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welchem Glanze und zu welcher fruchtbaren Ausdehnung sich dieser kleine Kern entwickelt hat.

Zunächst ein Wort über die Verwaltung. Diese ist sieben gleichberechtigten Vorstehern anvertraut, denen fünf „Repräsentanten“ berathend zur Seite stehen, welche als „Revidenten“ alle Angelegenheiten der Gesellschaft den Vorstehern gegenüber vertreten. Erstere bilden sonach eine Art Oberhaus, letztere die zweite Kammer. Sie gemeinschaftlich appelliren in streitigen Fällen an einen „Ehrenvorsteher“. Diese Regierung zählt jetzt nicht weniger als achtzehnhundert freie Unterthanen, von denen nur vierhundertfünfzig wirkliche Mitglieder sind. Die Uebrigen betheiligen sich als Jahresgäste (Russen), Candidaten, sonstige Ausländer und Ehrenmitglieder, zu welchen die höchsten Beamten und Persönlichkeiten der Stadt gehören. Das Clubhaus, eines der geräumigsten Locale der Stadt ist noch nicht Eigenthum der Gesellschaft, sondern wird mit einer Miethe von jährlich siebentausend Silberrubel bezahlt. Das ist viel Geld; aber in den glänzendsten deutschen Städten würde auch für viel höhere Preise kein ähnliches Local erworben werden können, einfach deshalb, weil sie nicht da sind. Die Mitglieder begnügen sich nicht einmal mit diesen von sechshundert Gasflammen erleuchteten Sälen und Zimmern, in denen außer den achtzehnhundert Theilnehmern bei Concerten, Bällen und Maskeraden oft noch die doppelte Anzahl von Gästen bequem Platz finden, da fast jeder Theilnehmer von seinem Rechte Gebrauch macht, zwei Damen und männliche Gäste gegen Entree einzuführen. Während der drei Sommermonate bezieht der Club seine reizend gelegene Villa in dem prächtigen Parke vor der Stadt und bezahlt dafür monatlich tausend Rubel.

Das Clubhaus in der Stadt enthält außer Tanz-, Speise- und Gesellschaftssälen viele geräumige Zimmer zum leider sehr vorherrschenden Kartenspiel, drei Billards, eine prachtvolle, im Winter geheizte Kegelbahn, einen Lesesalon mit Zeit- und Flugschriften und Depeschen in allen möglichen Sprachen und eine Bibliothek von zwanzigtausend Bänden. Möbel, Tafelservice und Wäsche sind äußerst elegant und haben, auch nachdem fünfundzwanzig Procent amortisirt worden sind, noch einen Werth von mehr als fünfundvierzigtausend Silberrubel. Dabei sind natürlich die dunkelblaugrauen Leibröcke mit weißen Metallknöpfen, die schwarzen Tuchbeinkleider, rothen Westen, weißen Halstücher und Handschuhe der zahlreichen Dienerschaft nicht mitgerechnet.

Der Club bietet seinen Mitgliedern für einen geringen Beitrag vielfache Vergnügungen und Unterhaltung, und man findet jeden Abend gute Gesellschaft darin. An Sonn- und Feiertagen, den sogenannten Familienabenden, giebt es Unterhaltungsmusik, Gesangsvorträge, durchreisende Tänzer, sonstige Künstler und Künstlerinnen, sogar Escamoteurs, Akrobaten und andere Virtuosen zu bewundern. Jeden Winter finden zehn Masken- und mehrere unmaskirte Bälle statt, an denen oft dreitausend Personen Theil nehmen; außerdem während der Fastenzeit acht bis zehn Concerte. Die Ausgaben dafür betrugen im vorigen Jahre fünfundzwanzigtausend Silberrubel. Dazu kamen zehntausend Rubel Abgaben an die Stadt, die Theaterdirection, das Findelhaus und andere Institutionen und Behörden, die gern Geld nehmen.

Besuchen wir im Geiste einen Ball dieses deutschen Clubs. Welch ein leuchtendes, farbiges Gewimmel von Gewändern und Völkern! Die helle, leichte Poesie der Damenroben bildet einen grellen Gegensatz zu der nüchternen, schwarzen Allgemeinheit der Herrenleibröcke, aber zwischen ihnen leuchten die glänzenden Uniformen der Officiere, der malerische Anzug des Tscherkessen, der lange Talar des Armeniers, das seidene Gewand des Persers und des Tataren. Der weibliche Ballanzug wird auch hier leider schon durch die geschmacklosen Vorschriften der Pariser Modistinnen verallgemeinert, so daß sich die Damen verschiedener Nationalitäten meist nur noch durch den Gesichtsausdruck unterscheiden. Der langwallende Schleier aus dem dunklen Haar und der melancholische Blick verräth die Armenierin; diese sanften Augen und das blonde Haar darüber können nur einer Tochter Deutschlands gehören; an dem ruhigen Gange und Gesicht bei lebhafter Unterhaltung erkennen wir die Russin, und diese edlen Züge mit schönem Profil, dunklem Teint und feurigem Blick erinnern uns mitten in Rußland an den lachenden, warmen Himmel Italiens.

In einem Nebenzimmer endlich machen unsere Augen eine interessante Entdeckung. In phantastischer Toilette schwebt eine elastische Gestalt in geschmeidiger Ueppigkeit der Formen an uns vorüber, während sie mit Grazie die weiße Papier-Cigarre zum Munde führt und den Rauch kokett in kreisenden Ringen aus ihrem üppigen Munde bläst; dabei glühen die Augen, als könnte man sich die Cigarre daran anzünden, aus dem dunklen, aber olivenfarbig feurigen Teint hervor, der durch die Fülle blauschwarzen Haares noch reizender wird. Wer ist sie und welcher Nation gehört sie an? Der Laie wird schwer errathen, daß sie als eine der schönsten Perlen aus dem ewig wandernden, geheimnißvollen Stamme der Zigeuner von einem russischen Officier entdeckt, gereinigt, geschliffen und in Gold gefaßt, für ein höheres, eheliches und sociales Leben gewonnen und hier mit Stolz in den deutschen Club eingeführt ward. Der Ball und die vorzügliche Musik unterscheidet sich durch keine wesentlichen Merkmale von den Vergnügungen gleichen Namens in unserer civilisirten Welt. Auch an den verschiedenen Büffets und im Speisesaale ißt und trinkt man, wie es jetzt überhaupt Mode ist, nur daß man jedenfalls dem Weine mehr zuspricht, als anderswo. Wenigstens wurde im vorigen Jahre für dreißigtausend Rubel Rebensaft getrunken, obgleich er hier billiger ist, als außerhalb des Clubs. Man hat überhaupt durch die ganze ökonomische Abtheilung hindurch das praktische Princip der englischen Clubs eingeführt und dafür gesorgt, daß alle Speisen und Getränke besser und billiger geliefert werden, als in öffentlichen Anstalten.

Durch eine endlose Reihe von Zimmern und Sälen kommen wir endlich in die Treppe zur zweiten Etage, die fast durchweg mit Spieltischen und dem buntesten Gemisch von Spielern aller Nationen gefüllt ist. Allerdings sind Hazardspiele nicht erlaubt, aber man drischt jedenfalls zu viel Karte, was daraus hervorgeht, daß der Gewinn an verkauften Spielkarten im vorigen Jahre nicht weniger als fünfzehntausend Rubel betrug. Vor diesen leidenschaftlichen Dreschern habe ich eine große Abneigung, und auch die Billardzimmer und die Kegelbahn haben für uns wenig Anziehungskraft, so daß wir hiermit den Ball verlassen und nur noch mit der interessanten statistischen Notiz aufwarten, daß die Spieler um drei Uhr Morgens aufhören und für jede spätere halbe Stunde Strafe zahlen müssen, welche im vorigen Jahre bis auf die Summe von achtzehntausend fünfhundert Rubel stieg.

Jetzt, mitten in unserem besten Sommermonate sind wir, wie alle anständigen Familien, weit hinausgezogen in unseren herrlichen Petrowski-Park, um dessen willen allein die alten Moskowiter mit ihrer giftvollen Presse gegen die Deutschen uns unsre Vorzüge (den hauptsächlichsten Grund ihres Hasses) verzeihen sollten, denn diese Schöpfung voll üppiger Waldung und grüner Augenweiden, schönen Sommerwohnungen und Kaffeehäusern auf ehemals dürrem Sande ist das Werk eines deutschen Gärtners, des unlängst verstorbenen Fintelmann. In diesem Parke logiren wir deutschen Clubmitglieder auf einem aus unsern eigenen Mitteln erworbenen und eingerichteten Grundstück mit Blumengarten, Fontainen, Aquarien, Vogelhäusern, Kegelbahn, Billardzimmern, Spielsälen, Ziel-Schießstand, Plätzen für Seiltänzer, Akrobaten, Kunstreiter und Spielplätzen für uns selbst und unsere Kinder. Hier amüsiren wir uns alle Tage und oft spät bis in die Nacht hinein im Lichte von vierhundert Laternen und Tausenden von farbigen Glasbechern und Kugeln, und essen Sonntags table d’hôte mit rauschender Militärmusik.

Es wird jedoch für solidere und nachhaltigere Zwecke gesorgt. Unser baares Vermögen von mehr als zweihunderttausend Silberrubeln verzinst sich mit beinahe neuntausend, welche nur für Zwecke der Wohlthätigkeit verwendet werden. Verarmte Mitglieder oder deren Waisen erhalten beträchtliche Unterstützungen. Außerdem hat jede Wittwe eines verstorbenen Mitgliedes schon nach fünf Jahren regelmäßig gezahlter Beiträge Anspruch auf eine lebenslängliche Pension von jährlich fünfzig und nach zehn Jahren von hundert Rubeln. Auch erhalten alte, invalid gewordene Beamte nach zwanzigjähriger Dienstzeit ihren ganzen Gehalt als lebenslängliche Pension. Mehrere Kinder genießen aus den Mitteln des Clubs freien Schulunterricht, und nach dem Attentate auf Kaiser Alexander in Paris beschloß der Vorstand als Denkmal ewiger Dankbarkeit für dessen Rettung den beiden hiesigen lutherischen Kirchen ein Capital zu übergeben und von den Zinsen desselben zwei Knaben und zwei Mädchen armer Eltern frei erziehen und unterrichten zu lassen. Bei Spendung aller dieser Wohlthaten wird keine Rücksicht auf Glauben oder Nationalität genommen. Und auch hierin offenbart sich wieder das kosmopolitische Talent der Deutschen. Nur sie sind im Stande und beweisen es in aller


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