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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

Ein giftiger Blick flog hinüber nach dem protestirenden Sohn, aber nichts destoweniger fuhr die große Frau mit erhöhter Stimme fort: „Wir sind nicht ermächtigt, Mittel, mit denen wir einer heiligen Sache dienen, mir nichts, dir nichts fortzuwerfen, damit sie vielleicht in weltlichen Genüssen vergeudet werden. … Das ist der Hauptgrund, aus welchem ich mich mit allen Kräften gegen ein Aufrühren dieser verschollenen Geschichte sträuben werde – der zweite ist, daß Du einen Deiner Vorfahren beschimpfst.“

„Beschimpft hat er sich selber und uns Alle mit!“ sagte der Professor rauh und finster. „Aber wir können wenigstens unsere Ehre retten, indem wir es verschmähen, die Hehler zu machen.“

Frau Hellwig verließ die Estrade und trat in ihrer ganzen Ueberlegenheit und stattlichen Würde vor ihren Sohn.

„Gut – setzen wir den Fall, ich gäbe Dir nach in dem widerwärtigen Handel,“ sagte sie kalt. „Wir nähmen also diese vierzigtausend Thaler – deren Verlust uns, nebenbei gesagt, zu einer nur mäßig bemittelten Familie machen müßte, aber sehen wir einmal auch davon gänzlich ab – also wir nähmen dies Geld und gäben es bei Heller und Pfennig zurück – wie nun, wenn die lachenden Erben auch noch die aufgelaufenen Zinsen und Zinseszinsen forderten – was dann?“

„Ich glaube nicht, daß sie dazu berechtigt sind – wenn es aber der Fall wäre, dann müßtest Du Dich eben an das Wort ‚Ich will die Sünden der Väter heimsuchen an den Kindern‘.“ –

„Ich bin keine geborne Hellwig, – vergiß das nicht, mein Sohn!“ unterbrach sie ihn schneidend. „Einen völlig unbefleckten, hochangesehenen Namen habe ich mit in dies Haus gebracht – mein Vater war fürstlicher Rath – auf mich fällt die Schande mithin nicht; ebensowenig bin ich gesonnen, irgend ein pecuniäres Opfer zu bringen, um den Flecken abzuwaschen – meinst Du, ich sollte in meinen alten Tagen darben um dieser fremden Sünde willen?“

„Darben, wo Du einen Sohn hast, der im Stande ist, für Dich zu sorgen? … Mutter, glaubst Du nicht, daß ich Dir mit dem, was ich gelernt habe, ein schönes, völlig sorgenfreies Alter verschaffen kann?“

„Ich danke Dir, mein Sohn!“ sagte sie eisig. „Aber ich ziehe es doch vor, von meinen Renten zu leben und mein eigener Herr zu bleiben. Ich hasse die Abhängigkeit – seit dem Tode Deines Vaters habe ich keinen Willen gekannt, als den des Herrn, meines Gottes, und meinen eigenen – und so soll es bleiben. … Uebrigens streiten wir nicht um des Kaisers Bart! Ich erkläre Dir hiemit, daß ich diese ganze Geschichte für eine Erdichtung der hirnverbrannten Person unter dem Dache halte. – Nichts in der Welt wird mich zwingen, sie als wahr, als wirklich geschehen anzuerkennen!“

In diesem Augenblick wurde die Thür geräuschlos geöffnet, und die Regierungsräthin trat herein. Die schöne Frau hatte geweint, aber diesmal nicht als Mater dolorosa – man sah die Spuren deutlich an den gerötheten Augenlidern, und auf dem zarten Sammet der Wangen glühten dunkle Flecken. Es war unverkennbar, die Leidenschaft hatte eben noch diese Seele derb geschüttelt, wenn auch von Seiten der Dame Alles geschah, die unwiderleglichen Zeugen zu einem Gesamtbild unverschuldeten Leidens umzustempeln. – Sie hatte, um ihr sehr derangirtes Haar zu verstecken, eine weiße, duftige Tüllecharpe um den Kopf geschlungen; das ideale Haupt mit den einzelnen, dicken, blonden Locken, die sich regellos unter dem Tüllduft hervorstahlen, erhielt dadurch etwas Verklärtes. Jedenfalls hatte man versucht, den so lange festgehaltenen Nimbus des zart Mädchenhaften und der naiven Kindlichkeit einstweilen durch die unschuldig weißen Tüllwogen zu ersetzen.

Sie sah das verhängnißvolle Buch auf dem Tische liegen und zuckte zusammen. Langsam, wie eine Büßende, schritt sie auf den Professor zu und bot ihm mit schamvoll abgewandtem Gesicht die Hand – er verweigerte ihr die seinige.

„Verzeihe mir, Johannes,“ bat sie. „Ach, ich bin so ungestüm gewesen, daß ich’s vor mir selbst nicht verantworten kann! … Ich, die ich sonst so still und ruhig in meinem Gemüth bin, wie konnte ich nur so heftig werden! Aber die unselige Geschichte, sie trägt ganz allein die Schuld! … Bedenke, Johannes, mein lieber Papa ist durch das abscheuliche Buch dort compromitirt, und Dir wollte ich doch auch um jeden Preis eine niederschlagende Entdeckung ersparen. … Ich kann mir nicht helfen, aber ich muß immer denken, Caroline habe diesen entsetzlichen Zeugen aufgestöbert, nur um uns vor ihrem Weggang noch einen recht schlimmen Streich zu spielen. …“

„Hüte Deine verleumderische Zunge!“ rief er drohend und so heftig auffahrend, daß sie erschrocken schwieg. „Uebrigens will ich Dir verzeihen,“ setzte er nach einer Pause, sich mühsam beherrschend, hinzu, „aber nur unter einer Bedingung.“

Sie sah ihn fragend an.

„Daß Du mir ohne jedweden Rückhalt mittheilst, auf welche Weise Du in den Besitz des Geheimnisses gekommen bist.“

Einen Augenblick schwieg sie, dann hob sie niedergeschlagen an: „In Papa’s letzter Krankheit, die, wie Du weißt, einen tödtlichen Verlauf zu nehmen schien, forderte er mich auf, ihm verschiedene Papiere aus seinem Secretär zu bringen – ich mußte sie vor seinen Augen vernichten; es waren Hirschsprung’sche Documente, wahrscheinlich hatte er sie als Curiositäten aufbewahrt. … Machte ihn nun die scheinbare Nähe des Todes mittheilsamer, oder hatte er überhaupt das Bedürfniß, einmal über diesen Vorgang zu sprechen – genug – er weihte mich ein –“

„Und schenkte Dir ein gewisses Armband, nicht wahr?“ warf der Professor ingrimmig ein.

Sie nickte schweigend und sah flehend und hülfsbedürftig zu ihm auf.

„Hältst Du den Vorfall nach dieser Erklärung noch für die Erdichtung einer Wahnsinnigen?“ wandte sich der Professor kalt lächelnd nach seiner Mutter um.

„Ich weiß nur, daß diese Person,“ sie deutete zornbebend auf die junge Frau, „an Faselei und Unverstand Alles übertrifft, was mir bis jetzt vorgekommen ist! … Da ist aber der Eitelkeitsteufel, der läßt Einem keine Ruhe, da muß man solch’ ein seltenes Armband umlegen, das bewundern die Leute und sehen auch so nebenbei den schönen, weißen Arm!“

Die Regierungsräthin fiel aus ihrer Rolle als schmerzlich Büßende und schleuderte einen wilden Blick auf die Tante, die plötzlich eine ihrer schwächsten Seiten schonungslos an das Licht zog.

„Ich will nicht weiter erörtern, Adele, wie es Dir bei Deinem Gemüth, dessen Reinheit und Schuldlosigkeit Du bei jeder Gelegenheit betonst, möglich gewesen ist, gestohlenen Schmuck zu tragen,“ sagte der Professor scheinbar ruhig, aber in seiner Stimme grollte es dumpf, wie vor dem Ausbruch eines heranziehenden Gewitters. „Es bleibt Dir selbst überlassen, zu entscheiden, wer strafbarer ist, ob die arme Mutter, die Brod für ihre hungernden Kinder stiehlt, oder die reiche, elegante Frau, die im Wohlleben schwimmt und den Diebstahl liebevoll protegirt… Daß Du aber die Stirn haben konntest, diesen veruntreuten Schmuck mit großer Ostentation um die reine Hand des Mädchens zu legen, welches Dir Dein Kind gerettet hatte, – Du sagtest dabei ausdrücklich, das Armband sei Dir sehr werth, aber für Aennchen könntest Du das Liebste freudig opfern –; daß Du es ferner gewagt hast, im Hinblick auf die Abkunft jenes Mädchens Dich auf den hohen Standpunkt einer makellosen Abstammung zu stellen, alle Tugenden des reinen Blutes für Dich beanspruchend und sie in die Sphäre der Verdorbenheit hinabstoßend, während Du um die That Deines Vaters wußtest: das ist eine empörende Infamie, die nicht streng genug gerichtet werden kann!“

Die Regierungsräthin wankte, schloß die Augen und griff mit unsicher tappender Hand nach der Tischecke, um sich festzuhalten.

„Nun, ganz Unrecht hast Du nicht, Johannes,“ sagte die große Frau, indem sie die Wankende behufs der Erweckung derb am Arme schüttelte, ohnmächtige Frauen waren ihr ein Gräuel, „ganz Unrecht hast Du nicht, aber Dein letzter Ausspruch klingt denn doch zu stark! Eine grenzenlose Dummheit war’s freilich, allein deshalb darfst Du doch nicht vergessen, was Du Adelens Stellung schuldig bist… Der Vergleich mit der armen Frau war – nimm mir’s nicht übel – ein wenig albern… Es ist ein bedeutender Unterschied, ob man ‚herrenloses Gut‘ findet, oder mit allem Vorsatz Anderen Brod stiehlt… Aber das ist auch wieder so eine von den abscheulichen, neumodischen Ideen, daß man Vergleiche macht zwischen dem gemeinen Volk und den Höhergestellten; es befremdet mich höchlich, solche Dinge aus Deinem Munde zuhören. Ebenso ist es geradezu unverantwortlich, ein Mädchen, wie die Caroline, einer Frau von Stande in der Weise gegenüber zu stellen, solch’ eine Dirne –“

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