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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

„Das wißt Ihr noch?“ sagte sie, an ihm vorübergehend, kurz und kalt. „Habt Ihr doch so manches Jahr darauf vergessen, wie kommt es Euch jetzt auf einmal in den Sinn? … Das Spiel ist ausgespielt – und ich mein’, dort ist Jemand, Herr Aicher, der mich nothwendiger brauchen kann, als Ihr…“

Damit war sie schon bei dem Wagen, der Zurückgewiesene stand einen Moment unschlüssig und betroffen – es schien, als ob der Gleichmuth ihn verlassen wolle, aber es war nur ein Zucken, das über sein Antlitz fuhr, wie Wetterleuchten über einen heiteren Abendhimmel; so schnell, als es verschwunden gewesen, kam das stehende freundliche Lächeln zurück und mit einer Miene, wie man etwa die Untugenden eines geliebten verzogenen Kindes mißbilligt und doch entschuldigt, wandte er sich achselzuckend den übrigen Anwesenden zu.

„Müssen sich nicht wundern oder gar ärgern, Herr Aicher!“ sagte mit höhnischer Genugthuung der dicke Metzger, indem er so weit zur Seite rückte, daß der schmale schwarze Mann allenfalls zur Hälfte neben ihm hätte Platz finden können. „Sie brat’t Ihnen eben auch keine andere Wurst – das ist schon so die Manier von der groben Dirn’!“

„Wundern? Aergern?“ erwiderte Aicher milde. „Ich denke nicht daran – weiß man doch, Jugend hat nicht Tugend! Sie weiß eben, daß sie ein sauberes Gesichtl hat, um das ihr Mancher viel verzeiht … sie bedenket nicht, was da geschrieben steht … daß die Schönheit vergeht, wie Gras, so da am Morgen frisch und prangend steht und abgemähet wird und verwelkt noch vor dem Abendroth. Ist es nicht wahr, heißt es nicht so, Herr Lehrer?“ Ohne jedoch die Antwort des Angeredeten abzuwarten, wandte er sich dem Wirthe zu, der sich zur Begrüßung des ansehnlichen Gastes eingefunden hatte, und die grüne Schlegelhaube in den Händen drehend, nach den Befehlen desselben bezüglich des Mittagessens fragte. „Wo denken Sie hin, Herr Wirth?“ rief Aicher, als ihm derselbe die Zartheit seiner Hühner anpries und ein Stück saftigen Hirschbratens empfahl, der sich mit der Zunge zerdrücken lasse. „Halten Sie mich für einen so schlechten Christen, der an einem gebotenen Fasttag, am heiligen Quatember-Mittwoch, Fleisch ißt? Nein, nein – kochen Sie nur etwas Leichtes, etwas Weniges…“

„Vielleicht Erbsensuppe mit gebackenen Markknöderln?“

„Meinetwegen … ja und einen Eierfladen dazu und wenn sich vielleicht ein kleines Fischchen im Kalter verkrochen hat …“

„Leider nicht, Fische kommen bei uns da mitten im Wald gar zu hart an … aber ein Widel (Bündel) Moosschnepfen ist da, die hat der Jagdgehülf’ gestern ganz frisch gebracht…“

„Nun seh’n Sie, Herr Wirth, das trifft sich ja prächtig … mit Speck belegt und langsam in Citronensaft gedämpft, sind sie ein ganz annehmbares Gericht, und Moosschnepfen sind ja eine Ausnahme vom Geflügel, die haben kein Fleisch, weil sie selber nur Fische fressen, die darf man am Charfreitag essen… Und wenn es dann, so zum Zuspitzen, noch eine kleine Mehlspeise giebt …“

„Vielleicht Dampfnudeln? Meine Wirthin backt sie ausgezeichnet…“

„Meinetwegen… Seh’n Sie, Herr Wirth, so behalten wir unser Gewissen von einer so schweren Sünd’ frei und können uns mit dem bissel Fasttag begnügen… Darf ich den Herrn Metzgermeister dazu einladen? Und Sie vielleicht auch, Herr Schulmeister?“

Der Dicke lehnte nicht ab, aber der Lehrer dankte für die Freundlichkeit. „Ich habe meine Mahlzeit schon eingenommen,“ sagte er mit gutmüthigem Lächeln, „auf mehr und gar auf so kostbare Dinge ist der Magen eines Landschullehrers nicht abgerichtet, ich will ihn nicht aus der Uebung bringen…“

Indessen war Franzi an den Wagen getreten, wo, von dem Bruder vergessen und unbeachtet, das bleiche Mädchen aus ihrem krankhaften Halbschlummer erwacht war und träumerisch umblickend sich aus dem Umschlagtuch loszumachen begann. Ihr Staunen, als sie Franzi’s zum Gruße dargebotene Hand vor sich sah, als sie ihr in das offene blühende Angesicht, in die dunklen treuherzigen Augen blickte, war nicht minder lebhaft, als das des Bruders, aber es war von reinerer, von hellerer Art. Die Todtenfarbe ihrer Wangen ward augenblicklich von einer glühenden Röthe, die Stirn und Nacken überflammte, verdrängt, aber nur, um mit dem nächsten Pulsschlage desto siegreicher wiederzukehren; ihre Augen wuchsen fest in dem befreundeten Angesicht, auf den halbgeöffneten Lippen erstarb, von innerer Wallung zurückgehalten, das grüßende Wort. Franzi mußte zuerst das Schweigen brechen.

„Ist es denn möglich?“ sagte sie herzlich. „Susi, bist Du’s denn, oder ist’s Dein Geist? Du bist wieder auf dem Land – nimmer in der Stadt?“

Susi konnte noch nicht reden, ihre stürzenden Thränen verhinderten sie daran – sie schüttelte nur heftig mit dem Kopfe zur Erwiderung.

„Aber jetzt seh’ ich erst, wie blaß Du bist,“ begann Franzi theilnehmend wieder. „Dir ist heilig nicht recht gut – Du kannst das Fahren nit vertragen…“

„Ja, ja …“ preßte Susi endlich heraus, „es wird wohl so sein … es war so kühl diesen Morgen, und diese Luft – ich kann die freie Luft nicht mehr vertragen, Franzi … es thut mir so weh, da drinnen in der Brust, zu tiefst drinnen… O so unendlich weh…“

„So komm’ herunter, Du armer Narr,“ sagte Franzi innig, indem sie die an sie gelehnte schlanke Gestalt mit kräftigem Arm umschlang und wie eine Feder zur Erde hob, „komm mit herein in’s Haus … ich führ’ Dich in meine Kammer auf mein Bett – da ruh’ Dich aus und schlaf ein bissel; im Schlaf da werden die rothen Backen schon wieder kommen, die ich alleweil gewohnt gewesen bin an Dir…“

Die Kranke sah sie noch einmal mit einem Blicke an, der wie eine innige Klage und Frage der Sehnsucht in ihre Seele dringen zu wollen schien; sie athmete tief auf und fuhr mit der magern feinen Hand über die Stirne, als sinne sie auf etwas, das sie vergebens gesucht… „Ja,“ flüsterte sie dann, indem sie Franzi innig die Hand drückte, „führ’ mich wohin Du willst, Franzi … das ist ein gutes Zeichen, daß Du mir da begegnest … Ja, Franzi, mit Dir geh’ ich…“

Bald waren die beiden Mädchen im Hause verschwunden; die Landleute wieder zu ihren Plätzen, Krügen und Gesprächen zurückgekehrt; zwischen dem Metzger und dem Holzhändler, die sich rasch verstanden zu haben schienen, hatte sich eine anscheinend ebenso wichtige wie vertrauliche Unterhaltung entsponnen – der Mittag machte seine erschlaffende Wirkung fühlbar, Mancher nickte über dem Kruge ein; es gab wenig zu thun, als Franzi nach einer Weile wieder kam, den Mittagstisch für die Herrengäste zu decken und zu beschicken.

Fast zu gleicher Zeit kam auch der Nußbichler wieder zum Vorschein.

Das Gespräch mochte ihm unerträglich geworden sein, er hatte bald seinen Krug fast auf einen Zug ausgestürzt und war dann hinter der Hecke des Obstgartens verschwunden; dort im Schatten der Schlehenstauden und Hagrosen, an denen schon die Beeren blau zu werden und die Fruchtknospen sich zu röthen begannen, warf er sich rücklings in’s Gras und schien im Schlafe Grimm und Gram seines Lebens vergessen zu wollen. Hätte Jemand sich um den Mann gekümmert, so wäre ihm nicht entgangen, daß der Schlafende manchmal sich regte und aus seinem Lumpenbündel eine ansehnliche Korbflasche hervorzog, um daraus einen tiefen Schluck zu machen. Die Spuren davon waren unverkennbar, als er um die Hausecke bog; mit starren Augen und geröthetem Angesicht, trunkene Worte vor sich hinlallend, wankte er seinem früher innegehabten Sitze zu.

Er traf eben mit Franzi zusammen, die, aus dem Hause tretend, auf den Stufen stehen geblieben und vor sich hinsah, das Erlebte zu überdenken oder zu überblicken, wo etwas zu thun sein könnte. Mit stumpfsinnig verschmitztem Lachen schlich der Lumpensammler hinter sie und faßte sie rasch um die Mitte. „Herzkäferl,“ lallte er, „was studirst’ aus? Machst’ Kalender und suchst Dir ein’ Tag zu der Hochzeit aus?“

Das Mädchen war mit leichtem Aufschrei zusammengefahren und suchte mit einem Ruck Arm und Hand des Betrunkenen fortzuschleudern, aber er war stärker als sie, weil er roher war, und den Versuch abwehrend, hielt er sie nur noch kräftiger umfaßt. „Spreiz’ Dich nit so ein, Schatzerl,“ rief er mit heiserem, widerlichem Lachen, „ich will mich ja nur bedanken, daß Du Dich so angenommen hast um mich! Meinst, der Nußbichler hat nicht auch Ehr’ im Leib’ … ich lass’ mir nichts schenken und will Dich vor alle Leut’ mit ein’ Bussel bezahlen!“

„Lass’ mich los, Nußbichler, oder es wird nit gut …“

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verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 594. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_594.jpg&oldid=- (Version vom 29.1.2017)