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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

Reisegefährten durch den Tod verliert. Bald erkrankt auch der fünfte, und Waldeck ist genöthigt, ihn zu führen, ja, auf der Schulter zu tragen, bis auch dieser letzte seiner Gefährten für immer das Auge schließt.

Waldeck war nun allein und legte, nachdem er Nubien und Abyssinien durchwandert, unter unsäglichen Mühen und Nöthen den Weg bis nach Mozambique zurück. Hier schiffte er sich nach Madagaskar ein, und nach einem kurzen Aufenthalt daselbst reiste er zum zweiten Male nach der Capstadt. Aber auch hier übermannte ihn gleich wieder die Lust zu Irrfahrten und er entschloß sich nach Isle de France zu segeln, wo ihn unverhoffte Abenteuer erwarteten. Er trifft dort nämlich mit dem berühmten französischen Corsaren Surcouf zusammen. Surcouf war in St. Malo geboren. Die Seeleute von St. Malo sind kühn und unternehmend, und der Haß gegen die Engländer, von denen sie früher oft mißhandelt wurden, ist ihnen angeboren. Surcouf theilte diesen Haß und hat als Caperer den Engländern gar manchen empfindlichen Schaden zugefügt. Welch’ ein kecker, verwegener Mann dieser Surcouf war, möge folgende Thatsache zeigen. Der Nationalconvent hatte den Handel mit Negersclaven verboten, derselbe konnte jetzt nur im Geheimen und unter großen Gefahren betrieben werden. Für Surcouf hatte aber jede Gefahr etwas Verlockendes. Er übernahm daher den Befehl über eine Brigg und machte mehrere Reisen nach Madagaskar und der afrikanischen Küste, wo er die Schwarzen aufnahm. Die französische Regierung erfuhr dies, und eines Morgens stellten sich drei Beamte der Colonialcommission an Bord seiner Brigg ein, die noch deutlich die Spuren der in der vorhergehenden Nacht ausgeschifften Negersclaven zeigte. Surcouf verlor indessen die Besinnung nicht. Er ladet die drei Beamten zum Frühstück ein, und während dieselben sich an der Tafel gütlich thun, giebt er den Befehl, in die See zu stechen. Sobald die Brigg in offener See ist, droht er den drei Gästen, sie an der afrikanischen Küste auszusetzen und dort der Wuth der Neger preiszugeben, wenn sie nicht sogleich ein Protokoll aufsetzen und in demselben erklären, daß sie an Bord seines Schiffes nichts gefunden, woraus man irgendwie auf den Sclavenhandel schließen könnte, und daß die Brigg durch einen heftigen Sturm vom Ankergrund in’s Meer fortgerissen worden. Die drei Commissäre willigten ein, worauf sie Surcouf an’s Land setzte.

Waldeck wurde nun Corsar. Schon auf seiner ersten Reise nach dem Cap hatte er sich, von dem Capitän Durand unterstützt, manche nautische Kenntnisse angeeignet, die er seitdem zu erweitern gesucht. Unter Surcouf’s Befehl geräth er jeden Augenblick in blutige Händel mit den Engländern. Er wird von Säbelhieben zerfetzt, von Musketenkugeln verwundet, aber wenn auch nicht mit heiler Haut, so kommt er doch immer mit unerschütterter Gesundheit davon, die er durch eine stoische Mäßigkeit zu erhalten sucht.

Nachdem er längere Zeit das Corsarenhandwerk mit wechselndem Glücke getrieben, sieht er sich eines Tages veranlaßt, demselben aus dem einfachsten Grunde von der Welt zu entsagen. Er wird nämlich von den Engländern gefangen. In England angekommen, erhält er durch Vermittelung des Herzogs von York die Freiheit. Während seines Aufenthaltes in England macht er die interessantesten Bekanntschaften. Durch Lord Buchan lernt er Walter Scott und Lord Byron kennen und macht mit Letzterem sehr häufig Ausflüge in die Gebirge Schottlands. „Lord Byron,“ erzählt Waldeck, „war nicht immer liebenswürdig. Er wurde gar häufig von den blue devils, vom Spleen, geplagt, aber wenn er liebenswürdig war, so war er es auch recht. Er war dann unwiderstehlich. Walter Scott war immer heiter, immer freundlich, immer wohlwollend. Er liebte einen guten Spaß und ließ sich gern das Zwerchfell erschüttern.“

Eines Tages sagte er zu Waldeck: „Sie sind ein Deutscher, Sie haben eine lebhafte Einbildungskraft, ein vortreffliches Gedächtniß, gewiß besitzen Sie einen Schatz von Sagen im Kopfe. Wollen Sie mir nicht eine derselben mittheilen?“

Waldeck ließ sich nicht lange bitten und erzählte ihm eine Sage aus seiner eigenen Familie. Walter Scott hörte aufmerksam zu, und Waldeck hatte später das Vergnügen, diese von ihm erzählte Sage unter dem Titel „Martin Waldeck“ im „Alterthümler“ des großen Unbekannten zu finden. Ja, gerade durch diese Erzählung erfuhr er, daß Walter Scott der große Unbekannte war.

Unser Landsmann kommt auch mit Georg dem Vierten in Berührung, für den er eine Reihe von Aquarellen verfertigt, mit Brummel, dem elegantesten Wüstling seiner Zeit, und mit dem witzsprudelnden Sheridan, von dem er Manches, nur nicht das viele Trinken lernt. Er wird auch bei Lord Cochrane eingeführt, der sich von der unverwüstlichen Energie Waldeck’s angezogen fühlt und ihn einladet, mit ihm eine Reise nach Chili zu unternehmen. Waldeck nahm diese Einladung auf’s Bereitwilligste an, trennte sich aber in Amerika von dem Lord, der keinen umgänglichen Charakter besaß und Waldeck’s Unabhängigkeitsgefühl oft verletzte. Waldeck kehrte bald nach Europa zurück, um – rasch wieder nach Amerika zu segeln und diesen Welttheil von der Magellansstraße bis zur Baffinsbai zu bereisen. Südamerika zog ihn besonders lebhaft an, und er durchwandert Chili, Yucatan und Mexico nach allen Richtungen. Die erste ausführliche Karte von Yucatan hat man Waldeck zu verdanken. Er besuchte Salamanca, Itzalane, Tulha, San Domingo de Palenque, Panuco, die einstige Hauptstadt der Azteken. Er zeichnete alle Reste altindischer Denkmäler mit dem größten Fleiße und unter Entbehrungen aller Art.

So hielt er sich längere Zeit in Wichelake unter den Azteken auf, um ihre Sprache zu lernen, und hatte oft zu seiner Nahrung nichts als Klapperschlangen, deren Fleisch übrigens, wie er versichert, gar nicht unschmackhaft und dem der Boa bei Weitem vorzuziehen ist. Wenn er aber mit großem Appetit in’s Fleisch der Klapperschlangen beißt, so beißen die Klapperschlangen gar oft in sein eigenes Fleisch. Seine Beine tragen noch die Spuren von den Stichen dieser furchtbaren Reptilien. Die Stichwunden sind zwar vernarbt, einige derselben brechen jedoch von Zeit zu Zeit wieder auf und verursachen ihm große Unannehmlichkeiten. Waldeck, der mir diese Narben zeigte, bemerkte dabei, daß die Klapperschlange durchaus nicht so gefährlich sei, wie die Nawoyaka. Der Biß dieses Reptils führt innerhalb fünf Minuten den Tod herbei, während der Biß der Klapperschlange nicht immer tödtlich ist. Wie dem aber sei, die Giftschlangen verhinderten ihn nicht, täglich Denkmäler aufzusuchen, sie auf’s Genaueste zu zeichnen und in seinem Tagebuche zu beschreiben. Indessen würde er, wenn er auf seine eigenen Mittel beschränkt gewesen wäre, seine Studien nicht haben fortsetzen können. Er hatte sich aber die Freundschaft des Lords Kingsborough gewonnen, der ihm zu wiederholten Malen sehr bedeutende Geldsummen schickte. Nur durch diese großmüthige Unterstützung wurde es ihm möglich, zweitausend Zeichnungen nach der Natur zu entwerfen.

Nach einem vieljährigen Aufenthalt in der neuen Welt kehrte er nach Europa zurück und veröffentlichte sein Werk über Yucatan, welches er dem Andenken seines inzwischen heimgegangenen Freundes Kingsborough widmete. Seitdem hat Waldeck keine größere Reise mehr unternommen.

Graf Waldeck ist ein sehr stattlich gewachsener Mann. Das hohe Alter hat seinen Rücken nicht gebeugt. Er geht straff und stramm daher, wie ein Mann in den besten Jahren. Er verwendet viel Sorgfalt auf seinen Anzug und seine Wäsche ist von der holländischsten Reinlichkeit. Waldeck hat noch vorigen Sommer, also nach zurückgelegtem hundertsten Lebensjahre, eine Reise nach London unternommen. Er geht täglich aus, er besucht fleißig die Weltausstellung und kehrt dann unermüdet nach Hause, wo er fünf Treppen zu steigen hat, um in seine Wohnung zu gelangen. Jeden Morgen steht er um fünf Uhr auf und setzt sich sogleich an die Arbeit, die er erst um fünf Uhr Abends verläßt. Der heurige Pariser Salon brachte von ihm zwei Oelgemälde, und er malt in diesem Augenblick an einem neuen Bilde, mit dem er im Salon des nächsten Jahres auftreten will. Außerdem bereitet er die Ausgabe eines Werkes vor, das unter dem Titel: „Encyclopédie d’Archéologie Américaine“ die Beschreibung aller altindischen Denkmäler Südamerikas und zweitausend Illustrationen nach seinen Originalzeichnungen enthalten soll.

Seine Zeichnungen sind fest und sicher, ebenso seine Handschrift, die noch außerdem durch eine seltene Zierlichkeit und Deutlichkeit auffällt. Er ist etwas harthörig, das ist aber auch das einzige körperliche Gebrechen, an dem er leidet. Er selbst ist mit seinem Gesundheitszustande sehr zufrieden und versichert, daß er nie mit besserem Appetit gegessen, nie fester geschlafen als jetzt. Sein einziger Sohn, ein sehr schöner Knabe mit sanften Zügen, hat eben erst das sechszehnte Jahr erreicht und ist ihm wie aus dem Gesicht geschnitten, und seine Gattin, eine geborene Engländerin,

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verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 618. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_618.jpg&oldid=- (Version vom 19.2.2017)