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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

ihm ein paar herzhafte Küsse auf Mund und Wangen. „So soll’s sein, wie Du gesagt hast!“ rief er wieder. „Die Grünach soll die Grenz’ sein von heut an! Wem’s nit recht ist, der hat’s mit mir zu thun – der soll’s nur sagen, daß ich’s ihm recht mach’ …“

In der allgemeinen Freude hatte Niemand mehr auf den Amtmann geachtet, der ingrimmig bei Seite getreten und seiner Frau, die längst in voller Entrüstung ihr Skizzenbuch zugeklappt hatte, das Kaffeegeschirr zusammen zu stellen behülflich war. So sehr er innerlich vor Wuth bebte, besaß er doch Weltklugheit und Schliff genug, es zu verbergen; er fühlte, daß er sich eine Blöße gegeben, daß er in Ton und Benehmen etwas einlenken müsse, um die Scharte wieder auszuwetzen, die dem amtlichen Ansehen in empfindlichster Weise geschlagen war. Der Bediente mit der Meldung, daß der Wagen zur Heimfahrt bereit sei, bot eine willkommene Gelegenheit, einzulenken und den unangenehmen Vorfall abzuschließen. „Nun, meine lieben Leute,“ sagte er, an ihnen vorüberschreitend, mit herablassendem Nicken und sauersüßem Lächeln, „mich rufen die Geschäfte, überlegt immerhin den Vorschlag dieses jungen Mannes, es soll mich sehr freuen, wenn er sich zur Basis für eine gütliche Ausgleichung eignet. Das Amt wird seinen Bericht darnach einrichten und eine hohe Kreisbehörde nicht anstehen, einen solchen Vergleich von Curatel wegen zu genehmigen…“

„Gewiß, Herr Baron von Lanzfelt,“ erwiderte Sixt, „und wenn wider Vermuthen sich noch ein Stein’l im Weg finden sollte, giebt’s über der Kreisbehörde noch einen Herrn, bei dem wir sicher nit vergebens anklopfen!“

„Ja wohl, ja wohl,“ murmelte der Amtmann zwischen den Zähnen und fuhr dann, seiner Frau den Arm bietend und zu ihr gewendet, fort: „… es war immerhin eine angenehme unterhaltende Partie – es gab vielerlei Gelegenheit zu Studien über Land und Leute… Nicht wahr, ma mie? Dieser junge Bauer ist ein Stück Volkstribun, ein ländlicher Gracchus oder Rienzi … was sagen Sie dazu, ma mie?“

Die Dame machte mit dem feinen spitzenbesetzten Battisttuch eine abwehrende Bewegung, als wollte sie sich reine Luft zufächeln. … „Fi donc,“ sagte sie, „der Volkstribun duftet nach dem Kuhstalle!“ –

Die Dämmerung brach ein, herbstlich früh und kühl; hinter den Tannen zerfloß blasser goldgelber Abendschein in einen duftig dunklen Himmel, welcher vermuthen ließ, daß der Morgen die Fluren mit dem Vorläufer des Winters, mit weiß schimmerndem Reife bedeckt finden werde. Es war nicht mehr gut möglich, im Freien zu hausen; von außen war es daher sehr still und einsam um das Wirthshaus an der Kreuzstraße, aber die hell erleuchteten Fenster des Erdgeschosses sandten ihren rothen Schein weit hin in das Dunkel und verkündeten, daß ziemlich viele von den Bauern der Einladung des Wirths Folge geleistet und noch einen kleinen Halt an dem gastlichen Hause gemacht hatten; galt es doch, das große Ereigniß des Tages, den unerwarteten Friedensschluß der zwei Gemeinden, noch hinterm Bierkruge gehörig zu verarbeiten und auf sein Bestehen mit den Westerbrunnern anzustoßen, von denen einige in der ersten Freude der Aussöhnung den Umweg nicht gescheut hatten und mit den wieder gewonnenen Nachbarn der Schenke zugewandert waren.

In dem dunklen Giebel des Hauses war ein einzelnes kleineres Fenster von schwachem Lichtschimmer erhellt; es kam aus dem Stübchen, in welches Franzi die kranke Susi geleitet und wo sie sich mit ihr eingeschlossen hatte. Vergeblich war der Wirth mehrmals an die Thür gekommen, hatte ihr gerufen und sie aufgefordert, die Gäste zu bedienen; Franzi öffnete nicht und rief nur heraus, der Wirth solle für heute nur einmal zusehen, wie er allein zurecht komme, sie könne die Kranke nicht mehr allein lassen, weil sie dringend ihrer Pflege bedürfe. Wüthend stolperte der Wirth wieder die Stiege hinab, aber er wagte nicht, auf seinem Rechte zu bestehen und zu befehlen, des Gastes wegen, der unten eine tüchtige Rechnung anwachsen ließ; da die Kranke dessen Schwester war, mußte er wohl ein Auge zudrücken.

Waldhauser und Meister Staudinger hatten den ganzen Nachmittag über getafelt und gebechert, dazwischen auch so viel vertraulich und eifrig geplaudert, hatten sich so oft treuherzig die Hände geschüttelt und mit den Gläsern angeklungen, daß es offenbar war, da hatte sich ein ebenbürtiges Paar von seltener Gleichheit der Gesinnung zusammengefunden. Der dicke Metzger war ungemein redselig geworden und ermüdete nicht, wenn auch mit immer schwererer Zunge, von den Ränken und Pfiffen zu erzählen, durch die es ihm gelungen, manchen vortheilhaften Kauf, manches gewinnreiche Geschäft abzuschließen. „Siehst Du, Brüderl,“ lallte er, „so muß man’s machen, wenn man auf ein’ grünen Zweig kommen will! … stoß’ an mit mir! Pfiffig muß man sein!“

„Freilich, freilich,“ lachte Waldhauser mit seinem Glase anklingend, „steht es denn nicht sogar in der heiligen Schrift, daß man fromm sein soll, wie die Tauben, aber auch klug wie die Schlangen? Ich bin mit dem ganzen Plan vollkommen einverstanden – noch schaut immer etwas heraus bei dem Handel mit Holz und Vieh – aber Zwei müssen zusammen stehen, ohne daß ein Mensch eine Ahnung davon hat; dann geht es und Einer jagt dem Andern die Gimpel in’s Garn! Aber jetzt muß ich doch hinauf, muß nach meiner Schwester umseh’n – nach dem zimperlichen Ding…“

Der Metzger sah ihn mit lauerndem Seitenblick listig an. „Ist ja recht krank, das arme Geschöpf,“ sagte er mit erkünsteltem hämischem Gelächter, „da kann man sich wohl denken, warum Sie sich seiner annehmen – die treibt es wohl nimmer lang und wer sich um sie angenommen, dem wird wohl auch die reiche Erbschaft nicht auskommen! Das ist ein schönes Bröcklein und wenn erst noch das von der Base dazu kommt – die soll ein schönes Körnd’l beisammen haben…“

„Pfui,“ unterbrach ihn Walthauser mit scheinheiliger Miene, „was denken Sie von mir! Wer wird bei einer leiblichen Schwester so unchristliche Gedanken haben … da müßt’ ich mich ja schwerer Sünden fürchten!“

„Na, das versteht sich,“ sagte der Metzger wieder; „aber wer könnt’ sich denn dagegen auflehnen, wenn es halt einmal so des Himmels Wille wäre…”

„Das wäre freilich etwas Anderes,“ erwiderte Waldhauser, die Hände faltend, „freilich, in den müßte man sich ergeben als ein guter Christ – aber ich kann mich wirklich nicht mehr länger aufhalten, ich muß hinauf und zur Abfahrt drängen – ich will mit meinem Bruder, der wohl kommen wird, nicht mehr zusammen treffen – er ist mir zu ernsthaft…“

„Und mir zu vornehm, obwohl er nur ein Bauer ist,“ sagte Meister Staudinger vor sich hin, während Waldhauser eilig das Zimmer verließ. Dann griff der Metzger nach seinem Glase, leerte es auf einen Zug und faltete, gedankenlos vor sich hinstarrend, die Hände über dem stattlichen Bauche. Nach wenig Augenblicken fielen ihm die schweren Augen zu, und mit vorgebeugtem Haupte versank er in tiefen schnarchenden Schlaf. Er hörte nicht, daß draußen der Amtmann angefahren kam und sich in das für ihn bereitete Zimmer auf der andern Seite der Hausflur begab, das bestellte Abendmahl einzunehmen, er gewahrte nicht einmal das Eintreten des Wirths, welcher die beiden Leuchter mit Stearinkerzen vom Tische nahm, um sie gegen ein schlechtes Unschlittlicht zu vertauschen. Die Zecherei war vorbei, darum war es auch mit der Achtung zu Ende, der alte Gast war über dem neuen, der geringere über dem ansehnlicheren vergessen.

Inzwischen war Waldhauser in dem dunklen Gange des obern Stockwerks angekommen, in welches nur von der Treppe her ein schwacher Lichtschimmer drang – ein heller Streifen am Boden, der durch die übel schließende Thür drang, verrieth die Kammer, in welcher die Mädchen sich eingeschlossen hatten. Mit leisen Katzentritten schlich er näher, an der Wand sich fort tastend, bis er das Thürgerüst gefunden hatte. Dann beuge er sich horchend zu dem Schlüsselloche nieder; durch die Lücke eines ausgesprungenen Astes konnte er, wenn er sich etwas streckte, bequem das ganze, von einem Oellämpchen nur trübe beleuchtete Gemach übersehen. Susi saß auf dem ärmlichen Bett und hatte sich über die vor ihr knieende Franzi gebeugt, ihr Kopf ruhte auf deren Schulter, das Gesicht war in den aufgelösten Strähnen des reichen schwarzen Haares verborgen. Beide waren regungslos; Susi schien eingeschlummert und Franzi verharrte in der unbequemen Stellung, die Leidende nicht zu wecken, welche von der kurzen Ruhe schon so sehr erquickt zu sein schien.

„Was sie nur mit einander haben, die empfindsamen Narren!“ dachte der Lauscher, während sein Blick zugleich gierig an Franzi’s von der Lampe voll beschienenem Angesicht oder an dem blüthenweißen Nacken hing, der durch die gebeugte knieende Stellung aus dem verschobenen Tuche hervortrat.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 627. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_627.jpg&oldid=- (Version vom 29.1.2017)