlung als Mitglied des Fünfzigerausschusses thätig und nahm als Vertreter der innern Stadt Wien seinen Sitz im linken Centrum. In der Nationalversammlung wurde er mit Dahlmann und Mohl Mitglied des Verfassungsausschusses und der in demselben bestellten Subcommission. In seiner Geschichte des ersten deutschen Parlamentes sagt Laube von ihm: „Mühlfeld, mit einem Napoleonskopfe, und Detmold aus Hannover stimmten als zwei feste Juristen, denen keinerlei Aufschwung den Gesichtspunkt verrückt. Mühlfeld thut dies mit unerbittlich strenger Logik; seine geradeaus und rasch fließende Rede geht wie ein Bach einher, welcher über Stock und Stein nach der Ebene eilt, unbekümmert um Tageszeit, Landschaft und sonstige Umgebung. Weder von österreichischen noch von deutschen Lieblingsgedanken läßt sich Mühlfeld bestechen; ehrlich und unbefangen hat er stets nur das Ganze im Auge und die Möglichkeit eines verhältnißmäßigen Ganzen.“

Kann es eine schönere Anerkennung geben?

Mühlfeld ist der starre Mann des Gesetzes; nie ist er in seinen Anschauungen einen Finger breit davon abgewichen, selbst da nicht, wo sich diese Pflicht mit seinen Gefühlen im Widerspruch befand. So z. B. als 1851 der protestantische Professor Bonitz als Decan an die Universität berufen werden sollte, trat er diesem Plan, als unverträglich mit dem historischen Charakter und den Statuten des Institutes seit der Gründung der Wiener Universität, deren Gesetze verbieten, daß ein Amt an derselben einer Persönlichkeit übertragen werde, die nicht zur katholischen Religion gehört, mit aller Kraft und Entschiedenheit entgegen. Dies Gesetz allein war für Mühlfeld maßgebend, sowie er der Erste sein wird, für die Umänderung dieses Gesetzes seine ganze Kraft einzusetzen, sobald sich die Gelegenheit dazu bieten wird.

Im Jahre 1861 wurde Mühlfeld mit einer imposanten Stimmenzahl zum Abgeordneten des niederösterreichischen Landtags und von diesem in den Reichsrath gewählt. Als Reichsrathsabgeordneter verfaßte und beantragte er das Religionsgesetz, von dem die Times sagte, daß, wenn es angenommen würde, Oesterreich sich, in Religionssachen, der freisinnigsten Verfassung rühmen könne. Daß der damalige Präsident Hein es nicht einmal wagte, dies Gesetz auf die Tagesordnung zu bringen, ist ein charakteristisches Zeichen der österreichischen Regierung. Ebensowenig hatte der Präsident den Muth, mit dem von Mühlfeld beantragten und von dem Ausschuß bereits berathenen Gesetz zum Schutz des Briefgeheimnisses an das Licht der Tagesordnung zu treten. Dagegen trat das von Mühlfeld verfaßte und beantragte Gesetz zum Schutze persönlicher Freiheit und des Hausrechts am 27. October 1862 in Kraft, freilich nicht ohne beschränkende Zensuren von Seiten der Regierung und des Herrenhauses. Wenigstens bot es Sicherheit gegen willkürliche Verhaftungen und Haussuchungen, die in Oesterreich in voller Blüthe standen, und erlaubte die Zulässigkeit der Untersuchungen auf freiem Fuß, gegen Caution.

Am 20. September 1865 wurde die Verfassung sistirt und erst im Jahre 1867, als auch der Ausgleich mit Ungarn zu Stande kam, wieder in Wirksamkeit gesetzt. Von Neuem in den Reichsrath gewählt, begann Mühlfeld seine Wirksamkeit mit einem Antrag auf abermalige Behandlung des Religionsedictes und als heftiger Gegner des berüchtigten Concordats. In glänzenden Reden trat er als eifriger Vertreter der Gewissensfreiheit der Völker auf, gegenüber den Uebergriffen des römischen Stuhles, als Vertheidiger der durch die weltlichen Anmaßungen der Kirche beeinträchtigten Staatsgewalt, als Apostel des Lichtes und der Menschenrechte. Man muß den Druck kennen, welchen die katholische Geistlichkeit seit Jahrhunderten in Oesterreich auf alle Verhältnisse, auf alle Classen der Bevölkerung ausübt, um das ungeheure Aufsehen zu begreifen, welches das muthvolle Verhalten Mühlfeld’s erregte, den maßlosen, hoffnungsreichen Jubel, mit welchem dieser „Luther des Rechtes“ begrüßt wurde!

Noch einem zweiten Mißbrauch trat derselbe mit derselben geistigen Kraft und Entschiedenheit entgegen. Die Veranlassung dazu bot folgendes Ereigniß: Ein Freiherr von Badenfeld äußerte sich in einem Gasthause, gegenüber seiner Tischgesellschaft, in sehr ungünstiger Weise über die österreichischen Finanzzustände. Ein Hauptmann Hugo Flech, der an einem nebenstehenden Tische saß, veranlaßte die Arretirung des Freiherrn und denuncirte denselben beim Gericht wegen des Verbrechens der Störung der öffentlichen Ruhe. Nun besteht in Oesterreich das Gesetz, daß Officiere zu den öffentlichen Gerichtsverhandlungen nicht vorzuladen sind, sondern daß der Gerichtshof sich mit der Vorlesung der von denselben in der Voruntersuchung gemachten Aussagen zu begnügen hat. Auch Hauptmann Flech war bei der Verhandlung nicht anwesend, und seine Behauptungen sollten nur vorgelesen werden.

Diesem Verfahren widersetzte sich Mühlfeld, als Vertheidiger des Angeklagten, energisch; er verlangte von dem Präsidenten des Civilgerichtes, derselbe möge das persönliche Erscheinen des Hauptmanns erwirken, da die Aussage des Denuncianten für die Herstellung des Beweises von der entschiedensten Wichtigkeit sei; er setzte ferner auseinander, „daß das Vorjahr (1866) nicht darnach angethan sei, um solche Vorrechte des Militärstandes bestehen zu lassen, die fast einer Kniebeugung nach orientalischer Sitte glichen.“

Das Gericht entschied im Sinne Mühlfeld’s und vertagte die Verhandlung. Sofort aber sah sich der Kriegsminister veranlaßt, durch den Staatsanwalt Limbacher gegen Mühlfeld eine Klage wegen Ehrenbeleidigung der ganzen österreichischen Armee zu veranlassen. Limbacher drang in einer Eingabe an den Gerichtshof auf die schleunigste Anberaumung einer Schlußverhandlung. Da am 20. Mai der Reichsrath eröffnet wurde, ohne dessen Zustimmung eine strafrechtliche Verfolgung Mühlfeld’s unmöglich gewesen wäre, so las man mit Erstaunen, daß die Entscheidung dieses wunderlichen Processes schon am 18. Mai stattfinden solle.

Die Aufregung war ungeheuer, die gesammte unbefangene Presse stand wie ein Mann für Mühlfeld ein. Das Ministerium, wohl einsehend, daß es zu weit gegangen, ließ ihm eine Erklärung vorlegen, deren Unterzeichnung der Preis der Aufhebung der Untersuchung sein sollte, dahin gehend, er habe jene Worte nicht gesprochen. Mühlfeld hätte nicht der Mann sein können, der er ist,

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verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 678. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_678.jpg&oldid=- (Version vom 5.3.2017)