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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

Mädchen, in den Farben der verschiedenen Souveraine gekleidet, schenken den Nektar ein; da eine schwarz-weiße Jungfrau, dort eine schwarz-gelbe, dort wieder eine grün-roth-weiße und dann wieder eine blau-weiß-rothe etc. Aber der Nektar will nicht durchgreifen, der Durst der Menschheit scheint auch demokratisch geworden und er wendet sich lieber dem amerikanischen Original auf dem Marsfelde zu.

Die Menschen des Marsfeldes lassen sich recht eigentlich nach den Dingen, denen sie in der Ausstellung nachlaufen, unterscheiden und charakterisiren. Die Einen können nicht erwarten im Palais zu den Tuchen zu gelangen und sind heißhungrig die Fortschritte zu sehen, welche die Hosenstoffe in der großen Welt machen. Andere wieder zieht es zu der vergleichenden Forschung von Flanell und Leinenwaaren, wieder Andere liegen Tag aus, Tag ein in der Wolle der Ausstellung; was dem Einen das Eisen der Ausstellung, ist dem Andern das Holz und dem Dritten und Vierten und Fünften das Papier, das Leder, die Baumwolle und die Seide. Schwärmer in allen Stoffen der Weltproduction laufen hier umher und die Liebhaberei für das Eine und Andere wird auch hier gepflegt. Respect vor dem ganzen Gebiet menschlicher Arbeit, das sich im Bilde hier mächtig ausbreitet, wird wohl wenigen von denen fehlen, die da umherwandeln, aber die liebe Einseitigkeit, die sie mitgebracht, bringen doch Viele von ihnen wieder mit nach Hause.

Weitaus die größte Gemeinde von Bewunderern hat auf dem Marsfelde aber die Maschine; um sie, in allen Arten und Unterarten, drängt sich zu jeder Tageszeit eine buntgemischte Menge von Wißbegierigen, Neugierigen, Kennern und bloßen Gaffern. Wo nur ein Rad oder Rädchen los ist, sind Leute in Hülle und Fülle rings herum; der eisen- und stahlbändigende Koloß, wie der kleine, nette, rasche Handschuhnäher und der Nadelöhrlöcherer haben ihre Zuschauer. Es ist, als ob sich alle Bewunderung in der Ausstellung vor den Werken der Erfindung zum Höchsten gipfelte. Sehen Sie nur diese Menschenmasse! Vor den Werken eines Lays, eines Kaulbach, eines Gerome steht zu keiner Zeit des Tages ein Fünftel von ihr versammelt. Und was geschieht hier Merkwürdiges? welch’ ein Triumph menschlicher Arbeit offenbart sich hier dem versammelten Volke verschiedener Zunge, verschiedener Länder, verschiedener Zonen? Filzhüte werden fabricirt! Man sieht die einzelnen Filzfasern im Urzustande in eine Maschine zusammenwerfen und dieselben auf der andern Seite der Maschine zu einem großen Stück geeint herauskommen. Eine zweite Maschine verrichtet dann das Formelle an dem Hute, die letzte Hand wird von Menschen angelegt und nach fünf Minuten ist aus den Filzfasern ein veritabler, runder Hut geworden. Nebenan feiert wieder Gevatter Maschinenschuster seine Triumphe, er macht in derselben Zeit ein Paar Schuhe, in der ein anderer Schuster ohne Maschine noch nicht einmal das Maß genommen hat. Ich glaube, der Mann weiß sogar von vorn herein, wo dich das Meisterwerk seiner Maschine in nicht ferner Zeit drücken wird. Zwei Schritte weiter staunt die überraschte Menge, wie eine kleine Maschine in zwei Minuten hundert Stück Visitenkarten wiedergiebt, die man eben erst bestellt hat. Weiterhin wird Chocolade vor unsern Augen fabricirt und emballirt, Seife gemacht, werden Bonbons geschaffen, Placate gedruckt, Bilder gravirt und noch einiges Andere. Und Alles nur Schnelligkeit, keine Hexerei! Die Franzosen haben eine ganze Reihe dieser werkthätigen Maschinen neben einander aufgestellt und lassen sie zum Ergötzen der Menge alle auf einmal, in buntem Nebeneinander arbeiten ad majorem nationis gloriam. Sie haben da eine gemeinsame Nationalwerkstätte für sich geschaffen und zeigen, wie sie auf diesem engen Raume jeglichen Menschen in kurzer Zeit mit den wichtigsten Culturbehelfen des Daseins auszustatten vermögen, mit Kleidern, Hüten, Stiefeln, Seife, Bonbons und Visitenkarten. Machen diese einzelnen Dinge zusammen den modernen gewöhnlichen Menschen, so kann man von dieser französischen Maschinenabtheilung behaupten, daß in ihr in wenigen Minuten mit der Maschine – Menschen gemacht werden. Diese Maschinenthätigkeit imponirt der Menge in ungewöhnlichem Grade und mit ihr ist für andere Thätigkeiten schwer zu concurriren. Warum malt auch Kaulbach nicht hier vor den Augen der Menge seine „Reformation“? Sein Bild würde dann vielleicht noch mehr Andrang erleben. Wir leben eben im Zeitalter der raffinirtesten Arbeit, und das „Wie“ der Arbeit interessirt so viele Leute mehr als das „Was“. Die Menschen geben sich eben auf Weltausstellungen nicht besser, als sie sonst sind. Sie laufen sonst in hellen Massen dem Gold nach und thun es auch auf dem Marsfelde.

Wir brauchen nur den französischen Bijouterie-Salon zu betreten – wir gehen einfach durch die Rue de Paris und sind schon dort – um uns davon zu überzeugen. Hier an diesem Salon hat die französische Werkstätte der Maschinengalerie einen[WS 1] bedeutenden Concurrenten, sobald es sich um den Massenanschlag des Besuches handelt. Wie sie, Männer, Frauen, Kinder, die mit rothem Sammet ausgeschlagenen geschmackvollen Schmuckkästen belagern! Man muß Queue bilden, um zu den ausgesuchten Herrlichkeiten der französischen Juweliere zu gelangen. Der Salon müßte die Größe der Rue de la Paix, bekanntlich die große Juwelenstraße von Paris, haben, um uns Ruhe des Anschauens gewähren zu können. Ich weiß nicht, was hier mehr funkelt: die vielen begehrenden Frauenaugen oder die ausgestellten Juwelen. Es ist jedenfalls ein interessantes Wettleuchten, das wir vor uns haben. Hunderte von Augen hängen zu gleicher Zeit an dem Schmuck der Kaiserin Eugenie, den der Juwelier der Krone, Mr. Bapst, ausstellt. Das Diadem und Collier strotzen von großen Perlen und doch nehmen beide noch lange nicht den ersten Rang im Schmuckkasten der hohen Frau ein. Wie viele von den Damen, die mit uns hier stehen, wären nicht schon mit diesem Schmuck höchlichst zufrieden! Vor dieser Bundeslade der Bapstischen Juwelen herrscht jene wahrhafte Weihe des Beschauens, die sonst nicht oft im Ausstellungspalast angetroffen wird. Das ist wahre Andacht, man schweigt in Ehrfurcht und verschlingt blos die theueren Sachen mit den Augen. Wenn ja einmal im Kreise der Umstehenden ein Mund sich aufthut, so ist es gewiß der einer Dame, die – auch Juwelen zu Hause hat, deren sie sich hier mit Vergnügen erinnert, dem Angedenken der Theuren schwungvolle Worte leihend und ihre sechs bis sieben Karate laut vor den Ohren der Umstehenden besingend.

Allen Respect, meine Gnädige! Aber muß es schon Juwelen geben, so halte ich mich doch gleich an den Kasten des Herrn Bapst. Er repräsentirt blos das Capital von dreißig Millionen! Und er birgt neben den verschiedenen Stirnreifen, Hals- und Brustschmucksachen, alle voll blitzender Diamanten oder großen und kleinen Perlen, Perlentropfen oder Smaragden, Rubinen, Sapphiren, von zehntausend Francs bis eine Million Francs im Werthe aufsteigend, auch noch ein historisches Juwel: den Diamant Sancy. Bekanntlich hatte die letzte Weltausstellung zu London ihren berühmten Diamanten, den Kohinor. Die jetzige Pariser wäre bald ohne ein solches Meisterstück geblieben, wenn nicht der Besitzer des „Sancy“ zur Ausstellung desselben bewogen worden wäre. Der Mann heißt Oulmann, hat also wahrscheinlich einmal Ullmann geheißen, was freilich, neben den Sancy gehalten, sehr nebensächlich wird. Liegen sich die Diamanten-Gelehrten ja auch wegen des Namens dieses Sancy in den Haaren. Die Einen sagen, er heiße „Sans-si“, und man wollte damit sagen, daß er nicht seines Gleichen habe. Die Anderen wieder sagen, der Diamant habe seinen Namen von einem der vielen Besitzer, die er schon gehabt, von einem Herrn De Sancy, der ihn an Heinrich den Vierten von Frankreich verkauft haben soll. Eines steht fest: der Sancy ist ein historischer Diamant und Karl der Kühne hat ihn in der Schlacht von Nancy getragen. Das ist aber etwas lange her, und der Sancy, wenn er sprechen könnte, so hell und schön, wie er im Bewußtsein seiner dreiundfünfzig und einem halben Karat leuchtet, wüßte Verschiedenes von Leuten, die ihn seither besaßen, zu erzählen. Er war auf einer ewigen Wanderung begriffen und man könnte ihn als den Ahasver unter den berühmten Diamanten der Welt bezeichnen. Seine Besitzer waren meist unglücklich und er ging schon oft den Weg aus den Palais der Großen der Erde in die Boutiquen der Juweliere. Er kam von Frankreich nach England, von England nach Belgien, von hier 1830 nach Petersburg an das Haus der Demidoffs. Aus diesen russischen Händen kam er wieder nach England mittels Kauf und von da nach Indien. Bombay war die letzte Station seiner langen und großen Wanderungen; von dort haben sie ihn zur Ausstellung nach Paris, seiner alten Heimath, geschickt und hier harrt er eines Käufers.

Prinz Demidoff hat seiner Zeit fünfmalhunderttausend Francs für den Stein in Brüssel gegeben, heute ist der Sancy vielleicht billiger zu haben und ist doch nicht an den Mann zu bringen. Man hat bereits allen Höfen Europas Verkaufsofferte gemacht, sie mögen ihn nicht. Ich kann es ihnen nicht verargen, ich legte mir eine halbe Million auch lieber in die englische Bank und ließe den Sancy Sancy sein. Vielleicht beißt aber einer der Souveraine, die noch zur Ausstellung kommen und vor dem Kasten des Herrn Bapst stehen bleiben, doch noch an und der Sancy kommt wieder in königliche Hände. Am Ende nimmt sich ein großbritannischer Edelmann des Edelsteines wieder an. In den Schmuckkästchen reicher, englischer Ladies hat ja schon so mancher historische Stein Ruhe gefunden.

So soll die Perle, die einst Cäsar der Sempronia, der Mutter des Brutus, geschenkt, dieselbe, die später Karl der Erste an dem Tage noch trug, da er im Tower das Schaffot bestieg, und die einen Werth von drei Millionen Francs repräsentirt, heute im Familienschmuck eines der ersten englischen Häuser eine sichere Unterkunft gefunden haben. Was die vornehmen Frauen Englands noch sonst für Schmuck in ihren Kästen haben mögen, man bekommt davon einen Begriff, wenn man die Diademe, Colliers, Ohrgehänge, Brochen etc. sieht, welche der Frau des Grafen von Dudley gehören und die, auf englischer Seite von dem Londoner Juwelier Hunt ausgestellt, das Erstaunen und die Bewunderung der beschauenden Damen aller Nationen in nicht geringerem Grade erregen, als die Kostbarkeiten des Bapst’schen Kastens auf französischer Seite. Mit Recht hat man den Grafen von Dudley zum Juror über Juwelen hier gemacht, er ist der erste und verständigste Juwelenliebhaber Englands. Seine Frau weiß davon, wie wir da sehen. Und wer, meinen Sie, war diese Lady Dudley, die sich heute Hals, Kopf und Brust mit solchen Steinen schmücken kann? Ein armes Arbeitermädchen von London! Wenn nur Juwelen reden könnten! – ich komme immer wieder darauf zurück. Nicht weit da von dem Schmuck der Dudley hat der Londoner Juwelier Brodgen zwei perlenbesäete Attilas des ungarischen Fürsten Paul Esterhazy ausgestellt, die bei der kürzlich in London vorgenommenen Versteigerung des Esterhazy’schen Familienschmucks um fünfzigtausend Francs in sein Eigenthum übergegangen sind. Was meinen Sie, wenn diese Perlen reden könnten, was würden sie uns von der Vergänglichkeit altaristokratischer Herrlichkeit Alles zu erzählen haben?




Blätter und Blüthen.


Zur Geschichte einer Unentbehrlichen. Kaum hatte der Mensch sich die Taschenuhr als einen stehenden Artikel seiner Toilette annectirt, als man auch schon begann, in Bezug auf Art und Form des neuen Bedürfnisses seiner Phantasie und Laune den Zügel schießen zu lassen; wie neue Moden für Kleider und Hüte, gab es bald auch für die Taschenuhren beständig wechselnde Moden. Die ersten Uhrmacher bevorzugten das Pflanzenreich, sie gaben ihren Uhren die Form von Blumen und Früchten. Wir erinnern uns, eine in Nürnberg gefertigte Uhr gesehen zu haben, welche die Gestalt einer Birne hatte; eine andere, von französischer Abkunft, war wie eine Melone geformt. Sie hatte nur anderthalb Zoll im Durchmesser und der Uhrschlüssel stellte ein Melonenblatt vor. Im Süd-Kensington-Museum zu London befindet sich eine etwa hundert Jahre alte sehr kleine Uhr in Apfelform mit einem emaillirten und

Anmerkungen (Wikisource)

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verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 575. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_575.jpg&oldid=- (Version vom 19.2.2017)