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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

No. 33.

1867.
Die Gartenlaube.
Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.


Wöchentlich 1 1/2 bis 2 Bogen.     Vierteljährlich 15 Ngr.     Monatshefte à 5 Ngr.


Das Geheimniß der alten Mamsell.
Von E. Marlitt.
(Fortsetzung.)


„Besinnen Sie sich, Felicitas!“ sagte der Professor mit beschwichtigender, aber völlig erloschener Stimme. „Wüthen Sie nicht gegen sich selbst wie ein kleiner ohnmächtiger Vogel, der sich lieber den Kopf einstößt, ehe er sich in das Unabänderliche fügt… Verhaßte Fesseln! … Kommt es Ihnen denn gar nie zum Bewußtsein, daß Sie mir unsäglich wehe thun mit Ihren harten, rücksichtslosen Worten? … Sie sollen frei sein, völlig frei in Ihrem Denken und Handeln, nur beschützt und behütet, wie – ein zärtlich geliebtes Kind … Felicitas, Sie sollen jetzt erkennen lernen, wie es ist, wenn die Liebe für uns denkt und sorgt… Nur noch dies eine Mal werde ich als gebietender Vormund auftreten, erschweren Sie mir die nöthigen Schritte nicht durch Ihren Widerstand, der Ihnen ganz und gar nichts helfen wird – das erkläre ich Ihnen entschieden. Ich werde die Angelegenheit in meine Hände nehmen und Ihr Uebereinkommen mit der Hofräthin Frank rückgängig machen.“

„Thun Sie das!“ stieß Felicitas mit bebenden Lippen fast heiser hervor – aus ihrem Gesicht schien der letzte Blutstropfen entwichen. – „Aber auch ich werde handeln, und Sie können sicher sein, daß ich mich bis zum letzten Athemzug wehren werde!“

Nie in ihrem jungen, schwergeprüften Leben hatte ein solcher Sturm ihr Inneres durchtobt, wie in diesem Augenblick. Es tauchten plötzlich neue, unbekannte Stimmen in ihr auf, die mächtig mitsprachen in diesem Aufruhr – es war, als seien sie nur der Widerhall seiner innigen, beschwörenden Worte. Wie eine dunkle Gewitterwolke hing eine furchtbare Gefahr über ihrem Haupt, und – das fühlte sie instinctmäßig – sie mußte sich um jeden Preis von ihm losreißen, wenn sie nicht dieser Gefahr rettungslos verfallen wollte… War es doch jetzt schon, als habe er eine unbegreifliche Gewalt über ihr ganzes Wesen, als schlüge jedes harte Wort, das sie ihm sagte, schmerzend auf ihr eigenes Herz zurück.

Er hatte bis dahin ihre Hände festgehalten, und während sie sprach, ruhte sein Blick durchdringend auf ihren Zügen, die für einen Augenblick rückhaltslos das leidenschaftlich erregte Innere des Mädchens wiederspiegelten – den Augen dieses Arztes und Menschenkenners hatten sich wohl schon ganz andere Geheimnisse und Vorgänge der Menschenbrust offenbaren müssen, als die einer, wenn auch noch so stolzen, doch gerade vermöge ihrer Reinheit und Schuldlosigkeit unbewachten Mädchenseele. … „Sie werden nichts ausrichten!“ sagte er plötzlich gelassen, mit einer fast heiteren Ruhe. „Ich habe die Augen offen und mein Arm reicht ziemlich weit … Sie entgehen mir nicht, Felicitas! … Hier in X. lasse ich Sie auf keinen Fall, und – ebensowenig werde ich ohne Sie nach Bonn zurückreisen.“

Die Gartenthür hatte längst geknarrt, aber das Geräusch war den Sprechenden entgangen. Jetzt kam Rosa und meldete dem Professor, daß Frau Hellwig im Salon warte, auch die Frau Regierungsräthin lasse ihn recht sehr bitten, zu kommen.

„Ist sie unwohl?“ fragte der Professor rauh, ohne sich nach der Kammerjungfer umzuwenden.

„Nein,“ entgegnete sie verwundert, „aber die gnädige Frau wird bald fertig sein mit dem Kaffee, den sie selbst kocht – sie wünscht, der Herr Professor möchte ihn recht frisch trinken … der Herr Rechtsanwalt Frank ist auch im Salon.“

„Nun gut, ich werde kommen,“ sagte der Professor, aber er machte keine Anstalt, zu gehen. Vielleicht hoffte er, Rosa solle sich wieder entfernen, darin irrte er sich jedoch. Das Mädchen machte sich mit Aennchen zu schaffen, die jammernd und wehklagend die Händchen zusammenschlug über alle die „todtgetretenen Blümchen“ auf dem Rasen. Endlich schritt er mißmuthig den Damm hinab.

„Halten Sie sich nicht so lange hier auf,“ rief er nach Felicitas zurück. „Der Wind wird stärker, er bringt uns möglicherweise ein Gewitter. Kommen Sie mit Aennchen in das Gartenhaus.“

Er verschwand hinter den Taxuswänden. Felicitas aber durchschritt hastig die ganze Länge des Dammes. In ihrem sonst so klaren Kopfe wirbelte es chaotisch durcheinander. Sie rang vergebens nach der nöthigen Fassung und Ruhe, um ihre augenblickliche Lage übersehen und Herr derselben werden zu können… Also sie sollte ihr Joch weiterschleppen, und nicht genug, daß man ihr jedwede Selbstständigkeit auf lange Zeit hinaus verweigerte, sie sollte sogar in seiner unmittelbaren Nähe leben, jahrelang täglich mit ihm verkehren – als ob das nicht die furchtbarste Aufgabe wäre, die ihr je gestellt werden konnte! … Hatte sie nicht Alles gethan ihm zu beweisen, daß er ihr in tiefster Seele verhaßt sei, daß sie unversöhnlich bleiben werde ihr Lebenlang? War es nicht gerade deshalb die raffinirteste Grausamkeit, sie in der Weise fesseln zu wollen? … Nein, tausendmal lieber wollte sie sich noch auf Jahre hinaus von Frau Hellwig mißhandeln lassen, als auch nur einen einzigen Monat länger mit ihm zusammensein, der eine wahrhaft dämonische Macht ihr gegenüber entfaltete. Schon allein seine Stimme vermochte ihren sonst so geordneten Gedankengang zu verwirren – der unbeschreiblich milde und warme Ton, den er jetzt immer annahm, berührte jede Fiber ihres

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verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 513. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_513.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)