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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

führten, kam auf Hitzig und Chamisso, auf die gute, alte Zeit der Musenalmanache, bald auch auf Schwab und Mörike, auf Freiligrath und Lenau. Parallelen wurden gezogen, endlich die „Schilflieder“ citirt. „Auf dem Teich, dem regungslosen etc.“ ich konnte aushelfen mit meinem Gedächtniß.

Der junge Schotte horchte auf.

„Das ist schön,“ sagte er, als ich die letzte Strophe gesprochen, „dieser Klang fehlt doch unserer englischen Lyrik, selbst, was mehr sagen will, unserer schottischen.“

„Lassen Sie ihn fehlen,“ warf Heyse dazwischen, „Sie haben Besseres dafür. Lenau, wenn er den Blitz anruft, ihn zu tödten, ihm der ‚Ariadne-Faden‘ zu sein und ihn hinauszuführen aus diesem ‚Labyrinth der Qual‘, ist doch eigentlich ein Lästerer, dessen Blasphemie durch Sentimentalität nicht besser wird. Ihre Nordlandsschultern müßten mich täuschen, wenn Sie so viel Ungesundheit ertragen könnten.“

Kugler, der an diese Keckheit der Debatte am meisten gewöhnt war, lächelte und warf hin: „Um so besser wird Freiligrath vor Ihnen bestehen, Sie werden ihn wenigstens nicht unter die Sentimentalen werfen.“

„Ich weiß doch nicht,“ erwiderte Heyse, und während er diese Worte absichtlich dehnte, war es erkennbar, daß er bereits nach Aehnlichkeiten zwischen Lenau und Freiligrath suchte. Solche Analogien zu finden, just da, wo keine waren, reizte ihn; hier war das eigentliche Feld für Witz, Einfälle, Paradoxien.

„Ich weiß nicht,“ wiederholte er, „ob sie nicht eigentlich doch Geschwisterkinder sind. Der Eine reitet durch die Wüste, der Andere durch den Urwald; mit den Chippeways-Indianern haben Beide zu thun. Aber dies bei Seit’. Sie haben auch einen verwandten Herzschlag. Sie sind Beide europamüde, Beide malcontent, ohne recht zu wissen warum. Sie haben nur eine verschiedene Art sich auszudrücken, der Eine verfährt lyrisch-unmittelbar, der Andere versteckt sich hinter allerhand Masken, oder sag’ ich lieber, er ist ein Maskenball in sich. Türke, Jude, Armenier, was Sie wollen. Aber nun warten Sie den Moment der Demaskirung ab. In privater Loge tritt er an Sie heran, jetzt ohne Turban. Da steht er, ganz er selbst, kein Scheikh mehr, Westphale durch und durch. ‚Allein, allein, und so will ich genesen.‘ ‚Das Mal der Dichtung ist ein Kainstempel.‘ Verlangen Sie mehr? Ich zweifle, daß Lenau darüber hinausgegangen wäre.“

So ging das Gespräch. Was ich später so oft zu beobachten Gelegenheit hatte, er wurde sofort zum Mittelpunkt der Unterhaltung. Selbst Personen, die nur ungern auf ihr Rederecht Verzicht leisteten, ergaben sich ihm bald; auch der Eitelste empfand es als ein Vergnügen, ihn sprechen zu hören; man kam stillschweigend überein, ihn gewähren zu lassen. Er sagte oft starke Sachen, auch auf Gebieten, wie Kirche und Politik, die über die Kunst, vielleicht auch über seine Kraft hinauslagen, aber kein Fall ist mir gegenwärtig, daß er durch die Kühnheit seiner Redeweise jemals ernstlich Anstoß gegeben hätte. Er durfte Alles sagen, Richtiges und Falsches. Sein rein auf die Sache gerichteter Eifer, dazu die Eleganz der Form söhnten mit jedem Inhalt aus.

Diese erste Begegnung im Kugler’schen Garten führte bald zu einer intimeren Bekanntschaft. Eine Zeitlang sahen wir uns täglich. Heyse lebte damals bei seinen Eltern in einem alten vornehmen Hause in der Behrenstraße, das mit seinen Hinter- und Nebengebäuden ein Quarré bildete und einen beinah klosterstillen Hof umschloß. Lange Corridore von rechts und links führten bis in den Hinterflügel, wo unser Poet zwei kleine Zimmer bewohnte, echte Poetenstübchen. Alter Hausrath (der Klappsecretär – einer von den musikalischen – von sehr geneigter Fläche); nichts elegant, aber jedes Stück ein Erinnerungsstück. Dabei Alles in musterhaftester Ordnung.

Heyse arbeitete damals an seiner „Urica“, einer Novelle in Versen, mit der ich mich weder damals noch später recht befreunden konnte und die, während wir es uns auf dem Sopha so bequem machten, als sein Tiefbau und seine hohen Lehnen es zuließen, zu mancher heißen Scene zwischen uns führte. Wer noch brütend über der Arbeit sitzt, fährt leicht auf und schlägt mit den Flügeln.

Aber diese Wochen lebhafter Controverse waren von keiner Dauer. „Urica“ war fertig, wohl oder übel, und Heyse ging zu einer neuen Arbeit über: „Die Brüder“, eine Erzählung (in Versen) nach dem Chinesischen des Schi-King. Hier schwieg nun alle Kritik, nicht blos die meinige. Jeder war hingerissen, und mit Recht. Was ich die Gegensätze seiner Natur nannte, hier hatten sie, von Seite zu Seite, gemeinschaftlich geschaffen und Jeder, der las, fühlte sich ebenso von der Sprache der Unschuld gerührt, wie von der Sprache der Schuld und des Verhängnisses, das sie heraufbeschwört, erschüttert. Diese Dichtung war ein Vollendetes. Heyse hatte hier seinen Ruhm und seine Reife anticipirt. Denn im Großen und Ganzen stand er zu dieser Zeit noch auf dem Urica-Standpunkt, d. h. auf dem Standpunkt einer gewissen geistreichen Streberschaft. Das Berlinische machte ihm noch zu schaffen.

Heyse arbeitete viel. Die andauernde Beschäftigung des Geistes war ihm Bedürfniß; seine Erholung fand er im Wechsel der Arbeit. Ermüdet vom Einen, hatte er noch[WS 1] Kraft für das Andere. Eine vom einen Salz gesättigte Lösung löst noch das andere. Versagte das Produciren, so las er; er war ein guter Haushalter mit seiner Zeit. Drum hatte er immer Zeit.

Der Spätsommer 1852 unterbrach seine Arbeiten: er ging nach Italien. Wenige Wochen vorher hatte er sich mit Margarethe Kugler verlobt. Es war ein glückliches Paar; halbe Kinder noch. Sie zu sehen, war ein Anblick, wie wenn sich zwei Schwalben auf einem Aste wiegen. Grazie und Schelmerei ließen Alles wie ein anmuthig-heiteres Spiel erscheinen. Und doch liebten sie sich leidenschaftlich. Aber der feine Sinn für das, was sich ziemt, gefiel sich darin, den Ernst der Empfindung vor dem Auge der Welt zu verbergen.

Die letzten Tage, die der italienischen Reise vorausgingen, sind mir noch gegenwärtig. Es war im August oder September. Die Stadtwohnung war aufgegeben und Alles, was dem Kugler’schen Hause angehörte, erfreute sich eines entzückenden Landaufenthaltes, zwei Meilen von Berlin. In der Nähe der Müggelberge, deren Kuppe in den Parkgarten hineinblickte, lag, nach drei Seiten hin von Tannen umstellt, ein alter Schloßbau, dessen einzig freie Front auf Blumenbeete und Kornfeldstreifen und dahinter auf die breite Wasserfläche der wendischen Spree hinaussah. In diesem alten Schloßbau, angesichts einer Scenerie voll eigenthümlich märkischer Schönheit, verbrachte man glückliche Tage. Auch die Trennung kam hier heran. In dem Gartensaal, dessen Fenster bis zur Erde gingen, hingen, auf pompejanischem Braun und in allen Arten von Umrahmungen, die Bilder italienischer Meister, während auf Kaminsims und Marmortischen, auf Consolen und Etagèren allerlei Mementos an den Süden standen: alabasterne Vasen und bronzene Lacerten, Wachsfrüchte und Pinienäpfel. Diese Erinnerungsstücke an Italien (Reliquien in den Augen des Schloßbesitzers, der abwesend war) – jetzt waren sie ebensoviele Mahnungen an die Zukunft, an die nächste. Die Unterhaltung ging zwischen Furcht und Hoffnung; die eine Sehnsucht zog, die andere (vorwirkend) hielt zurück. Aber man war ja jung. Hinter Wochen und Monden lagen lachende Jahre. So schied man. Auf dem schmalen Wege, der zwischen Weidengestrüpp an dem seebreiten Flusse hinlief, stand er noch einmal still, löste das blaue Halstuch, das er trug, und ließ es im Winde flattern.

Heyse reiste mit seinem Freunde Ribbeck, jetzt Professor in Kiel. Sie machten die große Tour in den üblichen drei Stationen: Florenz, Rom, Neapel. In Florenz wurde der Bewunderung, in Rom dem Studium, in Neapel dem Vergnügen gelebt. Im September 1853 ging es über die Alpen zurück.

Dieser italienische Aufenthalt hatte den größten Einfluß auf Heyse. Dieser bezeichnete ihn selbst in einem Gedichte als eine „Rückkehr zur Natur“. Das blos Geistreiche war abgethan; in seiner Ausdrucksweise war ein neuer Geist über ihn gekommen. Kein Zuviel mehr; das schöne Maß war gefunden.

Alle Arbeiten, die seinem Aufenthalt in Italien ihre Entstehung verdanken, zeigen diese Wandlung bereits. Ich nenne nur die „Idyllen aus Sorrent“ und die Novelle „La Rabbiata“, von denen namentlich die letztere als ein Muster von Einfachheit, Klarheit und Tiefe zu bezeichnen ist, klar und tief wie das Golfwasser, an dessen Ufern sie entstand.

Fast unmittelbar nach seiner Rückkehr erfolgte Heyse’s Berufung nach München. Er nahm an. Als der Winter um war, übersiedelte er, nachdem wenige Wochen zuvor seine Vermählung stattgefunden hatte. Er war eben vierundzwanzig Jahre alt.

Von da ab, fast durch ein Jahrzehent, verlor ich ihn aus dem Auge. Seine Besuche in Berlin kamen mir nicht zu gute; wie ihn nach Süden, hatten mich Beruf und Neigung nach dem



Anmerkungen (Wikisource)

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verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 566. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_566.jpg&oldid=- (Version vom 19.4.2024)