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bestimmte Areal zweihundertzwanzig Morgen und das zu Gemüsesamen verwendete zweihundertzehn Morgen enthält. Eine so beispiellose Ausdehnung bedingt allerdings auch einen ganz außergewöhnlichen Kraftaufwand, in welchen sich nach amtlichen Listen einundvierzig Kunst- und Handelsgärtner und siebenundvierzig Gemüsegärtner mit über hundert Gehülfen, dreihundertsechszig Arbeitern und einundfünfzig Lehrlingen theilen, welche den Geschäftsinhabern nach gewöhnlichen Lohnsätzen eine Ausgabe von etwa dreiundsechszigtausend Thalern jährlich verursachen.

Einer der Erfurter Handelsgärtner beschäftigt sich, unter Hülfe von einigen dreißig Arbeitern, ausschließlich mit der Anfertigung und Versendung von Bouqueten und Kränzen aus lebenden und getrockneten Blumen. Die kunstgerechte, äußerst geschmackvolle Auswahl und Zusammenstellung der Blumen in Form und Farbe findet allgemeine Anerkennung und Bewunderung. Die getrockneten Blumen sind zwar geruchlos, allein ihre Haltbarkeit und ihr Farbenspiel unterscheiden sich nur wenig von dem der lebenden. Sie bilden die winterliche Zierde so manches zum frohen Festmahle geschmückten Heerdes in naher und weiter Ferne, wie sie die Trauerbahren schmücken und in den Händen der über Schnee und Eisdecken schreitenden Bräute im fernen Norden an Frühlingsluft und Frühlingspracht mahnen.

Mit dem Auslande stehen siebenundzwanzig Gärtner in Verkehr; sie lassen in der Regel jährlich etwa dreihunderttausend Stück, öfters fünf bis sechs Bogen starke Kataloge zu einem Kostenpreise für Satz, Druck und Papier von nahezu vierzehntausend Thalern drucken, welche für die Postverwaltung einen jährlichen Portoertrag von ungefähr dreitausend Thalern abwirft.

In Bezug auf die Absatzwege aller dieser Gärtnereierzeugnisse nehmen die österreichischen Staaten den ersten Platz ein. Ein besonders lebhafter Verkehr hat sich mit Ungarn, Siebenbürgen, Galizien und der Bukowina, mit Böhmen sowie mit dem Districte unter- und oberhalb der Enns entwickelt und fest begründet. Diese Länder sind seit vielen Jahren schon die hauptsächlichen Abnehmer der Erfurter Erzeugnisse von Blumen- und Gemüsesamen und entnehmen, nach festgestellten Ermittelungen, über die Hälfte des gesammten Ernte-Ertrages. Die demnächst noch verbleibende kleinere Hälfte vertheilt sich auf das deutsche Gebiet, auf Frankreich, Rußland, England, Italien, sowie auf außerhalb Europa’s gelegene Länder. Rußland gegenüber ist indeß in den letzten Jahren eine fühlbare Verkehrsabnahme eingetreten, wegen der unvortheilhaften Verwerthung der russischen Banknoten, wie anderweiter hemmender Uebelstände.




Literatur und Kunst für das Bürgerhaus.
Zum Auferstehungsfeste unserer großen Meister.


Da sitzen nun die Männer der Finsterniß und des Rückschrittes, zerkäuen sich die Nägel und sinnen und halten geheimen und offenen Rath mit einander, wie sie die Welt um ein paar hundert Jahre zurückschrauben und mit den Lumpen vermoderter Anschauungen mindestens die Canäle verstopfen können, durch welche der Geist, den sie nicht zu tödten vermögen, der lichte und fröhliche Geist der Befreiung und Humanität, der Erlösung von herabdrückenden und trennenden Vorurtheilen bald in gewaltig brausender Strömung, bald mit dem linden Wehen des Frühlingshauches in die große Masse des Volkes dringt. Die Verblendeten! Auf ihrer Fahne steht, was das Jahrhundert nicht mehr will: Bevormundung des menschlichen Denkens und Fühlens nach von oben her vorgeschriebener Satzung, feindselige Sonderung und Scheidung der Menschen hier um des Standes und Interesses, dort um der Confession und des Glaubens willen! Sehen sie denn nicht, daß sie einen vergeblichen Kampf kämpfen, einen wahnwitzigen Verzweiflungskampf nicht gegen spukende Ideengespenster, sondern gegen das unaufhaltsame Vordringen einer riesenhaften Macht, die mit ungeheuerer Siegesgewißheit aller kleinlichen Maßregeln menschlicher Klugheit spottet und an dieser und jener Stelle nur durch künstliche Dämme gehemmt wird, um unerwartet an einer anderen wieder hervorzubrechen, ein Feuer, das nicht zu erlöschen, ein Leben, das nicht zu ersticken und mit Keulen nicht todtzuschlagen ist? Nicht lange, so werden wir in dieser Hinsicht wiederum ein merkwürdiges Schauspiel erleben, eine Schleuße werden wir plötzlich geöffnet, ein majestätisches Stück deutschen Geistesstroms seiner hemmenden Schranken entledigt, ja eine ganze Schaar von Geistern losgelassen sehen, um sich aus dürren und beengenden Höhen in die weiten und frischen Auen des Volkslebens zu stürzen und nun hier ihre stille Arbeit, ein langes und fruchtreiches Wirken zu beginnen in Häusern, die ihnen bis jetzt verschlossen, in Köpfen und Herzen, die ihnen fremd geblieben sind.

Oder braucht es vielleicht erst bewiesen zu werden, daß die im November d. J. endlich eintretende Befreiung unserer classischen Dichter und Schriftsteller im wahrsten und eigentlichsten Sinne eine Wiedergeburt derselben, eine ganz unermeßliche Verstärkung ihrer Wirkungskraft und demzufolge ein bedeutsamer Wendepunkt in der Entwickelungsgeschichte unseres Jahrhunderts ist? Wird ja das Recht zum Verlage und zur Herausgabe dieser Classiker alsdann nicht mehr das Privilegium einzelner Buchhändler und Familien, sondern der freien Concurrenz des gesammten Buchhandels überlassen sein. Wer die Bedeutung dieses Ereignisses nicht sieht und fühlt, dem wird sie freilich nicht klar zu machen sein. Die Finsterlinge sehen es und empfinden ihre Ohnmacht, sie ahnen, daß ihren Plänen und Bemühungen in den längst von ihnen verdammten, in den Bann gethanen und trotzdem nun erst ungehindert in das Volksleben hereintretenden Lessing und Herder, Goethe und Schiller ein neuer und gefährlicher Feind erwächst.

Denn die Nation, wenigstens ein beträchtlicher Theil des Volkes, steht einer neuen und wohlfeilen Darreichung ihrer unsterblichen Denker und Dichter nicht theilnahmlos und unvorbereitet gegenüber. Die Erkenntniß vielmehr, daß aus den Werken dieser Dichter ein Hauch lichtvoller Erweckung strahlt, daß in ihnen ein reiner Quell hoher Geistes-, Herzens- und Geschmacksveredelung fließt, daß die Lectüre, das sorgfältige Studium dieser Werke eine unerläßliche Grundlage deutscher Bildung ist, diese Erkenntniß lebt jetzt in den Herzen Unzähliger, hat in Unzähligen einen lebhaften und sehnsüchtigen Drang nach einem vertrauten Umgange mit jenen Geistesschätzen erzeugt. Ueberhaupt haben sich die Verhältnisse in dieser Beziehung in einer fast wunderbaren Art verändert. Könnte man einen Einblick in die Handelsbücher des deutschen Buchhandels während der letzten dreißig Jahre erlangen, so würde sich an der ganzen Anlage und dem allmählich sich steigernden Absatze ihrer Unternehmungen eine der merkwürdigsten culturgeschichtlichen Umwälzungen verfolgen lassen: eine Durchfrischung, Verjüngung und riesenhafte Erweiterung des lesenden Publicums, wie keine andere Periode der bisherigen Menschheitsgeschichte als unzweifelhaftes Ergebniß fortgeschrittener Gesittung aufzuweisen hat.

Auf den Charakter dieser machtvollen Wandlung, auf ihre mannigfachen Ursachen, Wirkungen und Zusammenhänge, sowie auf ihre tiefgreifende Bedeutung für die Zukunft näher einzugehen, kann hier nicht unsere Absicht sein. Genug, es ist eine unleugbare Thatsache, daß in Deutschland die Gewohnheit und Fähigkeit, das Bedürfniß des Lesens nicht mehr das ausschließliche Vorrecht einer sogenannten „Gelehrtenrepublik“ und ihres Schweifes von gebildeten und schöngeistigen Laien, kurz eines winzigen Häufleins sind, das früher allein einen directen Verkehr mit der Welt des geistigen Schaffens unterhielt und gleichsam das Vermittelungsglied bildete, durch welches sich die von den Schriftstellern ausgestreuten, einen Umschwung der Sitten und Anschauungen herbeiführenden Ideen nur langsam, spärlich und erst aus zweiter Hand auf die weiteren Kreise übertrugen. Vielmehr ist aus dem gährenden Umschwunge aller politischen, aller Cultur- und Bildungsverhältnisse, aus der Erstarkung des Bürger- und Arbeiterstandes mit erstaunlicher Schnelligkeit ein gänzlich neues Publicum auch für die Literatur herangereift, und an die Stelle der Hunderte, die früher allein ein wärmeres Interesse für Bücher und Schriften hatten, sind eben so viele Hunderttausende getreten,

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verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 572. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_572.jpg&oldid=- (Version vom 19.2.2017)