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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

Schmuck- und Silbergegenstände stecken – hat Eine die Hand dabei im Spiel gehabt, so ist es Jene dort!“

Der Rechtsanwalt näherte sich dem jungen Mädchen, das sich krampfhaft mit der Linken an der Thürbekleidung festhielt, er bot ihr mit einer Verbeugung den Arm und sagte freundlichernst: „Wollen Sie mir erlauben, Sie in das Haus meiner Mutter zu führen?“

„Hier ist ihr Platz!“ klang es plötzlich laut und entschieden von den Lippen des bis dahin lautlos schweigenden Professors. Er stand hochaufgerichtet neben Felicitas und hielt ihre Rechte fest in seiner Hand.

Der junge Frank wich unwillkürlich zurück – beide Männer maßen sich einen Augenblick schweigend, in dem seltsamen Blick, den sie austauschten, lag durchaus nichts mehr von dem Gefühl ruhiger Freundschaft.

„Ah bravo, zwei Ritter auf einmal, das ist ja ein reizendes Bild!“ rief die Regierungsräthin auflachend – eine Tasse flog zerschmetternd auf den Boden, in jedem anderen Augenblick würde Frau Hellwig diese „Unachtsamkeit“ der jungen Wittwe bitter gerügt haben, aber jetzt stand sie bewegungslos vor Grimm und Ueberraschung.

„Es scheint, ich komme heute oft in den Fall, an die Vergangenheit appelliren zu müssen,“ unterbrach der Rechtsanwalt bitter gereizt die momentane Stille. „Du wirst Dich erinnern, Johannes, daß Du Dich Deiner Autorität mir gegenüber vollständig entäußert und mich zu dem jetzigen Schritt ermächtigt hast?“

„Ich leugne nicht ein Iota davon,“ antwortete der Professor kalt. „Wünschest Du eine bündige Erklärung für diese meine Inconsequenz, so stehe ich Dir jederzeit zu Diensten – nur hier nicht.“

Er zog Felicitas von der Schwelle fort und trat mit ihr in den Garten.

„Gehen Sie jetzt in die Stadt zurück, Felicitas,“ sagte er, und seine einst so eisig kalten, stahlgrauen Augen ruhten mit unbeschreiblicher Innigkeit auf dem Gesicht des jungen Mädchens. „Das soll Ihr letzter Kampf gewesen sein, arme kleine Fee! … Nur noch eine einzige Nacht sollen Sie unter dem Dach meiner Mutter zubringen – von morgen ab beginnt ein neues Leben für Sie!“

Er zog ihre Hand, die er noch festhielt, wie unbewußt näher an sich heran, dann ließ er sie fallen und trat in das Haus zurück.


(Fortsetzung folgt.)




Eine schlesische Möveninsel.


An einem der herrlichsten Maimorgen, wie ihn Touristen nur wünschen können, fuhr ich mit dem Frühzuge von Breslau nach Liegnitz. Bekannt mit dem Bilde, welches die links hinziehenden Sudeten am fernen Horizonte zeichnen, zog ich es vor, meine Blicke rechts der niederschlesischen Ebene zuzuwenden. Außer den mit Eichenwaldungen eingefaßten Oderufern und den dann und wann zum Vorschein kommenden Wimpeln und Masten vorübersegelnder Oderkähne bot eigentlich die Gegend kein hervorragendes landschaftliches Interesse. Erst hinter der Bahnstation Spittelndorf, da wo Moor und Sand humusreichem Boden weichen, wirkt das Bild trotz des gänzlich ebenen Terrains anziehender. Hier wechseln stattliche Dörfer mit reichbebauten Fluren und dazwischen tritt die liebliche Erscheinung zweier zur Liegnitzer Seengruppe gehöriger Seen. Von dem einen, kleineren, dem Jeschkendorfer See, konnte ich nur sehr flüchtig Notiz nehmen – die Fahrt ging schnell –, der andere, größere, der Kunitzer See, weilte länger vor meinen Blicken und zog überdem durch eine mit zahlreichen weißen Vögeln umkreiste Insel meine ganz besondere Aufmerksamkeit auf sich. Ich beschloß, nähere Bekanntschaft mit dieser Erscheinung zu machen.

In Liegnitz stieg ich also ab, besorgte meine nöthigsten Geschäfte und gönnte mir dann im Gasthofe zum Rautenkranze eine kurze Mittagsrast. Ich bedauerte die Wahl dieses Hotels nicht und zwar deshalb, weil mir hier das Problem der vogelumkreisten Insel zur Lösung kam: es waren Möveneier vom Kunitzer See servirt worden. Ihr Geschmack schien wenig von dem der Hühnereier abzuweichen; nur kleiner und theurer kamen sie mir vor. Dennoch verzehrte ich sie vergnügt als seltene Delicatesse.

Punkt zwei Uhr bestieg ich die Droschke und nach einer halben Stunde hatte ich Kunitz erreicht, ein stattliches Dorf mit durchweg massiven Häusern, die dem Dorf von fernher ein stadtähnliches Ansehen verleihen. Vom Wirthshause aus konnte man den See schon spiegeln sehen, da er hart ans Dorf grenzt. Sofort begab ich mich hinab zu demselben und kam eben in dem günstigen Augenblicke an, als eine Gesellschaft dreier Herren sich zur Abfahrt nach der Insel rüstete. Bereitwilligst wurde mir die erbetene Mitfahrt gestattet.

Der Himmel war hell, fast kein Lüftchen rührte sich, die Fläche des Sees erschien schwach gekräuselt, sein Wasser graugrün. Nach acht Minuten hatten wir den halben Weg zu der im Südosten des Sees gelegenen Insel, welche kaum über das Niveau des Wassers sich zu erheben schien und ihr Vorhandensein nur durch Randgesträuche und ab- und zufliegende Vögel documentirte, erreicht.

Noch war unsere Ankunft den Inselbewohnern unbemerkt geblieben. Nur ihre schwimmenden Cameraden wichen vorsichtig zur Seite oder flogen einzeln auf; der scheue, hier wohl seltene Hauben-Taucher verschwand stets, noch ehe wir seiner recht ansichtig werden konnten, unter Wasser, um an irgend einem andern Punkte unvermuthet wieder zu erscheinen; ebenso das weißblässige Wasserhuhn.

Eine Annäherung bis auf fünfhundert Schritt änderte Nichts in der Physiognomie der Insel. Jetzt aber wurden wir bemerkt und zwar zuerst von den unfern des Inselrandes zwischen Schilfrohr sich tummelnden Stockenten, welche in Reihen zu beiden Seiten der Insel, die Alten den Jungen voraus, abschwenkten, sodann von den am Rande selbst sitzenden Möven, die nun laut schreiend in mäßige Höhe sich erhoben und hier verweilten. Je näher wir kamen, desto größer wurde das Contingent der auffliegenden Möven, deren Nothgeschrei das Signal zum Erheben zunächst aller derer wurde, welche die uns zugekehrte Seite der Insel bevölkerten. Wir landeten an der Ostseite derselben, welche, um namentlich für die Enten geschützte Brüteplätze zu schaffen, mit einzelnen Saalweiden und Holundersträuchern bepflanzt worden ist. Davor befindet sich hier wie auf allen Seiten der nur einen Fuß über den Seespiegel sich erhebenden Insel ein Gürtel von Schilfrohr und Kolben, zwischen welchem die Taucher ihr schwimmendes, kunstlos aus Rohr- und Binsenresten bereitetes Nest befestigen. Wir sahen mehrere derselben, von ihren Eigenthümern natürlich im Stich gelassen.

Als wir die Insel betreten hatten, bat uns der mitfahrende sehr unterrichtete herrschaftliche Beamte, der umherliegenden Eier halber vorsichtig weiter zu gehen. Wir folgten ihm und fanden die Mahnung gerechtfertigt. Denn nach wenigen Schritten befanden wir uns auf einer hoch mit Gras und Kräutern bewachsenen Wiese; nur eine solche ist nämlich die etwa fünf Morgen große Insel. Der üppige über zwei Fuß hohe Graswuchs ist namentlich ein Product der Triebkraft des Guano, von welchem man in zwei Jahren circa zweihundertundfünfzig Fuder weggefahren hat. Zwischen und in den Gras- und Kräuterbüscheln liegen die Eier der Möven, welche ein wenig kleiner und spitzer als Hühnereier und von graugrüner mit dunkelbraunen Flecken durchsprengter Färbung sind. Es lagen nie mehr als zwei oder drei derselben beieinander, zum Theil auf ebener Erde ohne besondere Unterlage, zum Theil auf Gras- und Rohrresten. Ganz allerliebst kamen mir die erst ausgekrochenen Möven vor, sie glichen in der Färbung ihres Gefieders, das auf gelblichem Grunde überall braune Längsflecke zeigt, mehr der Eierschale, der sie entschlüpft, als ihrem spätern Colorit. Scheu krochen die armen Dingerchen zur Seite.

Inzwischen hatten die Herren ihre Büchsen in Anschlag gelegt. Ein Knall – und die ganze ornithologische Bevölkerung der Insel erhob sich mit einem immensen Schreien und Spectakeln in die Luft. Man hatte Noth, sich auf gewöhnliche Sprechweise zu verständigen, und durfte des herabfallenden Unraths halber nicht zu ungenirt aufblicken. Es war ein effectvoller Moment, dieses plötzliche Erheben des Gros, dieses Lärmen, Kreisen, Auf- und

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verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 518. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_518.jpg&oldid=- (Version vom 20.3.2017)