Seite:Die Gartenlaube (1867) 574.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

deren begeisterungsfrischer Lesedurst, deren eben erwachter noch junger Bildungsdrang nicht blos der schriftstellerischen Thätigkeit eine verjüngende volksthümliche Richtung, sondern auch dem buchhändlerischen Vertriebe ein neues Arbeitsfeld, einen bis jetzt für denselben gar nicht vorhandenen Boden von unermeßlicher Ausdehnung gegeben hat. Daß dieses neue Publicum keine rohe, für Besseres nicht empfängliche Masse ist, wie gern es vom Schlechteren sich abwendet, wenn ihm Gutes geboten wird, zeigt die massenhafte Verbreitung, welche neuerdings gute Bücher und sorgfältig in edlem Sinn und Geschmacke geführte Zeitschriften finden.

Freuen wir uns also und jubeln, daß jener schwer auf dem Fortschritte lastende Bann endlich gebrochen und dem Bildungsstreben wiederum eines seiner Hindernisse hinweggeräumt ist, so thun wir dies mit Tausenden und abermals Tausenden im weiten Umkreise unseres Volkes.[WS 1] Schauen wir uns doch um. Kaum ist der Befreiungsruf erschollen, so drängen sich auch schon überraschende Folgen desselben uns überall entgegen. Ein heißer Wetteifer, eine riesenmäßige Thätigkeit ist erwacht, große Capitalien sind aufgewendet und bereits Tag und Nacht Hunderte von Händen und Kräften in Bewegung, um zu geeigneter Zeit in massenhafter Weise[WS 2] einem massenhaft sich äußernden Verlangen genügen zu können. Schon binnen Kurzem werden wir sauber und elegant hergerichtete Ausgaben unserer Classiker zu Preisen kaufen, für welche bisher kaum die elendeste literarische Jahrmarktswaare zu erlangen war. Und nicht genug, daß Buchhandel und Typographie so großartige Anstrengungen machen, um dem ihnen eröffneten neuen Wirkungskreise würdig zu entsprechen, auch die Kunst ist bereits in diesen Dienst des Volkes getreten, um es den Gaben für Geist und Herz nicht an dem belebenden und deutenden Bilde, der geschmackvollen und erhebenden Augenweide fehlen zu lassen. Illustrirte Ausgaben von Dichtungswerken waren bisher nur in den Häusern der Wohlhabenden, auf den Salontischen vornehmer und eleganter Damen zu finden. Von jetzt ab wird auch der Unbemittelte sich einen solchen vielfach so schmerzlich ersehnten Besitz, eine so freundliche Haus- und Tischzierde für einen geringen Betrag verschaffen können. Namhafte deutsche Maler, wie Ferd. Piloty, Ad. Schmitz, Paul Thumann, Gabriel Max, Carl Schlesinger, Ernst Bosch, haben sich vereinigt, eine ebenso wohlfeile als schöne Sammlung der beliebtesten classischen Hauptwerke mit einer großen Reihe von Bildern zu schmücken, wie sie in dieser Sauberkeit und künstlerischen Vollendung früher nur in theuern Prachtausgaben zu finden waren. Was wir von diesen neuesten Leistungen deutscher Illustrationskunst bereits im Voraus gesehen haben, hat uns wahrhafte Freude bereitet, und wir glauben unseren Jubelartikel über das nahende Auferstehungsfest unserer großen Lichtträger und Vorkämpfer nicht besser schließen zu können, als wenn wir unseren Lesern hier einige dieser lieblichen Bilder vorführen.

Diese Bilder sind den Illustrationen zur „Luise“ von Voß entnommen, welche Ende dieses Monats erscheinen und den Reigen der genannten von der Verlagshandlung (F. Grote’sche Buchhandlung in Berlin) mit Sorgfalt bereits vollständig vorbereiteten Sammlung eröffnen wird. Dieselbe concurrirt nicht mit den neu entstehenden, auf möglichste Vollständigkeit berechneten Gesammtausgaben, sondern will nur eine „Illustrirte Hausbibliothek“ der beliebtesten Meisterwerke sein. Eine Verpflichtung der Subscribenten zur Abnahme erstreckt sich immer nur auf eine dem Inhalte nach vollständig abgeschlossene Serie von zwölf Bänden, das Ganze ist auf drei solcher Serien berechnet. Bei dem verschiedenen Umfange der Dichtungen können natürlich die einzelnen Bände nicht gleich stark sein, durchschnittlich aber wird jeder derselben elf bis zwölf Bogen mit literarisch-kritischer Einleitung, sechs bis acht eingeklebten Vollbildern und vielen in den Text gedruckten Illustrationen umfassen. Der Preis eines solchen Bandes ist auf nicht mehr als acht Silbergroschen bestimmt, so daß man also z. B. Goethe’s Faust, zwei Bände mit reichem Bilderschmuck ausgestattet, für sechszehn Silbergroschen als Eigenthum erwerben wird. Aus dem hier vor uns liegenden Verzeichniß der drei Serien ersehen wir, daß in den sechsunddreißig Bänden derselben viele der bedeutendsten Dichtungen unserer classischen Zeit ihren Platz gefunden haben, u. A. also die meisten Dramen Goethe’s und Schiller’s, Götz, Egmont, Tasso, Iphigenie, Don Carlos, Jungfrau von Orleans, Maria Stuart, Wallenstein, Fiesco, Tell, Lessing’s Minna von Barnhelm, Nathan der Weise, Emilia Galotti etc., natürlich jeder Band so reich illustrirt wie der andere. Daß ein solches Unternehmen im Interesse unserer Leser einer Hinweisung der Gartenlaube werth gewesen, werden die späteren Beschauer der versprochenen Leistung nicht bestreiten.

A. F.




Pariser Weltausstellungs-Briefe.
Von Michael Klapp.
4.
Porte Rapp. – Der Weg des Kaisers und des Volkes. – Die Speculation mit den Souverainen. – Der demokratische Durst. – Unter Diamanten und Perlen. – Wenn Perlen reden könnten!


Wir treten heute durch die Porte Rapp in die Welt des Marsfeldes ein. Sie ist die beliebteste der vielen Weltausstellungsthüren. Warum sie es ist? Ich habe es noch nicht herausgebracht. Man bekömmt, bei ihr angelangt, nicht das großartige Bild, das die Porte Jena gewährt, Leben und Treiben sind auch vor dem „Thore der Militärschule“ weit bedeutender, und doch ist sie die belebteste. Alles fährt vor der Porte Rapp vor, Alles geht zur Porte Rapp hinein, der Kutscher, der dich fährt, setzt dich, so du nicht eigens einen andern Halteplatz angiebst, selbstverständlich an der Porte Rapp ab. Die Porte Rapp ist unsterblich geworden, das berühmteste, populärste Thor der Welt. Ich glaube fast, die Pariser haben wie auf stille Verabredung die Porte Rapp so in Schwung gebracht und blos, weil der Kaiser immer zur Porte Jena seinen Einzug hält. Die Opposition – und sie zählt wahrlich auf den Straßen von Paris mehr Seelen als im Corps Legislatif! – geht eben nicht den Weg des Kaisers, auch nicht einmal den zur Ausstellung.

Im Kleinen wiederholt sich auch hier vor diesem Thore das geschäftig industrielle Bild, das wir vor dem Thore von Jena gesehen haben. Da sind auch die fliegenden Photographien-Verschleiße wieder, aber das Verkaufsrepertoire ist ein anderes geworden. Andere Zeiten, andere Photographien! Sie bieten dir heute nicht mehr „le grand Sultan“ zum Kaufe an, der ist schon veraltet, heute rufen sie wieder „le pauvre Empereur Maximilien“ und empfehlen dir mit dieser mitleidsvollen Feilbietung für einen Sou ein stilles Angedenken an den Todten von Queretaro. Wie rasch so ein Souverain in den Händen eines solchen Photographienhändlers ablebt, man glaubt es gar nicht. Wer von diesen frägt hier heute nach dem Kaiser aller Reußen und seinen zwei Söhnen? Sie sind ja schon wochenlang weg und ziehen nicht mehr. Der Anwesende hat Recht! sagen diese Physiognomienverkäufer. Laßt heute den Herzog von Nassau hier sein, und diese Leute verdrängen den König von Preußen und stellen in ihren Ausrufen den herzoglich nassauischen Thron wieder her.

Die Speculation auf die Souveraine der Welt ist in dem Paris der Ausstellung eine große. Die unbeliebtesten Kaiser und Könige sind auf einmal beliebt, wenn sie zur Ausstellung nach Paris kommen und viel, viel Geld ausgeben. Aber das müssen sie, sonst ist’s schlecht mit ihrem Ansehen bestellt. Wodurch, meinen Sie, hat sich der „große Sultan“ seinerzeit hier in der Meinung der Pariser so herabgesetzt? Etwa durch seine christenverfolgenden Kriegszüge auf Candia? Bewahre! Er hat wenig Geld ausgegeben und das war sein Verbrechen! Ein Sultan müsse Millionen hier verzehren, sagten die Pariser, sonst ist er kein Sultan. Wozu hat er einen[WS 3] Harem mit so viel Weibern, wenn er nicht jedem von ihnen zehn oder zwanzig Kleider und Geschenke in Unzahl nach Constantinopel mitbringt? Der Mann hat sich für immer ruinirt, er hat kaum hunderttausend Francs in Paris ausgegeben! Das wird sich, sowie die orientalische Frage ernster wieder auftritt, gewiß rächen. Und darum, thut nur Geld in Euren Beutel, meine Herren Majestäten und kaiserliche und königliche Hoheiten, die Ihr noch, incognito oder nicht, nach Paris kommen wollt, thut Geld in Euren Beutel, und die Pariser werden nicht das Mindeste gegen Euere Regierung haben, sei sie sonst wie immer beschaffen. Mohrenköniginnen können hier blühend weiß gewaschen werden, wenn sie nur ihr Geld unter die Pariser werfen.

Aber welche Ehre man ihnen auch allen anthut, den kleinen und großen Potentaten der Welt! Und wie ausgesucht artig man gegen sie ist, wie allseitig discret und zart! Man fährt den Kaiser von Rußland nicht über den Boulevard Sebastopol und den König von Preußen nicht über die Jenabrücke und den Kaiser von Oesterreich nicht über den Boulevard Magenta, auf daß sie keine historischen Schmerzen überkommen. Eben hier im Gehen und Plaudern begegnet uns, während wir die französische Außengalerie hinabwandeln, eine neue Aufmerksamkeit für die Souveraine. Ueber einem buntdrapirten, hübsch herausgeputzten Pavillon lesen wir den stolzen Namen: „Nectar des Souverains“. Es ist dies das neueste Getränk der Weltausstellung, eine Nachahmung des köstlichen Crême-Eis-Soda, mit dem einer der amerikanischen Restaurants hier unter den Gourmands Furore gemacht.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Vokes
  2. Vorlage: Weisse
  3. Vorlage: einem
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 574. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_574.jpg&oldid=- (Version vom 19.2.2017)