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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

bleibt Dir nichts als der Schusterschemel.´ Ach, diese Geschichte hatte noch eine ganz andere Kehrseite, als der ehrliche Schuster meinte! …

Die Hirschsprungs waren gut papistisch geblieben, als auch das ganze Land ringsumher abfiel und sich zu der neuen lutherischen Lehre bekehrte. Sie lebten von da an streng zurückgezogen um ihres Glaubens willen, aber dem alten Adrian von Hirschsprung genügte das nicht, denn er war ein wilder Fanatiker, der lieber Haus und Hof und die alte Thüringer Heimath verlassen, als unter Ketzern leben wollte. Er hatte sein Besitzthum, bis auf das Haus am Markt, um baare sechszigtausend Thaler in Gold verkauft, und seine zwei Söhne ritten eines Tags davon, um in gut katholischen Landen eine neue Heimath zu suchen… Da geschah es, daß der Schwedenkönig, Gustav Adolph, mit einundzwanzigtausend Mann Kriegsvolk durch das Thüringer Land zog. Er rastete auch einen Tag in dem kleinen Städtchen X. – das war am 22. October 1632 – und seine Leute besetzten die Häuser. Auch das Ritterhaus am Marktplatz steckte voll schwedischer Reiter, und das mochte den alten Adrian mit Wuth und Ingrimm erfüllt haben. Es kam zu einem heftigen Wortwechsel zwischen ihm und den Soldaten, die halbtrunken im Hofe Wein zechten, und da geschah das Schreckliche – ein Kriegsknecht stieß dem alten, finsteren Eiferer das Schwert mitten durch die Brust; er stürzte mit ausgebreiteten Armen rücklings auf das Steinpflaster und verschied, ohne einen Laut, auf der Stelle. Die wüthenden Schweden aber zerschlugen und zertrümmerten Alles im Hause, was nicht niet- und nagelfest war, und als die Söhne zurückkamen, da lag der alte Adrian längst unter den Steinfließen der Liebfrauenkirche, und sie suchten vergebens nach ihrem Erbe. Die sechszigtausend baaren Thaler hatten die Schweden fortgeschleppt, Kisten und Kästen standen leer, ihr Inhalt lag zerfetzt und zerstampft am Boden, und die Familienpapiere waren in alle Winde zerstreut, nicht ein Blättchen ließ sich mehr auffinden… So erzählte Dein Vater, Joseph! Darauf kam das Haus um einen armseligen Preis in die Hände des Bürgers Hellwig. Die zwei Söhne des Adrian theilten den Erlös; Lutz, der Aeltere, zog von dannen, und es hat nie wieder etwas von ihm verlautet, die andere Linie aber hing das Ritterschwert an den Nagel, und die Nachkommen Derer, die gegen die Saracenen gekämpft, die einst wohlgelitten waren an Kaiserhöfen um ihrer Tapferkeit und adligen Sitten willen, sie griffen zu Hobel und Pfrieme.

Du aber nicht, Joseph! Wie die prächtigen Locken über Deiner Stirn sich eigenwillig ringelten und aufbäumten, so schweifte Dein Geist weit ab von der engen Lebensbahn Deiner letzten Vorfahren, Du gingst Deinen eigenen Weg, ob Du auch wußtest, daß er dornenvoll und steinig war, daß Mangel und Entbehrung an Deiner Seite schreiten mußten; Du sahst nur das Ziel, das hohe, leuchtende Ziel, und so viel Heldenmuth endete schmählich in einer Dachkammer! Der Geist entfloh, weil der Körper hungerte! … Allmächtigster, eine deiner herrlichsten Schöpfungen ging unter aus Mangel an Brod!

Wer hätte an dies spurlose Verlöschen Deines Daseins gedacht, wenn Du mit überzeugender Gewalt Deine neuen, kühnen ursprünglichen Ideen entwickeltest? Oder wenn Du am Clavier saßest und die wundervollen Harmonien unter Deinen Fingern emporquollen? … Es war ein armes, kleines Spinett, das in einer dunklen Ecke Deiner elterlichen Stube stand, seine Töne klangen stumpf und rauh, aber Dein Genius beseelte sie, sie erbrausten in Sturm und Gewitter und malten den lachenden Himmel über einer strahlenden Welt… Weißt Du noch, wie Dein guter Vater Dich belohnte, wenn er zufrieden mit Dir war? Da schloß er mit feierlicher Geberde eine kleine, uralte Spinde auf und legte Dir ein Notenheft auf das Pult – es war die Operette von Johann Sebastian Bach; sein Großvater hatte sie von dem Componisten selbst erhalten, und sie wurde wie ein Heiligthum in der Familie aufbewahrt… Sie fanden nicht einen Pfennig Geldes, nicht einen Bissen Brod bei Dir, als Du heimgegangen warst, aber das Bach’sche Opernmanuscript, dessen materiellen Werth Du wohl kanntest, lag unangerührt, unter meiner Adresse, auf dem Tische.

Da drüben auf der Seite, genau auf der Stelle, wo ich jetzt schreibe, da steht: ‚Meine süße, goldlockige Cordula kam herüber im weißen Kleide,‘ das war an meinem Confirmationstag, Joseph! Meine strenge Mutter hatte mir gesagt, es geschähe zum letzten Mal, von nun an sei ich die erwachsene Tochter des Kauf- und Handelsherrn und mein Verkehr mit der Schusterfamilie schicke sich nicht mehr… Deine Eltern waren nicht in der Stube und ich theilte Dir das Verbot mit… Wie wurde Dein Gesicht bleich unter den kohlschwarzen Locken! ‚Nun, so gehe doch!‘ sagtest Du trotzig und stampftest mit dem Fuße auf, aber Deine Stimme brach, und in den zornigen Augen funkelten Thränen. Ich ging nicht; unsere zitternden Hände schlangen sich plötzlich wie unbewußt und unauflöslich ineinander, das war der Uranfang unserer seligen Liebe!

Ich sollte das je vergessen haben und, nachdem ich jahrelang meinen zürnenden und bittenden Eltern widerstanden, plötzlich aus eigenem Antrieb meineidig geworden sein? Sie schalten Dich einen Hungerleider, einen mißachteten Schustersohn, der brodlose Künste treibe, sie drohten mit Fluch und Enterbung – ich blieb standhaft, wie leicht war das damals, Du standest ja neben mir! Aber als Deine Eltern starben und Du fort gingst nach Leipzig, da kam eine furchtbare Zeit! … Da erschien eines Tages eine hohe, schlanke Männergestalt im Hause meines Vaters, und auf dieser Gestalt saß ein Kopf mit fahlen Wangen, an denen dürftiges, dunkles Haar lang und glatt niederhing, und den Mund umzogen unheimliche, schlaffe Linien… Es giebt einen Seherblick, Joseph, und das ist der Instinct in einer reinen Menschenbrust … ich wußte sofort, daß mit jenem Menschen das Unheil über unsere Schwelle geschritten war. Mein Vater dachte anders über diesen Paul Hellwig. Er war ja ein naher Anverwandter, der Sohn eines Mannes, der sein Glück draußen in der Welt gemacht hatte und einen angesehenen Posten bekleidete. Da war der Besuch des jungen Vetters eine Ehre für unser Haus, und wie diese hohe Gestalt sich demuthsvoll bücken konnte, wie das süß und salbungsvoll von den Lippen floß!

Du weißt, daß der Elende es wagte, mir von Liebe zu sprechen, Du weißt auch, daß ich ihn heftig und empört zurückwies; er war erbärmlich und ehrlos genug, die Hülfe meines Vaters anzurufen; der wünschte lebhaft diese Verbindung, und nun begannen entsetzliche Tage für mich! … Deine Briefe blieben aus, mein Vater hat sie unterschlagen, ich fand sie nebst den meinigen in seinem Nachlaß. Ich wurde wie eine Gefangene behandelt, aber es konnte mich doch Niemand zwingen, im Zimmer zu bleiben, sobald der Verhaßte eintrat… Dann floh ich wie gehetzt durch das Haus, und die Geister Deiner Ahnen beschützten mich, Joseph. Ich fand Schlupfwinkel genug, wo ich vor meinem Verfolger sicher war.

Ob es wohl auch der geheimnißvolle Finger einer unsichtbaren Ahnfrau gewesen ist, der eines Tages meinen Blick auf das Goldstück zu meinen Füßen lenkte? …

Eine Mauer im Geflügelhof hatte sich gesenkt, und Nachmittags waren Arbeiter dagewesen und hatten den schadhaften Theil niedergerissen. Ich saß still auf dem Trümmerwerk und dachte an die Zeit, wo man diese Steine aufeinander gethürmt hatte – und da lag plötzlich das Goldstück vor mir im Grase; es war nicht das einzige, auch zwischen den Mörtelbrocken schimmerte es golden. Ohne Zweifel war ein beträchtliches Mauerstück nachgestürzt, als die Arbeiter den Hof bereits verlassen hatten, denn es lag Alles wild und zerklüftet durcheinander, und zwischen den Bruchstücken hervor guckte die scharfe Ecke einer hölzernen Truhe – sie war zum Theil geborsten, dieser Spalt erschien förmlich gespickt mit dem geränderten Gold.

Joseph, ich hatte den Fingerzeig Deiner Ahnmutter nicht begriffen – ich holte meinen Vater, und der Verhaßte kam auch mit. Sie hoben mühelos den Kasten aus den Trümmern und schlossen ihn auf mit dem gewaltigen Schlüssel, der noch im Schloß steckte…

Die Schweden waren es nicht gewesen, Joseph! … Da lagen wohlbehalten die zwei Armringe, da lagen die sechszigtausend Thaler in Gold und die vergilbten Pergamente und Papiere Derer von Hirschsprung! Der alte Adrian hatte Alles hierher gerettet vor den heranziehenden Schweden! … Ich war wie trunken vor Glück. ‚Vater,‘ jubelte ich auf, ‚nun ist der Joseph kein Hungerleider mehr!‘

Ich sehe ihn noch, wie er da stand! Du weißt, er hatte ein ernstes, strenges Gesicht, das heitere Wort erstarb einem auf den Lippen, wenn man in diese wandellosen Züge sah, aber seine ganze Erscheinung trug das Gepräge einer unerschütterlichen Rechtschaffenheit

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