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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

Und ob mit Wasser vollauf getränkt, so glomm doch immer wieder jener erzne Haufen der Glocken in einzelnen Funken auf, Rauchwölkchen stiegen über den verstummten Stimmen empor und zogen hinauf zu jenem halbverbrannten Christus am Kreuz in der Tiefe des Glockenhauses, dessen Dornenkrone die Strahlen der Sonne, welche durch’s schmale Fenster drangen, hell und licht umglänzten und der über diesem seltsamen Grabe sein Haupt herab neigte und seine Arme breitete. Grauenhaft!

Ob der Dom in seiner alten Herrlichkeit wieder aufgebaut werden wird, oder ob Frankfurts Bürger das stolze Gebäude in Schutt und Asche liegen lassen werden – ich weiß es nicht, denn noch ist ein bestimmter Entschluß nicht gefaßt worden und noch denkt man im übrigen Deutschland wenig an die Ehrenschuld für Wiederherstellung dieses Denkmals deutscher Macht und deutscher Geschichte. Gebe der Himmel, daß die Glocken, wenn sie wirklich wieder über das schöne Gelände am Mainstrom erschallen, hinaus in ein einiges, glückliches Deutschland tönen!

M. v. Humbracht.




Neues Licht in ein altes Dunkel.


Wer von unsern Lesern hat nicht schon von dem Manne mit der eisernen Maske gehört? Wer nicht im Birch-Pfeiffer’schen Stücke diese unheimliche Erscheinung über die Bretter schreiten sehen? Wenn wir trotzdem diese geheimnißvolle Gestalt nochmals vorführen, so liegt unsere Berechtigung dazu in einer ganzen Reihe auf die merkwürdige Geschichte bezüglicher Thatsachen, die erst in neuester Zeit zu Tage gefördert worden sind. Bisher erzählte man von der eisernen Maske bloße Episoden, die zum kleinern Theil auf der im Mittelmeere nahe der französischen Küste liegenden Insel Marguerite, zum größern Theil in der Bastille spielten. Jetzt können wir der ganzen Kette von Gefängnißscenen folgen, die, in Pignerol beginnend und über Exilles – unweit Susa in Piemont – und Marguerite zur Bastille laufend, das Material zu der Geschichte des Mannes mit der eisernen Maske geliefert haben.

In einer Decembernacht des Jahres 1678 öffnete sich eine Hinterpforte der kleinen französischen Festung Pignerol, die, am Ausgange der Alpen gelegen, jetzt zu Piemont und zwar zur Provinz Turin gehört, für einen Fremden von militärischer Haltung. Pignerol hatte damals zwei Commandanten, den einen für die ganze Festung, den andern speciell für den Schloßthurm, der ein Staatsgefängniß war, und augenblicklich befanden sich zwei vornehme Gefangene daselbst, der Graf von Lauzun und der Oberintendant Fouquet. Der Commandant des Thurmes empfing den Fremden, der auf die geheimnißvollste Weise eingeführt wurde, persönlich am Eingange. In jener Nacht war es ein Officier, dessen Name Saint Mars blos einigen Cameraden und den Vorgesetzten bekannt war. Durch die Begebenheiten aber, die sich an das Erscheinen des Fremden knüpften, sollte er in beiden Welten zu einer traurigen Berühmtheit gelangen. Den wirklichen Namen des Gastes, den er begrüßte, kannte er nicht. Derselbe werde sich Richemont nennen und müsse für einen Staatsgefangenen gelten – das war Alles, was Saint Mars durch ein Schreiben des Kriegsministers Louvois erfuhr. So lange Richemont in Pignerol verweile, ordnete der Minister an, trete die den Staatsgefangenen Lauzun und Fouquet ertheilte Erlaubniß Besuche zu empfangen, außer Wirksamkeit. Dagegen könne Richemont mit den Beiden verkehren, das werde ihm helfen, sich die Zeit seines Aufenthaltes zu verkürzen, dessen Dauer sich noch nicht bestimmen lasse. Mehr hat Saint Mars über den Namen und die Mission des Fremden amtlich nie erfahren. Auf indirectem Wege verschaffte er sich indeß die Gewißheit, daß der angebliche Richemont der General Catinat, einer der besten von Ludwigs des Vierzehnten Feldherren, sei.

Im April des nächsten Jahres traf ein zweites Schreiben des Kriegsministers an Saint Mars ein. Es lautete dahin, daß die Verhaftung eines Mannes, mit dessen Betragen der König unzufrieden zu sein Ursache habe, nahe bevorstehe. Mit Niemand dürfe derselbe sprechen, Niemand dürfe wissen, daß Pignerol einen neuen Gast beherberge, und der Gefangene selbst sei so zu behandeln, daß er sein schlechtes Benehmen bereue. Der so übel Empfohlene war der Graf Ercole Antonio Matthioli; er hatte sich in der That schlecht benommen und Ludwig dem Vierzehnten alle Ursache zur Unzufriedenheit gegeben. Frankreich strebte nach dem Besitz von Casale, einer Festung, welche die Hauptstadt des Montferrat und einer der Schlüssel von Italien war. Obgleich nur sieben deutsche Meilen von Turin gelegen, gehörte Casale zu Mantua, mit dessen Herzog, Ferdinand Karl, sich ein Wort reden ließ. Er war ein Spieler und Verschwender mit keinem Pfennig in der Tasche. Auf Jahre voraus waren seine Einkünfte den Juden verpfändet. Er ließ sich gewiß auf einen Verkauf ein, und Matthioli, sein Günstling und Vertrauter, übernahm bereitwillig die Vermittelung. Er erschien in Versailles, nahm einen kostbaren Ring und vierhundert doppelte Ducaten dankend entgegen und erhielt eine weit größere Belohnung zugesichert, wenn er das Geschäft zu Stande bringe und bis dahin das tiefste Stillschweigen bewahre. Diese letztere Bedingung war keine müßige, denn erfuhren Spanien und Piemont, was im Werke sei, so wurde Alles vereitelt. Matthioli versprach Alles, aber da Turin und Mailand auf seinem Wege lagen, so benutzte er die bequeme Gelegenheit, sein Geheimniß an Spanien und Piemont zu verkaufen. Der Plan mit Casale war vereitelt, blos noch rächen konnte sich Ludwig der Vierzehnte, und dazu traf er die Vorbereitungen, von denen wir erzählt haben.

Matthioli hatte keine Ahnung davon, daß man in Versailles seinen Verrath kenne, und ging in eine ziemlich plumpe Falle. Der Abbé Estrades, französischer Gesandter in Turin, redete ihm ein, daß Catinat, die Hände voll von Gold, in Pignerol angekommen sei, um in einer persönlichen Zusammenkunft Alles zum Abschluß zu bringen. Matthioli willigte in die Unterredung, kam nach Turin und wurde ganz arglos, als ihm gesagt wurde, daß Catinat in einer Kirche dicht vor den Thoren auf ihn warte. Er stieg mit dem Abbé in den Wagen und wurde im Galopp über die französische Grenze geführt. Noch an demselben Tage befand er sich in Pignerol und in den Händen von Saint Mars. Es war ein Maitag, an dem er die Sonne zum letzten Male als freier Mann aufgehen sah.

Catinat war mit Matthioli’s Einbringen von seiner freiwilligen Gefangenschaft noch nicht erlöst. Es war ihm die Aufgabe gestellt, sich die Beweisstücke der fehlgeschlagenen Unterhandlung zu verschaffen. Der Herzog von Mantua besaß blos die Abschriften der Documente, die Originale hatte Matthioli in seinem väterlichen Hause zu Padua vermauern lassen. Man drohte ihm nun mit der Folter, bis er einen Brief an seinen Vater schrieb, der die Auslieferung der Documente zur Folge hatte. Da den Feinden des Königs jetzt die Mittel genommen waren, die Existenz einer Intrigue, die einen beinahe lächerlichen Ausgang genommen hatte, zu beweisen, so hatte Catinat seine Mission beendet. Ehe er Pignerol verließ, empfahl er Saint Mars, den Gefangenen, den er Lestang nannte und dessen wahren Namen nicht einmal die Officiere des Schloßthurms kannten, „hinsichtlich der Reinlichkeit und Nahrung so gut wie möglich (fort honnêtment) zu behandeln, ihm aber jede Verbindung mit der Außenwelt abzuschneiden.“ Louvois bestätigte jedoch diese Anordnung seines Agenten nicht. „Es ist nicht die Absicht des Königs,“ schrieb er an Saint Mars, „daß der Herr Lestang gut behandelt werde. Se. Majestät befiehlt vielmehr, daß man blos seine nothwendigsten Bedürfnisse befriedigt und ihm nichts giebt, was das Leben angenehm macht.“ Auf diese Weisungen kommt er mehrmals zurück. „Was die Härte betrifft, mit welcher der genannte Lestang zu behandeln ist, so hat es dabei sein Bewenden,“ heißt es in einem seiner Briefe und in einem zweiten schreibt er: „Der genannte Lestang muß in der strengen Haft gehalten werden, von der ich Ihnen geschrieben habe, und man darf ihm nur dann einen Arzt bewilligen, wenn es unbedingt nothwendig ist.“

Der Gefangenwärter, dem Matthioli übergeben war, hatte seine Laufbahn als einfacher Soldat in der ersten Compagnie der königlichen Musketiere begonnen. Auf die Empfehlung seines Hauptmanns d’Artagnan wurde er mit der speciellen Bewachung Fouquet’s betraut und mit einer Freicompagnie, die man eigens

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verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 647. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_647.jpg&oldid=- (Version vom 19.2.2017)