Seite:Die Gartenlaube (1867) 665.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

Hahn-Neuhaus, dem als einem astronomischen Enthusiasten zu Ehren ein Gebirg im Mond das „Hahngebirge“ genannt wird, wurde Ida am 22. Juni 1805 zu Tressow in Mecklenburg geboren und zählt demnach jetzt bereits zweiundsechszig Lebensjahre. Noch excentrischer war ihr Vater, Graf Karl, der vierzig Jahre lang bis in sein höchstes Alter mit ungezügelter Leidenschaft, die sich bis zur Theaternarrheit steigerte, den Director wandernder Schauspielertruppen spielte, ohne der wahren Schauspielkunst auch nur je im Geringsten genützt zu haben. Zuletzt zu Altona von seinem einzigen Sohne standesgemäß versorgt, wurde er vor zehn Jahren im Mai todt im Bette gefunden, nachdem er noch Abends vorher zum Zeitvertreib Rollen abgeschrieben hatte. Desto besonnener war die Mutter Sophie, die Tochter des Landschaftsdirectors von Bär auf Dönnie im damaligen Schwedisch-Pommern, die nach des Großvaters Tode mit ihrem Gatten nach Remplin übersiedelte, wo noch zwei Schwestern und ein Bruder der Gräfin Ida folgten. Dort war es auch, wo der Vater sein erstes Liebhabertheater mit einem Kostenaufwand von sechszigtausend Thalern einrichtete und schon im sechsundzwanzigsten Lebensjahre mit sechstausend Thalern Jahresrente unter Curatel gestellt wurde.

Ida Gräfin Hahn-Hahn.

Eine standesgemäße eheliche Verbindung, welche die Gräfin Ida in ihrem einundzwanzigsten Lebensjahre mit ihrem reichen Vetter, dem Erblandschaftmarschall Grafen Friedrich Hahn-Hahn auf Basedow schloß, stellte der geistreichen Weltdame eine glänzende gesellschaftliche Laufbahn in Aussicht, allein schon nach drei Jahren löste ihr lebenslustiger Gemahl gegen ihren Willen diese Verbindung. Sie war nun auf die Erfüllung der wichtigsten mütterlichen Pflicht, die Erziehung ihrer einzigen Tochter, hingewiesen, die leider, geistesschwach, in der Schweiz auf dem bei Interlaken gelegenen Abendberge berüchtigten Andenkens starb. Mit ihrer Mutter lebte sie jetzt eine Reihe von Jahren abwechselnd in Berlin und Dresden, später aber bedurfte sie der „Emotionen“ und reiste deshalb in Europa unstät umher. Sie sah Italien und Sicilien, Spanien und Frankreich, Schweden und Großbritannien, auch die heiligen Orte des Orients. Diese Wanderungen, die ihre Sehnsucht nach etwas Unbekanntem leidenschaftlich kundgeben, das ihr ganzes Sein auszufüllen im Stande wäre, hat sie im „Jenseits der Berge“, in den „Reisebriefen“ und im „Reiseversuch im Norden“ anziehend beschrieben.

Dies waren jedoch nur Vorstudien. Damals beherrschte George Sand (Madame Aurora Dudevant) mit ihren socialen Romanen, mit ihren geistvollen, doch emancipirten Grundsätzen die ganze vornehme Welt. Nach einem solchen Ruhm geizte von nun an Gräfin Ida, die sich mit der Gluth ihrer Seele und Sinne in die volle Lebensströmung hineinwarf. Sie entpuppte sich nach und nach in ihren Romanen als die meisterhafte Darstellerin excentrisch blasirter Lebensansichten, die in den großen inneren Zwiespalt der auftretenden Personen mit der Welt hineinblicken lassen. Immer sind es aber nur Erzeugnisse einer überreizten Phantasie, die alle aus dem raffinirten Egoismus eines Herzens hervorgingen, das nur in sich den Mittelpunkt der Welt erblickt, in den übrigen Menschen aber keine gleichberechtigten Wesen.

Im Jahre 1833 erschien ihr erster Roman „Aus der Gesellschaft“, der, wie alle folgenden, ein gutes und echtes Stück eigener Lebensgeschichte enthüllt. Sie lebt in diesen Romanen in der That in „Babylon“; inhaltlich gleichen sie sich alle; überall sucht sie „den Rechten“, der ihr immer wieder durch den Tod oder eine andere Ursache, welche hauptsächlich im Wechsel liegt, entrissen wird. Der bedeutendste und berühmteste ihrer zahlreichen Romane – in einem Jahre erschienen sogar drei Romane von ihr – ist unstreitig Faustine. Aus ihm lassen wir sie uns in freiester Ungebundenheit, ohne alle Schminke in ihrer anspruchvollsten Persönlichkeit entgegentreten. Gräfin Ida hatte jetzt schon das sechsunddreißigste Lebensjahr überschritten und gerade durch eine Operation, welche dem berühmten Dr. Dieffenbach in Berlin mißlungen, das schielende linke Auge verloren. Sie widmete diesen Roman ihrem treuen Freunde Bystram, dessen Stelle in ihrem Herzen früher der geistreiche Heinrich Simon in Breslau eingenommen. Ueber den gewählten Titel „Faustine“ giebt die Verfasserin folgenden Aufschluß: „Jemand fragte die Heldin des Romans, wie sie zu ihrem seltsamen Namen (Faustine) gekommen, und sie sagte: ‚Mein Vater hatte solche Liebe zu dem Goethe’schen Faust, daß er, um in jedem Augenblick seines Lebens an das Meisterwerk erinnert zu werden, seinen beiden ersten Kindern den Namen Faust und Faustine beizulegen beschloß. Meine

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 665. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_665.jpg&oldid=- (Version vom 5.3.2017)