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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

Wer war die eiserne Maske? Mit Bestimmtheit können wir sagen: weder Fouquet, der 1680 in Pignerol gestorben ist, noch der Herzog von Beaufort, den die Türken bei der Belagerung von Candia erschossen haben, noch der Herzog von Monmouth, der in London öffentlich hingerichtet worden ist, noch der Graf Vermandois, der, an den Blattern gestorben, in Arras begraben liegt, noch endlich Matthioli, von dem mit höchster Wahrscheinlichkeit angenommen werden muß, daß er in Exilles gestorben ist. Indem wir alle diese Persönlichkeiten, die man für die eiserne Maske gehalten hat, bei Seite schieben, bleibt nur eine übrig, welche allerdings unter den verschiedenen bald hier bald da genannten unser größtes Interesse erregen würde, – wenn sie überhaupt existirt hätte.

Die eiserne Maske soll ein illegitimer älterer oder jüngerer Bruder Ludwig’s des Vierzehnten sein. Voltaire hat diese Vermuthung aufgestellt und in Folge des ungemeinen Ansehens des großen Philosophen, der bekanntlich nichts weniger als ein gewissenhafter Historiker gewesen, ist sie zu einer sehr verbreiteten geworden. Wer eine solche Thatsache aufstellt, muß Beweise für sie beibringen. Wo sind diese? Für die Behauptung, daß die eiserne Maske ein jüngerer Bruder Ludwig’s des Vierzehnten, ein Sohn Anna’s von Oesterreich und Mazarin’s, gewesen sei, läßt man eine zweite Behauptung den Beweis übernehmen: die Königin Wittwe sei mit Mazarin heimlich vermählt gewesen. Das ist möglich, mehr nicht, und nirgends findet sich auch nur die leiseste Andeutung, daß aus dieser Verbindung ein Sohn hervorgegangen sei.

Mehr einem Beweise sieht das ähnlich, was man dafür gesagt hat, daß die eiserne Maske ein älterer Bruder Ludwig’s des Vierzehnten gewesen sei. Ist das wahr, so kann die Geburt nur 1631 erfolgt sein. Mit dieser Zeit beschäftigt sich ein merkwürdiges Tagebuch, das 1648 im Druck erschien ist und für dessen Verfasser Richelieu selbst gilt. Ein näheres Eingehen auf den Inhalt dieses fürchterlichen kleinen Buches, wie Michelet es nennt, verbietet sich in einer Zeitschrift, auf deren Zeilen schöne Augen zu ruhen pflegen. Genug, daß Anna von Oesterreich beschuldigt ward, einen Ehebruch begangen und die Folgen, ein kaum entstandenes Leben wieder vernichtend, beseitigt zu haben. Also auch dieser einzige angebliche Beweis, daß ein älterer Bruder Ludwig’s des Vierzehnten am Leben gewesen und wegen seiner großen Aehnlichkeit mit dem König den Augen der Menschen entzogen worden sei, wird hinfällig. Man hat dies zugeben müssen und alle Bemühungen darauf gerichtet, einen indirecten Beweis zu führen. Wäre die eiserne Maske kein Bruder des Königs, hat man gefragt, warum dann dieses Geheimniß, dieses Ketten des Gefangenen an Saint Mars, die gute Verpflegung und besonders wozu die eiserne Maske?

Die Erklärung aller dieser Maßregeln haben die neuesten geschichtlichen Forschungen über das alte französische Gefängnißwesen gegeben. Besonders werthvoll sind die Aufschlüsse, welche Ravaisson’s im vorigen Jahre erschienene „Archive der Bastille“ liefern. Die eiserne Maske wurde genau so behandelt wie alle Gefangenen, die in „geheimster Haft“ (au secret absolu) saßen. Ohne auf die Leiden, die man wichtigeren Gefangenen zufügte, die geringste Rücksicht zu nehmen, hatte man nur das Eine im Auge, daß sie für die ganze übrige Welt todt seien, und dies Verfahren beschränkte sich nicht auf Frankreich allein. Auch Deutschland hat seine Oublietten gehabt, und erst durch die Julirevolution sind die armen Carbonari, deren Existenz von der Hofburg aus bis in’s Kleinste geregelt wurde, aus ihren Zellengräbern auf dem Spielberg erlöst worden.

Ehe die eiserne Maske, sagt man weiter, in der Bastille ankam, wurde für sie ein Zimmer besonders möblirt. Das war keine Auszeichnung, sondern Regel. Erst seit 1746 hat es in der Bastille möblirte Zimmer gegeben. Wenn 1698 ein Gefangener kam, hatte er sich mit dem Tapezierer der Bastille über seine Einrichtung zu verständigen. Im Jahre 1709, sechs Jahre nach dem Tode der eisernen Maske, wies der König Gelder an, um für fünf bis sechs Zimmer Möbeln, nämlich ein Bett, einen Tisch und zwei Stühle, anzuschaffen. Die Möbeln der eisernen Maske sollen sehr kostbar gewesen sein. Wer hat sie gesehen, wer über sie berichtet? Wie die Einrichtung in Exilles beschaffen war, wissen wir. Daß sie in der Bastille nicht besser gewesen, schließen wir unter Anderm aus den Klagen eines andern Gefangenen von Stande, dessen Gefängniß unter dem der eisernen Maske lag, und zwar im zweiten Stock, so daß er es gewiß nicht schlechter gehabt hat, als sein Leidensgefährte im dritten Stock.

Daß die eiserne Maske gute Kost gehabt hat, ist gewiß. Alle Gefangenen hatten ihre Verpflegung nur zu loben. Lägen nicht authentische Beweise vor, so könnte man an den Tafelluxus, der in der Bastille herrschte, kaum glauben. Jedes Mittagessen bestand aus mindestens drei Gerichten und einem Nachtisch, Alles reichlich und wohlschmeckend. Dazu wurden zwei Flaschen Wein gegeben und am Abend gab es eine dritte. Die Schließer brauchten zum Abdecken eine lange Zeit, denn sie gingen langsam von Zelle zu Zelle, um unterwegs das Uebriggebliebene zu verzehren. Die Speisereste überließ ihnen jeder Gefangene, die Weinneigen keiner. War bei Tische noch kein Durst da, so kam er gewiß später. Kranken schickte der Gouverneur Speisen von seiner Tafel, und die eiserne Maske, die oft unwohl war, wird dieser Gunst auch oft genossen haben. Der Gouverneur, der die Speisung besorgte und dem Staat große Rechnungen zu machen verstand, hatte natürlich ein Interesse daran, daß seine Gefangene leben blieben, und pflegte sie daher gut.

Daß der Gefangene, der den Namen der eisernen Maske führt, in der Bastille nicht zu den Vornehmen gerechnet wurde, ergiebt sich mit Gewißheit daraus, daß er in einem Thurm untergebracht wurde. Die „Personen von Distinction“ erhielten Gefängnisse in den Gebäuden zwischen den Thürmen, die armen Teufel steckte man in die letzteren und zwar jeden zu seines Gleichen. Der Dieb kam zum Diebe, der Fälscher zum Fälscher, der Giftmischer zum Giftmischer. Da der unter der eisernen Maske sitzende Gefangene ein Spion war, so läßt sich mit großer Wahrscheinlichkeit annehmen, daß auch jener ein Spion gewesen sei. War er es, so erklärt sich, daß er Saint Mars bei jeder Versetzung desselben zu folgen hatte. Er hatte bei seinem Gewerbe Staatsgeheimnisse erfahren, die es räthlich machten, mit seinem Hüter nicht zu wechseln.

Aber die eiserne Maske? Man erinnere sich doch der Einrichtungen bei unserem modernen Zellensystem. Wie wird dafür gesorgt, daß kein Gefangener mit dem andern verkehre, keiner den anderen sehe! Selbst „eiserne Masken“ sind früher wenigstens üblich gewesen, namentlich wenn ein Sträfling in’s Sprechzimmer geführt wurde. Der Mann mit der eisernen Maske saß in geheimster Haft und durfte sein Zimmer eigentlich nie verlassen. Er kränkelte und aus Humanität gestattete man ihm Spaziergänge, ließ ihn aber eine Sammetmaske tragen, damit Niemand ihn erkenne. Wahrscheinlich hat es vor ihm verschiedene Männer mit der eisernen Maske gegeben, und er als der letzte hat sich im Andenken der Menschen erhalten, die auf ihn, wie es mit Repräsentanten einer ganzen Classe zu geschehen pflegt, alle die Romantik concentrirt haben, welche mit den Schicksalen mancher seiner Vorgänger verbunden gewesen sein mag.




Die Wunder der Coulissenwelt.
Das Chaos hinter den Coulissen. – Der Schnürboden und sein Takelwerk. – Die Versenkungen. – Der Fahrstuhl des Maschinisten. – Die Beleuchtungsapparate. – Blitz und Donner. – Der Einschlagapparat. – Die Windmaschine. – Der Regen.


Wenn im prachtstrahlenden Zuschauerraum eines neuen Theaters die staunende Menge vor den Geheimnissen des Vorhangs sitzt, in den Garderobezimmern die Künstler und Künstlerinnen des Dramas, der Oper oder des Ballets für das verkündete Spiel die Glieder geschmückt haben, der Dirigent an sein Orchesterpult, der Souffleur in seinen Kasten eilt und der Director Regisseure und Maschinenmeister, wie der Capitän eines Schiffs Officiere und Steuerleute, auf ihre Posten stellt und „alle Mann an Bord“ ruft, – in solchen Augenblicken ist die Bühne ein unnahbares Heiligthum, und wenn der Vorhang endlich sich erhebt, steht sie vor uns als das Spiegelbild all’ der Natur und Kunst, die draußen in der Welt seit Ewigkeit den Rahmen für das große Bild darstellen, welches „Leben“ heißt.

Und welche Erscheinung der Natur, welche Gestaltung der Kunst kann sich heutzutage der Nachahmung auf der Bühne entziehen? Keine! Ueber wogendem Meere raucht der Feuerberg

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verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 649. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_649.jpg&oldid=- (Version vom 19.2.2017)