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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

bin im Haus! … Was ist Dir denn, armer Narr?“ unterbrach sie sich selbst und legte die Hand auf das Haupt Susi’s, die ihren Arm gefaßt hatte und wie krampfhaft festhielt. „Du zuckst und zitterst ja ordentlich. … Bist wieder kränker?“

„Ich glaub’ wohl,“ flüsterte Susi, „es wird so sein …“

„So leg’ Dich nieder und schau, daß Du schlafen kannst … zuvor aber sollst noch das Nachtgebet vorbeten – das ist auch ein alter Brauch und Du weißt, ich laß den alten Brauch nit abkommen. Sonst hab’ ich’s immer selber gethan … aber meine Augen, meine Augen! Wirst es können, Madel?“

„Ich denke …“ sagte Susi sich erhebend, während die Ehhalten aufstanden, die Bänke bei Seite schoben und an denselben niederknieten; Susi hatte das Gebetbuch vom Fenstersims genommen, während dessen hob die Uhr zum Schlagen aus, acht Mal regte der Hahn die Flügel und hob den Zettel mit der Mahnung an die Ewigkeit. Mit bebender Stimme sprach Susi das einleitende Vaterunser, dessen letzte Bitten von der Versuchung und Erlösung vom Uebel Alle mit gedämpfter Stimme nachsprachen. Dann folgten die Fürbitten für den verstorbenen Besitzer des Oedhofes und für Alle, die aus der Verwandtschaft und Freundschaft des Hauses schon in die Ewigkeit hinüber gegangen waren; den Schluß bildete das Gebet für die Lebenden, daß der Himmel ihnen beistehen möge, den schweren mühevollen Weg zum Heile zu vollenden. „Gieb, o Gott und Vater mein,“ hieß es dann:

„Lasse Deines Sterbens Pein
Nicht an mir verloren sein,
Decke Du mit Deiner Gnad’ …“

Susi war so ergriffen, daß es ihr unmöglich war, die letzten Worte hervor zu bringen; die alte Base vollendete statt ihrer und schloß mit fester Stimme:

„Decke Du mit Deiner Gnad’,
Mich und meine Missethat!“

Sie wollte Amen sagen, aber im selben Augenblick dröhnte die Stube von einem mächtigen Schlage, der von außen an einen der Fensterläden geführt wurde; die Scheiben klirrten, Alle sprangen verwirrt und entsetzt in die Höhe und schauten einander mit betroffen fragenden Blicken an; nur die alte Bäuerin stand da, kerzengerade aufgerichtet, als schmerzten die müden, kranken Füße nicht mehr und mit den verdunkelten Augen starrte sie nach der Stelle, von welcher der Schall kam, als gedächte sie, die doppelte Dunkelheit zu durchdringen. „Wer untersteht sich,“ rief sie zürnend, „solche Büberei zu treiben an einem ehrlichen Haus! Hinaus, Hies und Ihr andern Burschen, und fangt den nichtsnutzigen Menschen, der das Gebet und die Nachtruh’ stört …“

„Ach mein’ … was wird’s gewesen sein!“ sagte der Knecht zögernd, „vielleicht ein Betrunkener, der vom Markt heim’gangen ist …“

„Hinaus!“ eiferte die Bäuerin wieder. „Hinaus und schau’ mir nach, ob nichts am Haus passirt ist! Der Betrunkene kann mir auch den Hof über’m Kopf anzünden, wenn ich mir das gefallen lass’. … Oder hast kein Courag’, Hies, und muß ich etwan selber geh’n?“

Beschämt hatte der Knecht die Laterne vom Simse herabgenommen und lang’ an dem Docht herumgestochert, bis er ihn endlich zum Brennen brachte; langsam und unwillig verließ er dann die Stube, mit ihm die andern Knechte, neugierig und in scheuer Entfernung drängten die Mägde nach. Eine Weile lag athemlose Stille über der Stube und den darin Zurückgebliebenen, nur die Uhr pickte, das Feuer knisterte und eine aufgescheuchte Fliege stieß summend wider die Scheiben. Die Suchenden mochten beinahe das Haus umwandert haben, als von rückwärts, in der Richtung von der Scheune her, ein mehrstimmiger Ruf der Ueberraschung ertönte.

„Sie haben wirklich etwas gefunden …“ murmelte die Oedbäuerin. „was wird es sein, was sie gefunden haben …“

Schon kam eine der Dirnen, die Hände zusammenschlagend und schreiend, zurück. „Da haben wir’s!“ rief sie schon von Weitem, „das ist eine saubere Bescheerung. … Ein Kind haben sie Dir gelegt, Bäuerin … ein leibhaftiges lebendiges Kind liegt draußen auf der Tenn’ im Heu …“

Ueber das hagere Antlitz der Bäuerin schlug die Röthe des Zornes empor.

„Ein Kind gelegt? Mir? Auf dem Oedhof?“ rief sie wie außer sich. „Kann so was bei mir passiren? Wer darf mir eine solche Schand’ anthun und mein’ ehrlichen Haus?“

„Wer?“ erwiderte die Dirne lachend. „Das wird schwer zu sagen sein; aber wer’s gethan hat, der hat wohl denkt, die Oedbäuerin ist eine reiche Frau und eine gute Frau, die kann und wird das arme Kindel leichter aufzieh’n als ich …“

„Sieh Du nach, Susi!“ rief die Bäuerin, sich wieder zur alten Gelassenheit zurückzwingend, „ich will von Dir hören, was es ist …“ Aber das Mädchen regte sich nicht. Als wäre die Schwäche der Alten auf sie übergegangen, war sie zu deren Füßen in die Kniee zusammengebrochen; über ihr Antlitz zog die Blässe der Ohnmacht mit der Gluth des Fiebers wechselnd, ihr Athem flog und die Hand, die sie nach dem Stuhle streckte, sich daran aufzurichten, zitterte und vermochte nicht, etwas zu fassen. Es war auch unnöthig, daß sie ging, schon kam einer der Knechte zurück und brachte die Bestätigung des Vorgefallenen.

„Das ist eine schöne Geschichte!“ rief er lustig. „Und wie fein das ausg’studirt ist! Bei einem solchen Wetter, wo Einem, wenn man nachlaufen wollt’, der Wind das Licht in der ersten Secunden ausblast und wo es stürmt und weht, daß die Fußtritt verschneit sind, eh’ daß man eine Hand umkehrt! Es muß Jemand gewesen sein, der sich gut auskennt im Haus, denn er hat accurat g’wußt, daß hinten am Stadelthor ein Brett locker gewesen ist, da ist er hereingeschlupft und hat sich noch recht wohl Zeit gelassen, denn er hat vom Stadel eine ganze Burd’ Heu und Stroh heruntergerissen und ein Bettl gemacht, daß das Kind fein warm liegen und ihm nichts geschehen sollt’, bis man’s etwa find’t … es ist auch ganz gut eingewickelt in ein saubres Deckerl; aber da bringt’s die Dirn’ schon, da kannst Du’s gleich selber seh’n …“

„Halt!“ rief die Bäuerin, so laut und befehlend sie konnte, und wandte sich der Thür zu, wo bereits die Magd mit dem Kinde auf den Armen den Fuß auf die Schwelle setzte. „Zurück da! Tragt’s das Kind hin, wohin Ihr wollt … in mein’ Stuben kommt’s nit herein, auf dem Oedhof ist kein Platz für ein solches Sündenkind …“

Die Leute standen unschlüssig und von der Härte der Bäuerin überrascht, die trotz ihrer sonstigen Strenge und Entschiedenheit doch etwas Ungewohntes an sich trug. Alle waren mit sich und mit dem unerwarteten Ereigniß beschäftigt, Niemand achtete auf Susi, deren Aufregung den höchsten Grad fieberhafter Anspannung erreicht hatte; jetzt war sie mit Anstrengung zu der Greisin hingewankt, faßte ihre Hand und drückte sie mit wortloser Innigkeit an Stirn und Mund.

„Bist Du’s, Dirnl?“ sagte die Bäuerin. „Willst fürbitten für das elende Geschöpf, von dem seine schlechte Mutter sich losmacht und es hinauswirft in Wind und Wetter, ob vielleicht ein Mensch barmherziger ist als sie und hebt es auf? … Ich will noch nichts sagen; ich will mir’s aufbehalten. … Schaut erst einmal nach, ob das Kind nichts bei sich hat, woran man’s erkennen könnt’, wem’s angehört …“

Die Mägde warteten die Wiederholung eines Befehls nicht ab, der mit der Befriedigung ihrer Neugierde so sehr zusammentraf. „Wie gut es schlaft!“ sagte die eine, während sie das auf den Tisch gelegte Kleine aus dem umhüllenden Kissen loswickelte. „Es weiß gar nichts von Allem, was mit ihm geschehen ist! … Und was es für ein feines blasses Gesichtl und was für durchsichtige Handerln hat … so zart wie ein wachsernes Christkindl. … Und da, unter den Windeln, auf der Brust – da steckt richtig ein geschriebenes Lesen …“

„Her mit dem Zettel!“ rief die Bäuerin, „Susi, nimm und lies, was auf dem Zettel steht.“

Das Mädchen fuhr sich mit der Hand über die Augen, denn es floß und schwamm ihr wie ein Nebel vor denselben. Sie las:

„Ich bitt’ gar schön’, nehmt mich auf:
Gebt mir auch die heil’ge Tauf’,
Vater und Mutter hab’ ich nit,
Um Gottes willen verstoßt mich nit!“

Alle schwiegen einen Augenblick, Susi hatte sich der Base an die Brust geworfen und weinte bitterlich. Der Hahn auf der Uhr krähte wieder und mahnte an die Ewigkeit.

„Nein,“ sagte die Greisin, indem sie näher trat, nach dem Kinde tastete, das sie nicht sah, und ihm wie segnend die Hand auf die Stirne legte, „verstoßen will ich Dich nit! Der Gockel ruft mir’s zu, wie nah mir vielleicht die große Ewigkeit schon

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verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 659. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_659.jpg&oldid=- (Version vom 29.1.2017)