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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

Peitschen schwingend, im größten Schnelllauf eine freie Bahn. Zwei Vorreiter sprengen im Galopp sechs vierspännigen Carossen vorauf, an deren Seiten berittene und bewaffnete Eunuchen einhertraben. In den Wagen sieht man unter reicher weißer, mit Gold durchwirkter Umhüllung nur dann und wann beim schnellen Vorüberrollen Brillantgeflimmer von Ringen an rosigen Fingern oder ein wetteiferndes Sprühen schwarzer Augensterne. Wir haben die Frauen aus dem Harem Halim Paschas erblickt. Das bescheidene Harem eines Bei folgt langsameren Schrittes auf abyssinischen Eseln, die mit hohen Sätteln versehen und mit bunten Teppichen behangen sind.

Am häufigsten begegnet man indeß derartigen Frauenzügen zu Fuß. Ihnen voraus bewegt sich gravitätisch der dicke, würdige Eunuch mit langem Rohrstabe, um die Neugierigen von beiden Seiten der seiner Obhut übergebenen Heerde fern zu halten.

In achtungswerthem Anstandsgefühl meidet es der Morgenländer, den Blick auf vorübergehende, wenn auch tief verschleierte Frauen zu richten. Der harmlose Europäer kennt solche feinen moralischen Scrupel nicht; erhält sein Rücken indeß keine Verwarnung durch des Eunuchen kernfesten Stab, dann darf er darin keine Billigung seiner Keckheit, sondern nur die Anerkennung ausgedrückt finden, deren sich zu seinem Heil die europäischen Consuln erfreuen. Aber trotz der moralisch gebotenen Verhüllung lautet ein arabisches Sprüchwort: „Nur die Häßliche verbirgt sich,“ und hierauf läßt sich die Hoffnung bauen, daß der kecken Neugierde gegenüber einmal dennoch einer Schönen der Schleier entfallen werde.

Daß übrigens in der ägyptischen Frauenwelt moralische oder religiöse Scrupel stark im Schwange sind und zu nachhaltiger Geltung kommen, darüber konnte mir mein Freund, der bekannte Berliner Architekt Karl v. Diebitsch, den ich zu meiner Freude in Kairo vorfand, erbauliche Mittheilungen machen. Diebitsch, bekannt als Restaurator und geistvoller Fortbildner arabischer Architektur, neuerdings vielbesprochen wegen seines in Paris ausgestellten herrlichen arabischen Kiosk, von dem die Leipziger Illustrirte Zeitung jüngst eine Abbildung lieferte, war vom Vicekönig Ismael Pascha zur Ausführung größerer Bauten nach Kairo berufen und hatte neben anderen Gebäuden auch für einen reichen europäischen Bankier einen orientalischen Prachtbau durchgeführt, dessen Geschichte interessant genug ist, um als Beitrag zur Sittenschilderung modern-orientalischen Lebens hier erwähnt zu werden. Der Bankier, mosaischen Ursprungs, aber christlicher Convertit, welcher in sieben Jahren sein Vermögen von eintausend auf eine Million Pfund Sterling gebracht hatte, mußte wohl auch in der Frömmigkeit einen besonders hohen Grad erreicht haben; da seine Mittel es ihm erlaubten, glaubte er sich den Luxus einer eigenen christlichen Capelle in dem neuen Prachtbau gestatten zu können. Aber die Ungunst der Verhältnisse gewährte ihm den Genuß nicht, in der prächtig geschmückten Capelle seine Andacht zu verrichten. Er fiel beim Vicekönig in Ungnade und mußte mit seinen Millionen nach Paris übersiedeln, während sein schöner Palast an Nubar Pascha, den Minister der öffentlichen Bauten, vermiethet ward. Dieser, obwohl armenischer Christ, fand es sehr bedenklich, eine christliche Capelle im Hause zu haben, und ließ sie daher zumauern. Seine Gemahlin indeß, die Tochter eines reichen christlichen Juweliers aus Constantinopel, hielt noch strenger auf die Dehors; sie beklagte sich bei Herrn von Diebitsch, daß sie durch die Fensterkreuze – die Form des Kreuzes – bei den dominirenden Muhamedanern in den Verdacht kommen könne, mit ihrem Christenthum prunken zu wollen. Kurze Zeit darauf kaufte Mohammed Bey, ein Moslim, das Haus, und Herr v. Diebitsch mußte einen Theil des Gebäudes zum Harem umbauen. Da entstand plötzlich die heftigste Opposition unter den Frauen Mohammed Bey’s; sie wollten durchaus nicht in ein von einem Christen erbautes Haus hineinziehen, ja, selbst in dem Mausoleum, welches mein Freund für den Bey errichten sollte, wollten die gläubigen Frauen sich nicht einmal begraben lassen. Sie mietheten Leute, welche beim Beginn des Baues die Arbeiter mit Steinen von der Begräbnißstätte verjagen mußten. Nach diesen Symptomen erscheint in der That das von uns als unterdrückt bemitleidete schöne Geschlecht des Morgenlandes dem Fortschritt weniger zugethan, als man erwarten sollte.

Der Grund solcher religiösen oder fanatischen Richtung, die bei den Frauen des Orients sehr verbreitet ist, liegt unzweifelhaft in der Gesammtheit der orientalischen Institutionen, welche sich gegenseitig bedingen und halten und von denen man nicht die eine oder andere umbilden kann, ohne, wie das Ganze, so mit diesem die gesicherte Stellung der einzelnen zu gefährden. Diese innere Zusammengehörigkeit wird durch die Religionsanschauung sanctionirt, welche den Heiligenschein gerade über diejenigen Gestaltungen ergießt, die dem Europäer verdientermaßen am anstößigsten sind. Hierzu gehören vor Allem die Eunuchen, die ich geneigt bin, als besondere Träger und Repräsentanten des muhammedanischen Fanatismus anzusehen. Als Schutzpatrone ihrer weiblichen Pflegebefohlenen genießen sie eine besondere Achtung, welche sie durch gravitätisches Exterieur, durch moralisch-religiöse Haltung, durch eifriges Besuchen der Moscheen und treues Beobachten der Ritualien zur wahren Ehrfurcht zu steigern wissen, die ihnen auch zum Theil als Sühne für das ihnen zugefügte Unrecht erwiesen werden mag. Sie treten in würdiger Gestalt auf, und wie bei uns Bischöfen und Priestern, nahen sich ihnen viele der Vorübergehenden zum ehrfurchtsvollen Handkuß. Ihre Stellung ist namentlich in reichen Häusern oft sehr glänzend.

Ich hatte es mir zur Aufgabe gemacht, jedem Eunuchen, dem ich begegnete, die unbescheidene Bitte auszusprechen, mir zu einer Zeichnung zu sitzen. Immer aber wurde mein Gesuch mit Entrüstung zurückgewiesen, während doch andere Muselmänner keineswegs so difficil für die Gewährung meiner Bitte waren. Nur einmal gelang es mir, ein nachgiebiges Individuum dieser Species zu treffen; seine charakteristischen Züge schmücken den Führer des Frauenzuges auf dem Genrebild, welches diese Mittheilungen illustrirt. Zuerst wurde meine Bitte von ihm rundweg abgeschlagen, dann aber gestattet, wenn ich das Portrait in fünf Minuten auf der Stelle machen könnte und einen Fiorino (Gulden) opfern wollte. Der in kürzester Frist glücklich vollendete Umriß erregte die heitern Scherze der Umstehenden, allein der Eunuch erblaßte vor Schreck, als er seine wohlgetroffenen Züge in schwacher Bleistiftzeichnung, nicht in tiefem Schwarz, durchgeführt erblickte. Ein Silhouettenschneider in Schwarz würde seinem Wünsche besser entsprochen haben.

Eine unbezwingliche Eitelkeit, namentlich ihre Liebhaberei für Schmuck und Tand, macht die Eunuchen in hohem Maße habgierig und bestechlich. Auch „ihr Magen kann ungerechtes Gut vertragen“. Als Beleg führe ich eine Historiette an, die auch in anderer Hinsicht als Beispiel orientalischen Lebens gelten kann.

Eines Paschas Frau verliebt sich in einen jungen und schönen Wasserträger und besticht den Eunuchen, damit er in Abwesenheit des Gatten ihr den Geliebten zuführe. Aber die Aussicht des sichern hohen Lohnes macht den Eunuchen zum Verräther der treulosen Herrin. Zur bezeichneten Stunde überrascht der Pascha das zärtliche Paar; der junge Wasserträger wird bleich und zitternd aus seinem Versteck hervorgezogen und muß auf dem Divan Platz nehmen, während das treulose Weib genöthigt wird, dem vor Entsetzen halb ohnmächtigen Geliebten die Kaffeeschale, einen Schibuk und Wasser zu reichen, um Hände und Füße zu waschen. Aber die festliche Bewirthung nimmt ein schreckliches Ende. Der hintergangene Gatte ergreift die Treulose bei den Haaren und ein mächtiger Säbelhieb läßt ihr bleiches Haupt zu den Füßen des Geliebten rollen. „Du wolltest mein Weib, jetzt gehört es Dir!“ Dem vor Todesangst schlotternden Wasserträger wird der in einen Sack gesteckte Leichnam aufgebürdet, er muß ihn davontragen, um ihn den verschwiegenen Fluthen des Stromes zu übergeben. Allein einem Polizeibeamten erscheinen Träger und Bürde verdächtig, und die amtliche öffentliche Untersuchung constatirt die angegebenen Thatsachen, die in den mannigfachsten Verzerrungen lange noch Phantasie und Interesse der Bevölkerung Kairos beschäftigten. Es ist ein psychologisches Factum, daß der schauerliche Reiz solcher blutig verlaufenden Haremsgeschichten erhitzte Gemüther oft gerade zu kecken Frevelthaten stachelt.

Eine elegante Equipage rollt vorüber, in der eine verschleierte Dame in türkischer Kleidung sitzt; sie nickt mir zu, sie winkt mir mit der Hand. „Wie,“ fragt erstaunt mein Begleiter, „Sie haben schon Haremsbekanntschaften trotz Ihrer kurzen Anwesenheit?“ Ich bin selbst einen Augenblick im höchsten Grade überrascht, aber die hinten auf der Equipage stehenden Söhne des Sudan lösen mir schnell das Räthsel. Ich erkenne in ihnen die Diener der in der geographischen Welt bekannten holländischen Reisenden Fräulein Alexine Tinne, deren Bekanntschaft ich seit einigen Wochen gemacht habe und zu deren interessanter Behausung und Umgebung mich der freundliche Leser begleiten möge. Fräulein Tinne hat

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verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 652. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_652.jpg&oldid=- (Version vom 5.3.2017)