Seite:Die Gartenlaube (1867) 523.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

Stabsarzt und ein bildhübscher, junger Artillerie-Officier, welche zusahen, wie die Kanoniere oberhalb der Brücke ihre Geschütze durch Erdaufwürfe deckten und dazu gemeinsam aus einem Glase eine Limonade tranken, bestehend aus Wasser, Rum und sauerem Lieferungswein.

„Wäre es Ihnen reckt, Doctor,“ hub nach einer längeren Gesprächspause der Officier an, „wenn wir zur Abwechselung ‘mal eben nach Ungarn hinübergingen? die Brücke ist gleich fertig.“

„Mit dem größten Vergnügen,“ antwortete dieser, seinen Maserkopf ausklopfend; „diese verdammten Kirschblätter,“ fuhr er dann kopfschüttelnd fort, „schmecken auch gar zu cannibalisch; wenn man doch nur erst einmal wieder eine ordentliche Pfeife Tabak hätte!“

„Und ein Stück Brod „fügte der Officier hinzu.

„I, mit dem Brode, das geht noch eher,“ erwiderte Jener, „wir haben ja Fleisch, aber Tabak! wer kann bei dieser abscheulichen Hitze existiren ohne eine Pfeife Tabak!“

„Na, trösten Sie sich, Doctor,“ lachte der Artillerielieutenant und stand von seinem Sitze auf, „jetzt rücken wir nach Ungarn hinüber und in drei Wochen, wenn’s Glück gut ist, liegen wir Beide beim Großtürken im Quartier, rauchen aus seinen Gala-Tschibuks und lassen uns von den reizendsten Odalisken die Fliegen fortwedeln.“

Damit zog er den Stabsarzt mit sich fort und Beide schritten über die eben vollendete Brücke hinüber.

„Wetter noch einmal, ist das hier heiß in Ungarn!“ hub der corpulente Arzt an, als er das steile Ufer drüben glücklich erklommen hatte und sich den Schweiß von der Stirn abtrocknete. „Des ist ja hier wie in einem Backofen, das höhere Affenklima – puh! Aber originell, pittoresk,“ fuhr er fort, „das muß man sagen. Sehen Sie einmal zum Beispiel da drüben die stolzen Silberreiher über dem Schilfe, und diese Jejend hier ist doch janz anders als bei uns herum in Salzwedel.“

„Ja, das will ich meinen,“ sprach der Officier lächelnd, „das ist hier so ein kleiner Vorgeschmack der Pußta. Am meisten aber interessiren mich die Leute hier, in ihren malerischen Trachten. Schauen Sie nur ‘mal da drüben das Mädchen an, welches, wie es scheint, auf uns zukommt, wie hübsch sie aussieht, welch’ herrlicher hoher Wuchs, welch’ graziöse Bewegungen!“

„In der That, nicht übel, wirklich pittoresk,“ erwiderte der Doctor, während ein schlankes, sonnverbranntes Mädchen von etwa siebenzehn Jahren schnell auf die beiden Männer zukam.

Lustig flatterte ihr beim Gehen der kurze, rothe Rock um das wohlgeformte Bein, unter dem schneeweißen Kopftuche hervor schaute ein hübsches, gebräuntes Gesicht mit einem Paar großer, dunkler Augen, den Busen bis zum Hals hinauf verhüllte züchtig das grobe Hemde, zierlich gestickt und in Falten gelegt. Wie die Slovakin näher heran kam, hob sie die gefalteten Hände empor, schaute halb bittend, halb ängstlich die beiden Preußen an und murmelte einige unverständliche Worte. Ihre Blicke wanderten dabei wie suchend von Einem zum Andern. Plötzlich ergriff sie schnell die fette Hand des Doctors und führte sie, ehe dieser es noch verhindern konnte, an ihre Lippen.

„Nanu!“ rief der Stabsarzt und wurde ordentlich verlegen, „was will denn die kleine Hexe? Laß doch los!“

Doch schnell wie der Blitz war das Mädchen mit bittender Geberde schon an den Officier herangetreten, sie erfaßte mit ihren braunen kleinen Händen dessen Rechte und drückte sie einen Augenblick lang fest an ihren Busen, wobei sie mit flehender Geberde wieder einige Worte murmelte.

Ganz roth vor Schreck, zog der Officier seine Hand zurück, aber wer beschreibt sein namenloses Erstaunen, als er nun gewahr wird, daß er einen blanken preußischen Thaler in derselben hält. Ganz sprachlos stand er da und besah bald das Geldstück, bald das Mädchen, das mit leidenschaftlichen Geberden unverständliche Worte sprach. Der Doctor lachte aus vollem Halse.

„Donnerwetter, des is wirklich jut!“ rief er in der besten Laune, „und einen janz richtigen Thaler, den sie Ihnen da schenkt. Du bist ja ein janzes Wettermädel von einer Hexe, was red’st Du denn da? – he? – Nix resommi, nix resommi!“

Je mehr der Doctor lachte, desto mehr verlor die braune Dirne alle Scheu. Sie trat auf denselben zu, erfaßte seinen Arm, schaute ihm eindringlich mit ihren dunklen, sprechenden Augen in’s Gesicht und deutete bald nach der Pußta, bald auf den Thaler in des Lieutenants Hand, bald auf den Wald am andern Ufer des Flusses.

„Verstehen Sie das, werther Freund?“ frug der Doctor immer noch herzlich lachend.

„Nicht eine Silbe,“ antwortete Jener, „auf meine Ehre, das Mädchen ist rein des Teufels. Was will sie nur mit dem Thaler hier sagen?“

„Ja, wenn ich das wüßte, Verehrtester! Aber eine jöttliche Geschichte das! Schenkt Ihnen mir nichts dir nichts einen Thaler. Es is grauenhaft, was Sie für Glück haben beim schönen Geschlecht. Nicht wahr, liebe Kleine, hübscher Kerl, gefällt Dir wohl, was?“ und dabei kniff der gutgelaunte Stabsarzt das Mädchen in die braune Backe.

Diese aber lächelte, warf den letzten Rest von Furcht von sich und immerfort nach der Brücke deutend, sprach sie eifrig: „Vamos pan, vamos! – Nach Brucken, nach Brucken!“ und leicht wie eine Gazelle sprang sie den Männern voraus nach der Brücke, nur ab und zu sich umschauend, ob diese ihr auch folgten.

Und der Stabsarzt und der Officier schritten hinterher und zerbrachen sich darüber die Köpfe, was dies Mädchen eigentlich von ihnen wollte, am meisten über den geschenkten Thaler, und an Neckereien unterwegs ließ es der Doctor nicht fehlen. So kamen sie zu dem Fährhause, wo eben die Frau des Schiffers in dem kleinen Rahmen der Hausthür sichtbar wurde. Auf diese zu eilte jetzt die Slovakin mit Hast, ergriff beide Hände derselben und begann eindringlich in sie hineinzureden.

Geduldig standen die Männer und hörten den Worten des Mädchens zu, die sich wie ein Strom aus ihrem hübschen Munde ergossen, sie staunten über den gewaltigen Fluß ihrer Rede und die sprechenden Blicke und Geberden, welche dieselbe begleiteten. Endlich, hochroth und klopfenden Herzens, schwieg die Slovakin, nur ihre Augen wanderten noch mit stummer Bitte hin und her und blieben endlich mit einem unbeschreiblich seltsamen und lieblichen Ausdrucke auf dem hübschen Officier haften.

Und nun begann die Frau ihre Uebersetzung – schnell löste sich das Räthsel: die Husaren hatten ihren Verwandten zwanzig Pferde fortgenommen. Diese wären nur arme Hirten und für die Pferde verantwortlich, sie kämen in’s Unglück, wenn sie die Thiere nicht wieder zurückerhielten. Die beiden Männer möchten doch bei ihren Landsleuten Fürbitte für die armen Slovaken thun, dann wollte Marizko, so hieß die Kleine, dem schönen Officier auch das Geldstück schenken, welches sie heute Morgen von einem Husaren erhalten hätte. Und während nun Marizko von Neuem zu bitten begann, fielen in ihren Discant sieben bis acht Baßstimmen im Chor mit ein, und die beiden Preußen erblickten eben so viele Männer, in dem phantastischen Slovakenkleide, mit Gesichtern braun wie Mahagoni, die auf ihre Stäbe gelehnt um sie herum standen; dies waren die Hirten, des Mädchens Verwandte.

Eine halbe Stunde später hatten diese Männer fünfzehn von den requirirten Pferden, die zu klein oder zu schwach für den Dienst waren, zurückerhalten, über die anderen aber einen Schein empfangen; schwatzend und lachend kamen sie mit denselben zur Fähre. Marizko aber weigerte sich standhaft, den Thaler wieder zurückzunehmen, bis endlich der Officier eine eben aufgeblühte Rose aus dem Gärtchen des Fährhauses pflückte und dazu legte. Dann nahm das Mädchen Blume und Geldstück mit einem unendlich süßen Blicke des Dankes. Einen Augenblick später schon saß sie auf dem Rücken eines der kleinen Steppengäule, gleich darauf trappelte die Cavalcade über die Schiffbrücke, erklomm den Uferrand und jagte wie der Wind in die Pußta hinein, und schnell entschwand sie den Blicken Derer, die ihr nachschauten.

Der Abend brachte ein schweres Gewitter, die Nacht kam; ganz durchnäßt und hungrig lag der junge Officier in seinen Mantel gehüllt in einer kleinen Hütte aus Bretern und Zweigen, welche die Hand seines Burschen kunstlos ihm gebaut hatte. Nach elf Uhr ließ der Regen nach, am Flusse flackerten wieder die Feuer, die Kanoniere lagen bei ihren geladenen Geschützen und drüben jenseits der Brücke, bis an die Knöchel im Wasser standen die schützenden Doppelposten, weit vorgeschoben auf der Pußta. Eben war der Officier im Begriffe einzuschlafen, schon begannen leichte Traumgebilde ihn zu umgaukeln, als er plötzlich neben sich etwas rascheln hörte und wieder erwachte. Er schaut auf – eine


Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 523. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_523.jpg&oldid=- (Version vom 29.1.2017)