Seite:Die Gartenlaube (1867) 579.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

Die Kellnerin kam zurück und brachte den lang ersehnten Krug mit Zubehör; freundlich, als ob nichts vorgefallen, schenkte sie das Glas aus dem schäumenden Kruge voll und sprach dazu ihr offenes „Gesegn’ es Gott“. Der Metzger aber that, als gewahre er sie nicht, er saß abgewendet und unterließ es auch, den Gruß durch die übliche Aufforderung zu erwidern, sie solle durch Antrinken Bescheid thun und so den Gast nach altem Brauche willkommen heißen.

„Die Franzel,“ sagte der schnauzbärtige Alte, nachdem sie sich gleichmüthig entfernt hatte, „ist eine gute Person und eine brave dazu – es kann Niemand nichts Unrechtes von ihr sagen, aber dasselbe ist wohl wahr, daß sie ein bissel von der wilden Seiten ist… Es wird sich bald jahr’n, daß sie da als Kellnerin eingestanden ist an der Kreuzstraßen – aber wo sie eigentlich her ist, das darf ich nit verrathen…“

„Warum nicht?“ rief der Metzger neugierig; der Bauer aber, vergnügt ihm auch etwas hinausgeben zu können, erwiderte zu großem Gelächter der Bauern: „Weil ich’s selber nit weiß!“

„Mir ist alleweil,“ fiel ein Anderer ein, „als hätt’ ich einmal ’was läuten hören von dem Madel … ist sie nit ein ledig’s Kind, das niemals keine Eltern g’habt hat? … Auf dem Aichhof ist sie aufgezogen worden? … Nit?“

„Wir wollen den Schullehrer fragen,“ sagte der Erste, „er legt eben die Karten hin und stopft sich seine Tabakspfeifen – bis zu einem neuen Labet ausgegeben ist, könnt’ er wohl erzählen, der muß Alles wissen aus dem Kirchenbuch, denn der Aichhof gehört in seine Gemeind’ und die Franzel muß bei ihm in die Schul gegangen sein… Fragen wir einmal.“

Dem Lehrer, einem rüstigen Fünfziger, dem man die Mühen und Entbehrungen seines Standes nicht ansah, schien es nicht unangenehm, in dem Zwickspiele, das harmlos genug um Bohnen gespielt wurde, eine kleine Pause zu machen und durch eine Erzählung auszufüllen, bei welcher er seine Vertrautheit mit Allem glänzen lassen konnte, was die Angehörigen seines Schulsprengels und Alle betraf, die einmal vor ihm auf der Schulbank gesessen. „Ihr habt ganz recht,“ sagte er auf die Anrede des Bauers, indem er näher trat, mit langem Papierstreifen seine Pfeife anbrannte und einige starke Rauchwolken von sich blies, „daß Ihr gleich vor die rechte Schmiede kommt und mich fragt. Mir sind die Kinder in meiner Schule, wie die Obstbäumchen, die ich im Schulgarten ziehe und pfropfe und oculire – wenn die Stämmchen auch herangewachsen sind und werden herausgenommen und in einen andern Garten versetzt, der oft Stunden weit entfernt ist, so werden sie mir doch darum nicht fremd; ich beobachte, wann und wo ich kann, wie sie gedeihen und wie sie sich auswachsen, und wenn es auch nur über den Zaun hinein geschah, hab’ ich doch schon manchem auch in dem neuen Garten die Wasserschößlinge ausgeschnitten, damit die Fruchtkrone nicht verkümmern soll, oder ich habe ihm einen Pfahl beigebunden, daß er fein hübsch gerade geblieben ist… So mach’ ich’s mit den Kindern auch, ich geh’ ihnen nach und behalte sie im Auge, wenn sie auch schon groß gewachsene Leute und Dienstboten oder gar selber schon Väter und Mütter sind: ich hab’ es auch schon hier und da versucht, mit dem Gartenmesser nachzuhelfen und nachzuputzen – aber leider sind die Menschen nicht so geduldig und willig wie meine Bäumchen…“

Meister Staudinger hatte eben einen tüchtigen Zug aus dem Kruge gethan, jetzt klappte er den Deckel zu und rief mit ärgerlichem Lachen: „Ja, um uns noch einmal Schul’ halten zu lassen, dazu sind wir zu alt…“

„Werden Sie nicht ungeduldig, Herr,“ sagte der Lehrer und maß den Dicken mit dem Kennerauge des Gärtners, der einen aus der Art gerathenen knorrigen Baumstamm betrachtet, „es ist nichts so Besonderes an der Geschichte, daß Sie so sehr darauf gespannt sein dürften – so etwas kommt überall und alle Tage vor und ich rede auch nur, um übler Meinung und falscher Nachrede vorzubeugen, die aus halbem Wissen entstehen und dem Mädchen Schaden thun könnte, denn die Franzi ist ein braves, rechtschaffenes Mädchen, wie sie in der Schule ein gutes, fleißiges Kind gewesen, an dem man seine Freude haben konnte. Aufgewachsen aber ist sie auf dem Aichbauernhof – Sie kennen ja wohl das schöne, reiche Einödgut, das im Seewinkel so stattlich von der Anhöhe herunter sieht, wie ein kleines Schloß… Der Aichbäurin, Gott habe sie selig, war es gar nicht nach dem Sinn, daß sie nur zwei Söhne hatte und keine Tochter, und je mehr die Buben heranwuchsen und tüchtig wurden und anstellig, je mehr that es ihr leid, daß sie nicht auch ein Mädchen um sich hatte, das ihr an die Hand gehen und sie unterstützen und bei ihr bleiben sollte, wenn die Söhne einmal aus dem Hause oder verheirathet sein würden… Sie ließ nicht nach und brachte es beim Aichbauer dahin, daß sie beschlossen, sie wollten fremder Leute Kind in’s Haus nehmen, und wenn es von guter Art sei und bleibe, wollten sie es halten wie ihre eigenen. So fuhren sie in die Stadt und gingen in’s Waisenhaus und besahen sich die armen Kinder alle, die da auf Kosten der Gemeine ernährt und erzogen werden und an denen gerade damals kein Mangel war, denn den Winter zuvor hatte die Cholera in der Stadt übel gehaust und hatte der Waisen gar viele zurückgelassen. Da sahen sie die kleine Franzi und sie gefiel der Bäuerin, weil sie ihr so gerade und offen in’s Gesicht sah und sich auf die Frage, ob sie mit ihr gehen wolle, gleich zutraulich an ihre Schürze hing, und so nahmen sie das Mädchen, das so ein fünf Jahre alt sein mochte, mit sich, und die Herrn von der Gemeinde und die barmherzigen Schwestern, die den Dienst und die Kinderpflege versehen im Waisenhaus, waren alle froh über das Glück, das dem Kinde zu Theil geworden – von seinen rechten Eltern aber war nicht viel mehr zu erfahren, als daß sie arme, aber ehrliche Leute gewesen – wenn ich nicht irre, ist der Mann ein Handwerksgeselle gewesen, ein Kunsttischler oder Kunstdrechsler: die beiden Leutchen sind in einer Nacht an der Cholera gestorben, und da keine Verwandten sich meldeten und zu erfragen waren, mußte sich der Magistrat um das verlassene Kind annehmen und that es in’s Waisenhaus…“

„Wenn Sie nichts Gescheideres zu erzählen wissen,“ rief unmuthig der Metzger, „so lassen Sie es lieber ganz bleiben! Waisenhaus, Cholera – ist das ein Discurs, wenn man im Wirthshaus ist – da schmeckt Einem zuletzt das Bier nicht mehr!“ Er hob lachend den Krug und setzte an, wie zu einem starken Trunke, aber das Lachen klang nicht mehr so übermüthig laut und nachdem er nur genippt, stellte er den Krug wieder zurück – es war wirklich, als ob das Bier zu munden aufgehört. „Das ist der Mühe werth,“ fuhr er fort, „daß man so viel Aufhebens macht wegen einer solchen Person! Wenn Sie auch noch so sehr sie loben und herausstreichen, es kommt zuletzt doch auf das heraus, was ich mir gedacht hab’, daß sie nicht weit her ist und daß sie den Aichbauernleuten, die sie zu sich genommen und aufgezogen haben, mit Undank und weiß Gott was, vergolten hat, sonst wär’ sie gewiß noch auf dem Aichhof und müßt’ nit herumfahren unter den Leuten als Kellnerin.“

„Sie thun ihr auch hierin Unrecht,“ sagte kopfschüttelnd der Schullehrer, „man muß nie ein Bäumchen so kurzweg ausreißen – manches, das dürr scheint auf den ersten Anblick, kann um Johanni noch ausschlagen, wenn der zweite Trieb kommt! Die Franzi ist immer fleißig gewesen und brav und hat wacker ausgehalten bei den Aichbauernleuten; und die haben sie auch lieb gehabt und gehalten wie ihr eigenes Kind, wenn es auch ein bischen anders gegangen ist, als sie sich’s eingebildet hatten. Es war, als ob der Himmel sie auf die Probe setzen wollte, denn nach einer Weile kehrte ganz unverhoffter Weise der Storch noch einmal auf dem Aichhof ein und ein Spätling von Mädchen in der Wiege erfüllte den einzigen Herzenswunsch der Bäuerin – sie ließ es aber das angenommene Waisenkind nicht fühlen, daß es nun eigentlich überflüssig geworden war, und so blieben sie friedlich und einträchtig beisammen, die zwei Brüder und die zwei Mädchen, die es fast nicht anders wußten, als daß sie Schwestern seien, bis eben die Zeit kam, wo die beiden Alten rasch hinter einander das Zeitliche segneten, noch dazu, ohne daß sie Ordnung gemacht hatten, wie es einmal mit Haus und Hof gehalten sein sollte, wenn sie nicht mehr da sein würden… Da mag’s zu Streit und Unfrieden gekommen sein und gewiß ist nur, daß das Band, das die vier Menschen bisher zusammen gehalten, gelöst war und daß sie auseinander stoben, wie die Körner einer aufplatzenden Samenkapsel, nach allen vier Himmelsgegenden. Der jüngere Bruder, der Waldhauser, der ein paar Jährchen studirt hatte, ließ sich seinen Antheil herauszahlen und zog in die Stadt, wo er einen Holzhandel angefangen; die Tochter war eine Zeitlang bei einer Schwester der Mutter, die kinderlos ist und auch einen schönen Hof besitzt, da, wo es zum Müller am

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 579. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_579.jpg&oldid=- (Version vom 29.1.2017)