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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

mit einer Decke verhüllt, aber die Haltung des Körpers war trotz der vielen Jahre, die auf dem Nacken lasteten, hoch aufgerichtet und fest; die Frau war ungebrochen im Gemüth und saß aufrecht, als wollte sie dadurch den Augen nachhelfen, die stündlich immer mehr den langgewohnten strengen Dienst nicht mehr zu leisten gesonnen schienen. Auf dem Schooße der Alten lag eine grobe Wollenstrickerei mit starken hölzernen Nadeln, wie auch die halb Erblindete sie zu gebrauchen vermochte – in den Händen hielt sie eben den großen Rosenkranz und ließ unter leise gemurmeltem Gebete die schwarzen Kugeln daran abwärts gleiten – sie mußte beide Geräthe in der Nähe haben, um in ihre einsame Abgeschiedenheit noch einen Rest irdischer Abwechselung bringen zu können und die Arbeit mit dem Gebete zu vertauschen, den letzten Faden menschlicher Thätigkeit, der sie noch hienieden festhielt, anzuknüpfen an die Strahlen des hereindämmernden Jenseits.

„Wer ist da?“ fragte sie, den Kopf erhebend, als sie die Thür in den Angeln sich bewegen hörte. Es war Susi, die eingetreten; sie erwiderte nichts, leise und wie unkörperlich trat sie zu der alten Frau und glitt, deren Hände erfassend, auf den Schemel zu ihren Füßen nieder. Sie war noch feiner und zarter geworden, als damals, wo sie von der Kreuzstraße geschieden; nur die Blässe war gewichen und die Wange sogar mit lebhafter Röthe überhaucht, aber die Farbe war von fast unheimlichem Glanze, nicht wie der Strahl einer ruhig wärmenden Gluth, sondern wie der Widerschein eines verborgenen Brandes, der insgeheim fortglimmend Leben und Lebenskraft von innen heraus versengt und verkohlt. Wer das Mädchen sah, mochte wohl begreiflich finden, wie der schlaue Waldhauser darauf verfiel, die Susi noch gegönnten Tage voraus zu berechnen, wie das Brennen einer Lampe, der von karger Hand die nährenden Tropfen zugezählt worden.

„Du bist’s, mein Dirnl’,“ sagte die Greisin mit gütigem Tone, „Du kommst und gehst ja daher, so still wie ein Geist … sag’ mir nur einmal, was es denn mit Dir ist? Du lachst nit, Du weinst nit; Du hast kein Leid und kein’ Freud’ – das ist nichts für ein Madel von Deine Jahr’! Du bist ja doch sonst anders gewesen, – haben Dich denn die paar Jahrln in der Stadt so ganz und gar umwenden können? Was ist Dir denn gescheh’n? Ich hab’ Dich schon so oft gefragt – aber Du sagst halt nichts!“

„Weil ich nichts zu sagen hab’, Bas’l,“ erwiderte Susi, „ich bin nur krank – es thut mir so weh, da drinnen, zu tiefst’ in der Brust und im Herzen …“

„Du sündigst halt auf meine alten halbblinden Augen,“ sagte kopfschüttelnd die Alte; „hätt’ ich mein Augenlicht noch, daß ich Dir in’s Gesicht sehen könnt’, ich wollt’ Dir’s wohl sagen, ob Du aufrichtig bist oder ob Du die alte Schwester von Deiner Mutter betrügen und anlügen kannst!“

„Bas’l – sei gut mit mir!“ schluchzte Susi, auf deren Hand gebeugt, „Du kannst es nit glauben, was ich aussteh’ …“

„Ich glaub’s, ich glaub’s wohl, denn ich spür’s, wenn ich’s auch nicht seh’,“ antwortete die Greisin, indem sie ihr nach dem Gesicht tastete und streichelnd über Stirn und Augen fuhr, „aber ich muß davon reden, weil ich Dich anders haben möcht’! Weil ich möcht’, Du solltest wieder das liebe lebfrische Dirnl’ werden, wie von eh’ … Ich sorg’, es wird Dir halt zu langweilig und zu einsam sein, da auf dem einschichtigen Oedhof … vielleicht wirst anders, wenn Du eine junge Cameradin und Gesellin bei Dir hast, mit der Du ’rum laufen und plaudern kannst, wie Dir um’s Herz ist! Wie ist es denn mit der Franzi? Hat sie Dir denn nit versprochen, daß sie Dich heimsuchen, daß sie vielleicht ganz bei uns bleiben will?“

„Das hat sie,“ antwortete Susi mit einer raschen Bewegung nach dem Herzen, als habe sie dort plötzlich einen stechenden Schmerz empfunden, „allerdings, sie hat versprochen zu kommen – und mir ist manchmal zu Muth, als müßte mir wieder wohl und frei um’s Herz werden, wenn sie Wort halten thät …“

„Nun also, so sei wohl und getröst’,“ begütigte die Alte, „dann wird’s ja wieder recht werden, denn was die Franzi versprochen hat, das halt’ sie auch, für das kenn’ ich sie lang! … Und da hast wieder den groben Schalkel an,“ fuhr sie fort und tastete an Susi’s Kleidern herum, „und das Bauern-Mieder … Willst also Dein’ Stadtgewand ganz und gar den Abschied geben?“

„Ich will nichts wissen,“ rief Susi hastig und mit aufwallender Heftigkeit, „ich will nichts mehr hören und sehen von der Stadt!“

„No, no,“ erwiderte die Base lächelnd, „ich werd’ Dich nit dazu zwingen; mir kann’s recht sein – wenn’s mir nach’gangen wär’, hättst Du zuerst nichts zu thun gehabt in der Stadt! Ich bin froh, wenn Du wieder bei uns bleiben und wieder ein Bauernleut werden willst – aber wissen möcht’ ich doch, was Dir die Stadt gar so verleid’t hat; ich hab’ mir schon allerhand Gedanken d’rüber gemacht! Kannst es denn gar nit zuwegen bringen, Susi, daß Du Dir ein Herz fassen könnt’st und könnt’st aufrichtig reden mit mir? Ich bin doch die Schwester von Deiner Mutter selig; ich hab’ Dich so gern, wie sie Dich gehabt hat, denn Du bist ihr letztes und liebstes Kind gewesen. … Kommt’s Dich gar so hart an, wenn Du bei mir bist, daß Du Dir einbild’st, es ist Dein’ Mutter, die mit Dir redt?“

Ergriffen neigte das Mädchen sich vor und barg ihr verwirrtes Antlitz im Schooße der Greisin; ein weiteres Wort derselben hätte vielleicht genügt, das Band zu sprengen, das unverkennbar um Susi’s Gemüth geschlungen war – es blieb ungesprochen, denn die Thür ging auf und die Magd trat mit „Gelobt sei Jesus Christus“ ein, um den Tisch zur Abendmahlzeit zu bereiten; die andern Dienstboten, die Knechte und Dirnen folgten und reihten sich um den Tisch. Bald war das grobe Tuch ausgebreitet, die blechernen Löffel waren vertheilt, die Holzteller aufgestellt und nach kurzem von der Oberdirne vorgesprochenem Gebet ging es eifrig daran, die in der Mitte dampfende Schüssel zu leeren.

„Was meinst, Bäuerin?“ fragte der Knecht. „Ich denk’, wir sollen morgen mit dem Dreschen anfangen.“

„Ist ja noch viel zu früh,“ entgegnete die Frau, „ist um Martini noch bald genug …“

„Ja, die Jahrgäng’ sind halt nit gleich – heuer kriegen wir eben einen frühzeitigen Winter! Hörst, wie’s draußen wettert und an den Läden rüttelt! Es schneit, was nur herunter kann, es gefriert gewiß heut’ Nacht und der Schnee bleibt schon liegen für heuer!“

„Warum nit gar!“ rief in verweisendem Tone die Frau. „So geschwind thut sich die Welt nicht verkehr’n! Wir haben heut’ Sanct Galli-Tag’, – ich denk’ über siebzig Jahr und niemals noch in mein’ langen Leben ist der Schnee liegen ’blieben um Sanct Galli-Tag! Verlaß Dich auf mich, Hies – bis morgen ist es wieder hell. Der Schnee ist weg, übermorgen ist es wieder trocken und wir können noch den Haber anbauen auf der obern Breiten … nimm den Sam’ morgen her und arbeit’ ihn tüchtig durch auf der Putzmühl, daß nit so viel Wicken und Trespen drunter aufgeh’n, wie ferten – das wird gescheidter sein als das Dreschen, und so ist’s auch alleweil Brauch gewesen auf dem Oedhof und soll’s bleiben, so lang’ ich noch Herr bin im Haus … Und was ist’s denn mit dem Roßbuben, dem Wastl?“ fuhr sie fort, als von keiner Seite eine Erwiderung erfolgte. „Der ist heilig wieder nit da, weil ich ihn nit hör’. Was ist’s mit ihm? Wo ist er?“

„Weiß nit,“ sagte der Baumann mürrisch, „wird wohl nach Miesbach hinein sein, – hat alleweil schon gesagt, er müßt’ einmal hinein und sich ein Paar Stiefel kaufen …“

„Was?“ fuhr die Frau zürnend auf. „An einem Werktag lauft er von der Arbeit weg und ohne daß er mich fragt? Stiefel will er sich kaufen? Mit was denn – hat er nit sein Liedlohn schon voraus fast auf ein halbes Jahr? … Ein liederlicher Bursch ist er, der ausgedient hat auf dem Oedhof! Kannst ihm sagen, Hies, wenn er nach Haus kommt, er soll sein Bündel schnüren und mir nimmer unter die Augen kommen …“

„Hoho,“ sagte der Knecht brummend, „wer wird Einen gleich fortjagen, wegen dem bissel Ausbleiben! Wo willst gleich ein’ andern Rosser hernehmen, Bäuerin, und ein tüchtiger Schaffer ist der Wastl, das muß ihm sein ärgster Feind lassen …“

„Und wenn er der beste Knecht wär’,“ sagte die Bäuerin, wieder vollkommen ruhig mit hörbarer Festigkeit, „und wenn er der einzige auf der Welt wär’ … es ist jetzt das dritte Mal, daß er mir Sprüng’ macht – er kommt mir nicht mehr in’s Haus! Auf dem Oedhof ist es allemal richtig her’gangen, so lang’ er steht … es ist kein’ unrechte Sach’ darin gelitten worden und kein unrechtes Leut; so ist’s Brauch auf dem Oedhof und ich hab’s schon gesagt, so soll’s bleiben, so lang’ ich noch der Herr

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