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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

Frankfurt, Mainz, Stuttgart, Ludwigsburg und Wiesbaden mit Ausnahme der exclusiven Gesellschaft, die wärmste, in nördlicheren Städten, wie Aschersleben, Halberstadt, Magdeburg, schon kühlere und in seiner Vaterstadt Leipzig die kühlste Aufnahme gefunden, wandte er sich wieder dem treubewährten Süden zu, mußte aber in Stuttgart das Verbot öffentlicher Vorträge, in Frankfurt und Mainz sogar Ausweisung erleben und fand somit Goethe’s Wort auch für sich bestätigt: „Am meisten ärgert sie’s, sobald wir vorwärts gehen.“

Diese neue Erfahrung, „daß das politisch damals in Schlummer gewiegte Volk auch durch die Wissenschaft nicht geistig wieder geweckt werden sollte und daß man hinter jedem Aufklärungsversuch nur eine revolutionäre Propaganda witterte“, war ganz geeignet, Roßmäßler zu dem strengen, ja harten Demokraten zu machen, der sich zu der herrschenden Partei in den schroffsten Widerspruch setzte, und ihn erst recht zu bestärken in seinem Volkslehreramt, welchem er nur noch als Schriftsteller dienen konnte, nachdem sein Volkslehrstuhl durch Polizeimaßregeln zertrümmert war.

Ehe Roßmäßler in diese neue Bahn einlenkte, brachte er sein strengwissenschaftliches Hauptwerk der „Ikonographie der Konchylien“ zum Abschluß; er bereiste zu diesem Zweck im Jahr 1853 das südliche Spanien, wo die Natur und der Mensch die Hauptgegenstände seiner Forschung waren, die er in einem sehr lesenswerthen Buche („Reiseerinnerungen etc.“) schilderte. Von den großen und kleinen und besonders zahlreichen zeit- und flugschriftlichen Veröffentlichungen Roßmäßler’s in dieser Periode gilt ein für alle Mal als Gemeinschaftliches, daß Volksbildung ihr Zweck ist, sie mögen aus den weiten Gebieten der Naturwissenschaft, der Politik oder der Pädagogik, aus der Geschichte der Erde und der Völker oder aus der Bewegung der Gegenwart ihre Stoffe gezogen haben. Das Bild des nach Belehrung verlangenden Volks stand stets vor seinen Augen, so oft er die Feder ansetzte zu einem öffentlichen Wort. Von den größeren volksthümlichen Werken sind die bekanntesten: „Die vier Jahreszeiten“, in welchen er dem deutschen Volke die innige Verknüpfung seines Wesens mit der Natur seiner Heimath zum Bewußtsein zu bringen sucht; „Das Wasser“, von dem sein Freund Ule sagt: „In keiner andern seiner Schriften begegnen wir einer solchen Klarheit und Lebendigkeit der Darstellung, einer solchen Innigkeit und Wärme der Empfindung, die sich bisweilen zu poetischem Schwunge erhebt. Von keiner andern gewinnt man so sicher den Eindruck, daß zu den gründlichen wissenschaftlichen Studien des Verfassers sich eine Naturbeobachtung gesellte, bei welcher Herz und Sinn gleich betheiligt waren.“ Und in seinem letzten großen Werke „Der Wald“ will er „diesen Schmuck der deutschen Landschaft, diesen Urquell des deutschen Volkscharakters dem deutschen Volk als sein Eigenthum bewahren und den Wald unter den Schutz des Wissens Aller stellen.“

Ist dem treuen Patrioten für diese seine großen schriftstellerischen Leistungen die Genugthuung öffentlicher Anerkennung reichlich zu Theil geworden, so hat er dagegen fast nur Bitteres, nur das Niederdrückende der Mißerfolge in allen seinen direct auf Besserung der Volksschule, Hebung der Volksbildung gerichteten Bestrebungen und Unternehmungen erfahren. Seine mehrmaligen Anträge in den Versammlungen der deutschen Naturforscher und Aerzte auf Begründung einer Abtheilung für naturwissenschaftlichen Unterricht verhallten so ungehört, wie seine Mahnungen an die Fortschrittspartei, der Volksschule ihre Sorge und ihren Schutz zuzuwenden. Vergebens rief er den Männern der Presse, den Hochmögenden und Parteiführern zu: „Erleichtert unseren Nachkommen den Fortschritt, indem Ihr ihnen ein aufgeklärteres Volk heranbildet!“ – Vergeblich mahnte er das Volk selbst, den armen Lehrern den Kampf für die Schule gegen die Uebermacht der Kirche nicht allein zu überlassen. Er wurde ignorirt, wenn nicht gar belächelt, – und es ist eine traurige Rechtfertigung seiner Sorge, daß der größte Theil des „norddeutschen“ Volkes heute bei seinen directen Wahlen sich vielfach der freien Wahl so unfähig erweist.

Ebenso vergeblich endlich strebte der rastlose Mann darnach, sich eigene Gemeinden zu schaffen, um im innigen Verkehr mit ihnen sein Ziel der naturwissenschaftlichen Volksbildung zu verfolgen, und zwar durch die Begründung einer Wochenschrift „Aus der Heimath“, die das Volk heimisch machen sollte in der Natur, und durch die Stiftung der „Humboldt-Vereine“, welche den festen Stamm bilden sollten für die Volks-Akademieen der Zukunft. Den Untergang der für das Volk, für die große Menge berechneten Zeitschrift mußte er selbst noch erleben, und die Humboldt-Vereine gehen sichtlich ihrer Auflösung entgegen. Wer das vergebliche Ringen des Mannes auf diesem Kampffelde überschauen will, der lese seine 1865 Adolph Diesterweg gewidmete Broschüre „Volksbildung“. Sie ist sein letzter schwerer Seufzer um sein verfehltes Streben gewesen.

Trotz alledem schmälert dies das Verdienst des Mannes um sein Volk nicht: es umhüllt nur einen Theil seines Ehrenkranzes mit dem Flor des Dulders, den wir beklagen und bewundern zugleich. „Wir werden oft uns noch rühmen, ihn gekannt und geachtet zu haben,“ sprach Brehm zur Erinnerungsfeier an den Todten, – und so sicher wir sind, daß, was er erstrebte, das deutsche Volk noch erringen wird, so gewiß wird sein heute noch schmuckloses Grab einst der Granitblock zieren, der keiner anderen Inschrift bedarf als: „Emil Adolph Roßmäßler, geboren am 3. März 1806, gestorben am 9. April 1867.“ – Das Uebrige wird dem Volke treu im Gedächtniß und im Herzen stehen.

F. H.




Eine Locke des Königs von Rom.
Von George Hiltl.


Um die Mitte des Augustmonats des Jahres 1815 waren die officiellen Festlichkeiten, die Soiréen und Bälle der vornehmen Gesellschaft Wiens sehr glänzend und heiter. Der Gefürchtete – der Störer des Friedens und der Behaglichkeit, der Riese von Ajaccio – Napoleon war endlich nach gewaltigem Kampfe unterlegen und über den Ocean hatte ihn das Schiff der Engländer getragen, von dessen Verdeck aus der gestürzte Welterschütterer wehmuthsvoll die Abschiedsworte gerufen hatte: „Adieu, terre des braves! je te salue! Adieu France! Adieu!“

Aengstlich lauschte man auf Nachrichten. Die Kunde von der glücklichen Landung des Northumberland auf St. Helena machte die Aengstlichen noch freier von dem Alp, der auf ihrer Brust gelegen hatte, denn schon fürchtete man, daß unterwegs ein Befreiungsversuch gewagt werde, aber St. Helena schien ein unzugänglicher Kerker – dorthin drang kein kühner Enthusiast, an jenen Basaltfelsen mußten die verwegensten Pläne zur Rettung des Kaisers scheitern.

Dessenungeachtet blieb der gefesselte Napoleon noch immer ein Gegenstand der Furcht, und die Engländer, welche die größte Sorglosigkeit zur Schau trugen, fürchteten ihn am meisten. Jede Vorsichtsmaßregel ward ergriffen. Absperrung des einzigen Landungspunktes, Posten auf jedem Vorsprunge, Kreuzerschiffe und hundert Signalstangen, scharfe Visitation der landenden Schiffe – Alles um einen gefangenen Mann. Außerdem wachte man mit ängstlicher Sorgfalt über die etwaigen Verbindungen, welche Napoleon mit seinen Freunden unterhalten konnte; man ließ auf Sir George Cockburn den Sir Hudson Lowe als Wächter folgen, und zur vollständigen Sicherheit setzte die Convention vom 2. Aug. 1815 noch fest, daß Commissarien der verbündeten Mächte ernannt werden sollten, von denen je einer auf der Insel seinen Wohnsitz zu nehmen habe, um sich zu überzeugen: „daß Napoleon auch wirklich noch vorhanden und nicht etwa von Helena entwichen sei“. Diese Commissarien hatten besonders den gefürchteten Verkehr des Kaisers mit der Heimath zu überwachen, sie sollten Sir Hudson Lowe unterstützen. So glaubte man vollständig sicher zu sein und einen unerschütterlichen Frieden zu genießen, welchen der sorgfältig Bewachte allerdings oft gestört hatte. Oesterreichischer Seits war zu dem Amte eines Commissärs der Baron von Stürmer ausersehen

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