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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

Nach einer kleinen Weile erhob sich Susi, fuhr sich wie besinnend über die Stirn und blickte dann Franzi mit einem Lächeln voll unendlicher Liebe und innigen Zutrauens in’s Angesicht, sie öffnete schon den Mund, als Waldhauser in seinem gierigen Streben, ja kein Wort des Gespräches zu verlieren, an die Schwelle tappte und ein Geräusch verursachte, das, so leise es war, Franzi’s feinen Sinnen nicht entging. Im Nu erhob sie sich, trat zur Thür und hatte sie geöffnet, eher Waldhauser Zeit gefunden hatte, sich zu entfernen. Betroffen stand er vor ihr und antwortete auf die Frage nach seinem Begehren nur stotternd, es sei hohe Zeit wieder aufzubrechen; er habe bei der Schwester nachsehen wollen, ob sie noch nicht bereit sei.

„Ich komme,“ sagte Susi, die Haarflechten zurecht steckend, „geh’ nur voran, Bruder – in einigen Minuten bin ich reisefertig …“

Er schien noch zögern zu wollen, vielleicht in der Absicht noch etwas von den Anliegen der beiden Mädchen zu erfahren; aber Franzi wich nicht von der Schwelle und rief, nach der Treppe deutend: „Auf was warten Sie noch, Herr Aicher? Was wir Ihnen sagen wollen, werden Sie schon noch erfahren und zu horchen giebt es nichts!“

Zornig, ohne Erwiderung rannte er fort, Susi aber zog die Freundin an sich und sank an ihre Brust. „Ich muß fort von Dir,“ flüsterte sie, „aber mein Herz bleibt bei Dir zurück! Wie froh bin ich, wie glücklich, daß mich unser Herrgott daher geführt hat zu Dir … nicht wahr, Franzi, Du wirst mich nicht verlassen?“

„Niemals – so lang’ ich ein offnes Aug’ hab!“

„Und was wir geredet haben, das bleibt ein Geheimniß zwischen mir und Dir?“

„Bis ich in der Gruben lieg’ – und was ich Dir versprochen hab’, das halt’ ich auch – darauf kannst leben und sterben!“

„O Franzi – wenn Du das möglich machen könntest, dann wär’ Alles gut, dann wollt’ ich glückselig sein, wie ein Engel im Himmel!“

„Verlaß Dich darauf, Susi! Schau, ich hab’ mein Mutter früh verloren, wie ich noch ein ganz kleines Dirnl war – so früh, daß ich mir gar nimmer recht einbilden kann, wie sie ausgeschaut hat; nur manchmal im Schlaf, im Traum, da seh’ ich sie vor mir, als thät sich ein liebes gutes bekanntes Gesicht auf mich herunterneigen … und doch ist mir meine Mutter das Heiligste, das Liebste auf der Welt! Ich kann Dir’s drum nit heiliger versprechen, – aber so gewiß als ich mein’ liebe gute Mutter gern hab’, so gewiß halt’ ich auch und führ’s aus, was ich Dir versprochen hab! … Nimm Dich zusammen,“ fuhr sie fort, da Susi in Thränen ausbrechend ihr wieder die Arme um den Nacken schlang, „ich hör’ schon den Wagen vorfahren; Niemand darf sehen, daß Du geweint hast, Du mußt Dich couragirt zeigen, sonst machen wir uns die Sach’ nur selber schwer.…“

Sicher, ruhig und fest faßte sie der Freundin Hand und geleitete sie hinunter an den schon bereitstehenden Wagen; kein Wort ward mehr zwischen ihnen gewechselt; sie sahen einander nochmals in die Augen, reichten sich die Hände, und das Gespann sauste hinweg, um in wenigen Augenblicken in der Nacht zu verschwinden. Eine Weile noch blieb Franzi stehen, horchte dem Verhallen des Wagengerassels und sah in die Mondsichel empor, die silbern über den Tannenwipfeln herauf stieg und diese mit noch tieferem Dunkel übergoß. Die Begebnisse des Tages zogen an ihrer Seele vorüber, bis ein Rauschen in den Büschen sie aufschreckte: im ungewissen Mondlicht glaubte sie eine Gestalt aus denselben hinweghuschen zu sehen. „Ist wer da?“ rief sie entschlossen hinzutretend, aber Alles blieb still und reglos, nur ein paar Zweige schwankten noch gegen einander. … „Es wird ein Nachtvogel gewesen sein, den ich aufgeschreckt habe,“ sagte sie und schritt dem Hause zu, „vor solchem Gezücht fürchten wir uns nit!“

Im Flur kam ihr der Wirth entgegen und schnurrte sie zornig an. „Ist das auch eine Aufführung für einen Dienstboten, für eine Kellnerin? Die Frau kann keinen Schritt aus der Kuchel fort, alle Stuben sind voll von Leuten, und Du läßt mich allein wirthschaften und setzest Dich in den oberen Stock hinauf, in den Heimgarten und auf den Ratschmarkt?“

Franzi nahm dem Scheltenden Geschirr und Krüge ab, die er eben trug, und sagte gelassen: „Ich kann dem Wirth nit Unrecht geben – aber es geht halt nit anders und so wird’s wohl das Gescheidteste sein, wir gehen auseinander … in vierzehn Tag’ hat der Wirth eine bessere Kellnerin und ich geh’ meiner Weg’.…“

Verblüfft sah ihr der Wirth nach, als sie auf der Kellertreppe verschwand. Dieser Ausgang war ihm unerwartet und auch unerwünscht, denn trotz alles Scheltens mußte er sich doch selbst gestehen, daß er zu suchen haben werde, bis er einen Ersatz von gleicher Verlässigkeit und Redlichkeit gefunden habe. „Was ist das jetzt wieder?“ brummte er. „Wie man ein Wort sagt, hat man den Strohsack vor der Thür – der Kuckuk kennt sich aus in der verruckten Person!“

(Fortsetzung folgt.)




Ein treuer Freund des Volkes.


Am sogenannten „Verbrechertisch“ einer Leipziger, den freisinnigen Gästen der alten Meßstadt wohlbekannten Restauration konnte man bis in die Mitte unserer sechsziger Jahre häufig in den Abendstunden im bunten und oft freundlich gemischten Kranze der Gesellschaft einen Mann sehen, der schon durch seinen Kopf allein Jedem auf den ersten Blick auffallen mußte. Weiß umrahmt von Haar und Vollbart traten die stark ausgeprägten Züge des Gesichts mit der hohen Denkerstirn und mit den scharfblickenden Augen hinter der Brille sichtlich gemüthsbelebt hervor; edler Humor und Wohlwollen, aber auch selbstbewußte Ueberlegenheit und Entschiedenheit sprachen aus ihm, schon ehe der beredte Mund von alledem Zeugniß abgelegt. Auch das war auf den ersten Blick zu erkennen, daß der Mann mit dem Altersschmuck des Hauptes nicht blos deßhalb von Allen ausgezeichnet wurde, sondern daß er als der geistige Führer des Worts an dem seltsamen „Tische“ erschien. Die „Verbrecher“, welche demselben den verdächtigen Namen geben, waren nämlich keine Erfindung irgendwelchen Wirthshausscherzes, sondern an diesem Tische fanden sich wirklich zuweilen viele von den Männern zusammen, welche ihre Theilnahme an den politischen Bewegungen der Erhebungsjahre 1848 und 1849 in deutschen Gefängnissen gebüßt und zum Theil nach schweren Kämpfen ihre bürgerliche Stellung als Gelehrte oder Schriftsteller, Geschäftsleute oder Handwerker erst neu wieder begründet hatten. Ungebeugten Muthes hielten solche Leidensgenossen an der alten Ueberzeugung fest, und die gleiche Gesinnung führte Andere und Jüngere ihrem Kreise zu, die eben an diesem „Verbrechertisch“, wie der gute deutsche Volkswitz ihn benannt, ihre Abendrast mit geistig erfrischenden, den Kopf oben und das Herz jung erhaltenden Gesprächen würzten. Eben darum statteten sie ihr „Kneiplocal“ mit allerlei Denksprüchen aus. Da las man (und liest noch) gerade über dem Verbrechertisch den Denkspruch:

„Hinab mit dem Trunk, wenn er klar ist,
„Heraus mit dem Wort, wenn es wahr ist“;

von demselben Manne, dem diese Erinnerungen gewidmet sind, stammt der den Kern seines ganzen Wirkens und Strebens kennzeichnende Spruch:

„Wer das Kind nicht ehrt und den Menschen, der in ihm steckt,
Und den Lehrer nicht, der den Menschen weckt –
Wer die Schule nicht vor ihren Drängern vertheidigt,
Der hat den Genius der Menschheit beleidigt“ –;

und an diesem Tische war es, wo derselbe Emil Adolph Roßmäßler, dessen merkwürdig ähnliches Portrait unsere Mittheilungen begleitet, einst in tiefer Erregung sprach: „Wollt Ihr einen alten Mann sehen, der nur noch Eine Idee in seinem grauen Kopf hat, so seht mich an; jene eine Idee ist aber die Schule, die Volksschule und deren Besserung.“

Wenn wir das Verdienst eines Menschen nur nach den Erfolgen seines Strebens bemessen dürften, so würden wir einen schweren Stand haben, Roßmäßler auf die entsprechende Ehrenstufe

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verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 628. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_628.jpg&oldid=- (Version vom 29.1.2017)