Seite:Die Gartenlaube (1867) 607.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

Für das verbrannte Bach’sche Opernmanuscript mußte Frau Hellwig baare tausend Thaler erlegen; sie fügte sich knirschend, weil sie von allen Seiten die Versicherung erhielt, daß ein Proceß noch ganz andere Opfer von ihr fordern dürfte.

„Warum soll ich’s leugnen?“ sagte am Reisemorgen der Rechtsanwalt erröthend und lebhaft erregt zu dem Professor der reisefertig in der Fensternische neben ihm stand und auf seine Begleiterinnen wartete. „Ich gönne Dir Felicitas nicht! … Ich habe im ersten Augenblick dies seltene Geschöpf erkannt und werde lange Zeit brauchen, um – zu vergessen… Aber einen Trost habe ich dabei: sie hat Dich zu einem anderen Menschen gemacht und den sittlichen Rechten der Menschheit, ihrer unanfechtbaren guten Sache einen neuen Bekenner zugeführt… Schlagender konnte meine freie und gewiß gesunde Ansicht über unsere socialen Mißverhältnisse nicht motivirt werden, als durch den Umstand, daß – verzeihe mir die bittere Wahrheit – die stolzen Hellwigs den Angehörigen des verachteten Spielerskindes gegenüber Schwerschuldige waren… Da stehen die Einen und sehen hochmüthig auf die andern herab, und die blinde Welt ahnt nicht, daß es faul ist unter ihren gerühmten Institutionen und daß der frische Luftzug der Freiheit nöthig ist, um sie wegzufegen, die den Hochmuth, die Herzlosigkeit und mit ihnen eine ganze Reihe der schlimmsten Verbrechen begünstigen.“

„Du hast Recht und ich nehme diese bittere Schlußfolgerung ruhig hin,“ sagte der Professor ernst, „denn ich habe in der That schwer geirrt. Aber der Weg, den ich zurückzulegen hatte, war steinig, und deshalb gönne mir den Preis, den ich schwer erringen mußte.“

Der Professor hat seine junge Frau in den „exclusiven“ Kreis der Professorenfrauen eingeführt, und das ideal schöne Wesen an seiner Hand ist, trotz der boshaften Einflüsterungen der Regierungsräthin, mit Liebe und Bewunderung aufgenommen worden. … Es ist Wahrheit, was er sich einst so hinreißend gedacht hatte: Felicitas schmeichelt ihm die medicinischen Sorgenfalten von der Stirn, und wenn er Abends inmitten seiner gemüthlichen vier Wände bittet: „Fee, ein Lied!“ da braust sofort die prachtvolle Altstimme auf, die ihn einst hinausgetrieben hat aus dem mütterlichen Hause in die Thüringer Wälder, der er entflohen, weil sie ihn unwiderstehlich hinüberriß nach dem wunderbaren Spielerskind.

Er hat sämmtliche Möbel aus der Mansardenwohnung nach Bonn schaffen lassen. Der Flügel und die Büsten sammt der üppigen Epheudraperie schmücken jetzt Felicitas’ Zimmer. Im Geheimfach des Glasschrankes bewahrt die junge Hausfrau auch jetzt noch das kostbare, altväterische Silberzeug auf; den kleinen, grauen Kasten sammt Inhalt aber hat der Professor an demselben Tage verbrannt, wo die Hirschsprungs das ausgleichende Capital in Empfang genommen haben. Das Schuldbuch ist vernichtet, das Unrecht gesühnt, so weit menschliche Kräfte es vermochten, und Tante Cordula’s Geist kann unbeirrt seinen hohen Flug weiter verfolgen, den er schon auf Erden angenommen.

Heinrich lebt in Bonn bei dem jungen Paar. Er wird hoch in Ehren gehalten und fühlt sich über die Maßen wohl; wenn er aber auf der Straße der in Sammet und Seide gehüllten, jetzt sehr ungenirt nach der neusten Mode gekleideten Regierungsräthin begegnet, die stets den Kopf wegwendet, als habe sie das ehrliche Gesicht des alten Mannes nie gesehen, da schmunzelt er vergnüglich in sich hinein: „Das Blümelein Vergißmeinnicht hat doch nichts geholfen, gnädige Frau Regierungsräthin!“

Die schöne Frau kann übrigens ihren tadellos geformten, weißen Arm nicht mehr mit dem Armring schmücken, ihr Vater hat ihn „gewissenhaft“ mit dem Bemerken, daß er durch „Zufall und Irrthum“ in seinen Besitz gekommen, an die Hirschsprung’schen Erben ausgeliefert. Er lebt auf sehr gespanntem Fuß mit seiner Tochter, weil sie die „grenzenlose Dummheit“ begangen hat, seinen Antheil an dem Raub zu bestätigen… Sie hat längst den Nimbus der Frömmigkeit und sanften Milde eingebüßt, betheiligt sich aber noch immer mit großer Ostentation an frommen Bestrebungen, während ihr Aennchen unter fremder Pflege einem sichern Tod entgegenwelkt… Und er, der strenggläubige Verwandte am Rhein? … Es ist nicht zu denken, das ihn die Nemesis auf Erden ereilt, er wird mit frommer Ergebenheit Alles, was über ihn kommen mag, Prüfung nennen. Wir übergeben ihn deshalb dem öffentlichen Gericht; die empfindlichste Strafe für den Heuchler ist, daß ihm vor Aller Augen die Maske vom Gesicht genommen wird! …

Frau Hellwig sitzt nach wie vor hinter ihrem Asklepiasstock. Das Unglück ist endlich auch über ihre gefeite Schwelle geschritten: sie hat zwei Kinder verloren; ihren Sohn Johannes hat sie verstoßen, und eines Tages lief die Nachricht ein, daß Nathanael im Duell geblieben sei. Er hat viele Schulden und einen sehr befleckten Ruf hinterlassen… Die eisernen Züge der großen Frau sind schlaffer geworden und Manchem will es scheinen, als neige sich der Kopf mit dem einst so starren Gepräge des Hochmuthes und der Unfehlbarkeit oft recht müde auf die Brust… Der Professor hat ihr vor Kurzem die Geburt seines erstgeborenen Kindes angezeigt. Seit der Zeit liegt in dem Strickkörbchen, das bis dahin nur derbe blaue und weiße Knäuel mit grobem Faden beherbergt hat, ein zartrosiges Strickzeug, Frau Hellwig arbeitet nur verstohlen und ruckweise daran. Friederike schwört, es sei kein Missionsstrumpf, sondern ein allerliebstes Kinderstrümpfchen. Ob und wann diese zierlichen, rosenrothen Dinger die strampelnden Beinchen des jüngsten Hellwig’schen Familiengliedes umschließen werden, wir wissen es nicht, aber zur Ehre des Menschengeschlechts soll es gesagt sein: Es ist keine Seele so verhärtet, daß nicht ein weicher Punkt, eine edle Regung, eine süßklingende Saite in ihr schliefen; sie wird sich freilich oft dieses inneren Schatzes nicht bewußt, wenn die Erweckung von außen fehlt. Aber vielleicht ist die großmütterliche Liebe solch’ ein ungeahnt warmer Punkt im Herzen der großen Frau, der, plötzlich angefacht, rein mildes Licht ausströmt und das übrige Eis des Inneren schmilzt.

Hoffen wir, lieber Leser!




Blätter und Blüthen.


Zwei Zöglinge des Wiener Kinderballets. „Geht mir mit eurem ‚Schafhaxel‘, eurer ‚Eselshaut‘, ‚Hirschkuh‘ und dem ganzen flimmernden Thierspital! Für einen einzigen Theaterabend der alten Zeit gebe ich die ganze neue blödsinnige Gauklerbude hin, und den Offenbacher Dudelsack auch noch dazu, wenn ihr wollt!“

So poltern die alten Wiener Bürger, wenn sie jetzt das Theater an der Wien verlassen und des kunstsinnigen Grafen Palffy gedenken, der als Director dieser Bühne, vor einem halben Jahrhundert, alle Feengebilde der arabischen Märchenwelt an ihnen vorüber wandeln ließ. Jugendlich begeistert werden diese alten Herrn, wenn sie sich an Horschelt’s Kinderballet erinnern, das der genannte Cavalier mit wunderbarer Pracht und Herrlichkeit in die Scene setzen ließ. Und die Wunderkinder dieses Ballets? Wir nennen nur die drei niedlichen Grazien Fanny Elsler, Angioletta Meyer und Therese Heberle und sind überzeugt, daß wir die Herzen aller Greise jugendlich schlagen machen. Wenn Fanny Elsler, die man ein paar Jahre später „die Göttliche“ nannte, wie aus Aether gewoben daher schwebte und ihr reizendes Lockenköpfchen mit den seelenvollen Augen aus einer Gruppe lebendiger Rosen erhob, mußte man ja glauben, Titania, die niedliche Elfenkönigin, habe sich aus dem Wolkenschooß zu uns herabgelassen, um mit der Poesie des blauen Himmels die nüchterne Prosa der Erde zu bekämpfen. Aber nicht nur die schwebende, tanzende, auch die lachende komische Muse hatte ihre Priesterschaft in diesem Kinderballet. Da war vor Allen Andreas Luzzi, ein kleines pudelnärrisches Kerlchen, um so possirlicher, weil ihn die Natur mit einem ganz respectablen Buckel ausgestattet hatte. Wenn der kleine bucklige Bursche seinen dicken Kopf in die Schultern zurückzog und mit der Behendigkeit eines jungen Affen seine Lazzi und Sprünge machte, glaubte man eine Kugel mit Armen und Beinen herumkollern zu sehen und lachte so ausgelassen, daß man sich beinahe wie er vor Lachen gekugelt hätte. Und doch war Andreas Luzzi nur ein Krüppel, aber ein gar stolzer Krüppel im Bewußtsein seiner Meisterschaft, denn das Publicum jubelte ihm an jedem Abende entgegen, und die Tänzerinnen der Quadrille, die man sehr ungalant „die Ratten“ hieß, machten ihre Knixe vor ihm, ja sogar die kleine reizende Fanny Elsler pflegte ihn ihren Herrn Lehrer und Collegen zu nennen.

Da schlug plötzlich ein Donnerwetter aus blauem Himmel in diese kleine lustige Welt. Meister Horschelt erhielt ganz unerwartet den Auftrag – das Kinderballet aufzulösen. Fanny Elsler, Angioletta Mayer, Therese Heberle und viele andere der kleinen Fußkünstlerinnen sprangen von der Bühne an der Wien auf die Bühne nächst dem Kärnthnerthor hinüber, ja selbst „die Ratten“ fanden ihre Löcher, nur Andreas Luzzi fand nirgend ein Plätzchen, so lang er sich auch streckte und so stolz er auch auf alle Triumphe hindeutete, die er schon gefeiert hatte. Man fertigte ihn überall lachend ab. Wozu sollte ein Bühnenleiter den kleinen buckligen Knirps auch brauchen können? Es gab kein Kinderballet mehr, und selbst dem Kinderballet war er schon entwachsen, das heißt in der Breite, nicht in der Länge, er hätte nur noch aus Mitleid beklatscht werden können.


Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 607. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_607.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)