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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

Welt durch rasch aufblühende und fruchttragende Schöpfungen und Institutionen einer vorurtheilsfreien Weltcultur, daß sie, ohne ihre Nationalität aufzugeben, Herz und Kopf frei genug haben, um sich in die Anschauungen, Sitten und Gebräuche anderer Völker hinein zu leben, sich mit ihnen zu befreunden und in ihrer eignen Anschauungs- und Lebensweise arbeitend, schaffend und gestaltend, singend und trinkend in allen Völkern zugänglichen Vereinen sie für sich zu gewinnen.

In diesem Leben und Treiben der Deutschen unter allen Längen- und Breitengraden und allen möglichen Nationen vollzieht sich unsere kosmopolitische Mission, schlingt in stiller, aber ununterbrochener Thätigkeit das heitere Band der Verbrüderung und Verschmelzung aller Nationen und schafft immer festere Bürgschaften für den ewigen Frieden und die Freiheit auf Erden, so sehr diese Träume auch noch im engeren Vaterlande selbst und von anderen Nationen verlacht werden.

Von der kosmopolitischen Macht unseres deutschen Clubs in Moskau über die Russen und andere Nationen können wir durch nüchterne Zahlen einen Beweis geben: die Theilnehmer zahlten im vorigen Jahre einen Beitrag von vierundzwanzigtausend Rubel, während die Gäste, bestehend aus allen möglichen Racen und Völkern, nicht weniger als dreißigtausend Rubel bezahlten, um sich dafür die anziehende Freude zu erkaufen, durch unsere geselligen Unterhaltungen ihren eigenen Lebensgenuß zu erhöhen und dadurch unseren jährlichen Umsatz auf beinahe vierhunderttausend Rubel zu steigern.

Es giebt nicht überall solche glänzende Clubs zur Verbreitung deutscher Gemüthlichkeit und Fähigkeit des Lebensgenusses, aber überall auf der Erde finden sich deutsche Pioniere der Weltcultur, die sich immer früher oder später mit ihrem Kneiptalent in Turn- und Gesangvereinen zusammenthun und dem deutschen Kopfe und Arme mit heiteren Kräften, der hell aus den Augen blitzenden Treue und Zuverlässigkeit neue, willkommene Heimstätten gründen. So kann es uns am Ende nicht fehlen, daß wir mit den überall siegreichen Waffen unserer friedlich schaffenden Thätigkeit und Offenherzigkeit für alle Völker noch die ganze Welt erobern, befreien und vereinigen.




Die Garten- und Gemüse-Metropole Thüringens.


Viele Tausende trägt alljährlich die Eisenbahn quer durch das freundliche Thüringer Land vom Norden und Osten nach dem Süden und Westen, Tausende streifen allsommerlich in den Bergen und Thälern des reizenden Thüringer Waldes umher, Hunderte nisten sich auf Monate in einem oder dem andern der vielen kleinen Bäder und Sommerfrischen ein, die sich so verlockend in seinem grünen Schooße bergen, nur Wenige aber aus diesen Reisenden- und Touristenschwärmen fesselt die ehrwürdige Hauptstadt Thüringens, das alte Erfurt, länger als höchstens zu einem flüchtigen Besuche ihres Domes, jener Perle deutscher Baukunst, von welcher die Gartenlaube vor wenigen Jahren (1864, Nr. 15) ein so meisterhaftes Bild gegeben hat. Allerdings Erfurts mittelalterlicher Glanz ist lange dahin; aus der blühenden Reichsstadt mit ihrer stolzen, ewig streitlustigen und streitbaren Bürgerschaft ist eine preußische Festung, eine preußische Militär- und Beamtenstadt geworden, trotzdem aber bietet auch das bürgerliche Element derselben und seine rege industrielle Thätigkeit des Interessanten genug, um, ganz abgesehen von der freundlichen Wald- und Hügelumgebung, uns zu längerem Weilen einzuladen. Namentlich aber ist es Ein Zweig gewerblicher Betriebsamkeit, der in neuerer Zeit Erfurts Namen weit hinaus über die Grenzen Thüringens und Deutschlands, ja über die Europas und über den Ocean hinüber in die neue Welt getragen hat, – sein Gartenbau. Wohl giebt es in Deutschland noch manche Orte und Gegenden, die sich durch Umfang und Leistungen ihrer Gärtnereien auszeichnen, wie Quedlinburg, Köstritz, Bamberg, Ulm u. a. m., die Gärtnerei Erfurts jedoch ist nach verschiedenen Richtungen hin ein Unicum.

Von der Höhe des bekannten anmuthigen Lieblingsluftortes der echt thüringisch gemüthlichen Erfurter, von dem mit hochstämmigen Eichen bestandenen und mit einer Menge kleinerer und größerer Vergnügungsetablissements geschmückten Steigerwald, den im Norden die gen Gotha ziehende Schienenstraße säumt, überblickt man dorthin ein weites flaches Thal, aus welchem im Nordosten die ehrwürdige Stadt mit ihren vielen schönen alterthümlichen Thürmen aufragt und wo weiter im Hintergrunde die Bastionen der Citadelle Cyriaksburg die anmuthige Landschaft abschließen. Diese von sanften Rändern eingefaßte, etwa sechzig Acker enthaltende Thalmulde, jetzt das Bild lachender Fruchtbarkeit, war ehedem ein Terrain, das fast nur aus Sumpf und Teichen bestand; heute ist es urbar gemacht und von dem Quell, dem Dreienbrunnen, regelmäßig bewässert, welcher dem ganzen Gebiete den Namen giebt, insbesondere durch die Bemühungen des einst hochgeschätzten Gartenbauers und horticulturistischen Schriftstellers Christian Richard zu der Hauptstätte des weit und breit berühmten Erfurter Gemüsebaues umgeschaffen.

So erläuterte mir ein Freund, ein alter Erfurter, mit dem ich an einem milden Frühlingstage über den Steiger schlenderte und mit dem Gefühl innern Behagens in die nicht imposante, aber anheimelnde Gegend hinausblickte.

Jedem Fremden fallen in dieser sofort die eigenthümlichen Streifen auf, die in regelmäßigen Zwischenräumen mit ihrem satten Grün wie Sammetbänder von einem hellen Kleide abstechen. „Es sind dies,“ antwortete auf meine desfällige Frage der Freund, der, selbst in nahen Beziehungen zu einem der ersten Gärtnereietablissements, der beste Gewährsmann war, den ich mir wünschen konnte, „die Beete oder vielmehr die Gräben, in welchen wir unsere Brunnenkresse ziehen, deren zarte Blätter Dir heut Mittag als Salat so sehr gemundet haben. Wir nennen sie Klingen. Sie bestehen aus regelrecht geordneten, verschiedene Länge und Breite, etwa zwei bis zwei ein halb Fuß Tiefe enthaltenden, an ihren Rändern mit Rasen eingefaßten Gräben, die entweder ausschließlich zur Bewässerung des dazwischen liegenden Gemüselandes oder zur Züchtung der Brunnenkresse dienen. Die erstere Art dieser Gräben bezeichnet man mit dem Namen ‚Gießklinge‘, während man die andere Art ‚Brunnenkreßklinge‘ nennt. Diese, ein Gesammtareal von zweiundzwanzig Morgen umfassenden Brunnenkreßklingen werden durch drei am Fuße des Steigerwaldes entspringende, in einer Entfernung von zweihundert und fünfzig bis dreihundert Schritt von einander gelegene, einen ziemlich constanten Wärmegehalt von acht bis zehn Grad R. enthaltende, süße Hauptquellen gespeist. Aber auch bei dieser Speisung hat die kunstgeübte Hand der Natur hülfreich entgegenkommen müssen, denn der Untergrund dieser Klingen ist mit großer Sorgfalt geebnet und nivellirt und ihm gerade so viel Neigung zugemessen, um dem Wasser eine stetige, sanfte Strömung zu geben. Nur äußerst selten gefriert dieses Wasser im Winter; unter vorherrschend kaltem Winde indeß bei vierzehn Grad, bei Windstille aber erst bei einem Thermometerstande von achtzehn bis zwanzig Grad Kälte.

Erfurt darf sich übrigens nicht als alleinige Pflanzstätte dieser wohlschmeckenden Kresse rühmen, wie dies oft geschieht. Auch in einigen wenigen Orten Frankreichs hat man Brunnenkreßanstalten in größerem Umfang angelegt, aber ganz nach dem Systeme unserer Dreienbrunner. Paris hat beispielsweise zur Zeit über neunhundert derartige Klingen. Die Uebereinstimmung der französischen Kresseanlagen mit den hiesigen und die gleichmäßige Behandlung in ihrer Cultur findet ihre geschichtliche Erklärung darin, daß während der französischen Occupation im Jahre 1809 Napoleon zwei mit dem Anbau dieser Pflanze vertraute Männer (Nottrodt aus Erfurt und Zugwurst aus Visselbach) anwarb und zur Einrichtung dieser Cultur nach Versailles sandte. Doch soll die Erfurter Kresse einen bedeutend bessern Geschmack haben als die französische, was um so mehr an Glaubwürdigkeit gewinnt, als nicht unerhebliche Sendungen der Erfurter Kresse nach Paris befördert werden.“

„Die Erfurter Brunnenkresse,“ belehrte mein Begleiter mich weiter, „gehört zur Familie der Kreuzblätter mit ziemlich kleinen weißen Blumen. Die Pflanze selbst ist dunkelgrün und blüht vom Monat Juni bis zum Herbst. Ihre Erntezeit sind hauptsächlich Herbst und Winter, sie wird aber vereinzelt selbst bis in den Monat Mai

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verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 570. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_570.jpg&oldid=- (Version vom 19.2.2017)