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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

Die abstumpfende Arbeit in der City hat zwar seinen gestählten Geist nicht niederzudrücken vermocht, doch ist sie dem dichterischen Schaffen nicht günstig gewesen.

Freiligrath’s politische Gesinnungen sind bekannt; er hat sie in zahlreichen scharfen Gedichten niedergelegt – die schärfsten, welche Deutschland auf diesem Felde besitzt – und er macht auch jetzt aus seinen Gesinnungen kein Hehl. Unter den Londoner Deutschen sind er und Karl Blind die entschiedensten Repräsentanten der Freiheitspartei; die beiden Männer, durch persönliche Freundschaft eng verbunden, halten treu und fest zusammen. Des demokratischen Agitators mit klugem Sinn gepaarte Kühnheit, sein tiefes, umfassendes Wissen, seine eindrucksvolle, aus überzeugtem Geist strömende, stets durchschlagende Rede, wie auch seine gefühlswarme Neigung zu Poesie und Kunst, die bei aller schneidenden Principschärfe in ihm waltet, hat zwischen ihm, der in der Frische der Manneskraft steht, und Freiligrath seit Jahren ein immer enger werdendes Band geflochten. Ebenso freundschaftlich nahe stehen sich Freiligrath’s literaturkundige Gattin und die von philosophischem Geist getränkte Gemahlin Karl Blind’s, beides Frauen, die in Würde und Anmuth einer anziehenden Häuslichkeit walten.

Es ist Freiligrath während der Exiljahre nicht vergönnt gewesen, den Musen viel zu opfern; nur gelegentlich brach der mächtige Lyraklang bei ihm wieder durch – so in seinem episch-großartigen Gesang: „Die Revolution“ – in seinem Gedicht auf den Tod der Frau Johanna Kinkel – in seiner Schiller-Cantate, die er bei dem Nationalfeste im Jahre 1859 schrieb und die, von Pauer componirt, im Krystallpalast zu Sydenham, wie auch bei den deutschen Festen in den Vereinigten Staaten vorgetragen wurde. Laßt uns hoffen, daß der Dichter, sich selbst wiedergegeben, nochmals am Abend seines Lebens in die Laute greifen und den Saiten mächtige Töne entlocken wird!

     R–g, im Juli.

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Deutsches Lied. Wo ich auch Deutsche traf, da fand ich, daß in einer Beziehung sicher bei allen das Vaterland noch immer an den Sohlen haftete, so weit sie auch gewandert sein mochten, nämlich in der Liebe zum – deutschen Lied. Sogar dort, wo die politischen Zustände jeglichem Vereinswesen mehr als ungünstig waren, wie z. B. unter dem eisernen Scepter eines autokratischen Nikolaus und eines bourbonischen Ferdinand’s von Neapel – unter dessen Bombenregierung sogar lithographirte Visitenkarten die Censur passiren mußten – auch dort fand ich blühende deutsche Vereine und hörte die zündenden Freiheitslieder unserer besten Dichter erschallen. Bei den Eingebornen genossen diese Vereine stets die größte Achtung, und gar manche hochgestellte Persönlichkeit rechnete es sich zur Ehre, zu einem „gemüthlich-vergnügten“ deutschen Gesellschaftsabend oder sonst einer Vereinsfestlichkeit geladen zu werden.

Zu einer Zeit, wo in den meisten Monarchien Europas das „Ordnungsmachen“ an der Tagesordnung war und wo namentlich Rè Bomba seine chers frères et cousins in diesem Geschäfte zu überflügeln trachtete, im Jahre 1851, fand ich in Catanzaro in Calabrien das Erhebendste, was mir je von deutschem Vereinswesen bekannt wurde. König Ferdinand durchzog damals an der Spitze des größten Theils seines Heeres – an der Tête desselben die Söldnerschaaren der republikanischen Schweizer – gleichsam im Triumphzug seine Provinzen diesseits des Faro, dessen Hauptzweck indeß eine Generalrazzia auf die noch restirenden „Unzufriedenen“ war.

Sein Weg führte ihn natürlich auch nach Catanzaro, dieser Stadt auf hohem Bergrücken, und er mochte wohl nicht wenig staunen, dort an einem Sonntag-Nachmittag auf einem seiner Ausflüge, die er gewöhnlich blos in Begleitung seines ersten Favoriten, des Schweizer-Obersten Steiger, machte, in seiner Nähe: „Das Volk steht auf, der Sturm bricht los“ im gelungensten vierstimmigen deutschen Männerchor singen zu hören. Da der König im Felde gewöhnlich die einfache Uniform eines Infanterieobersten trug und, wie gesagt, ohne alles Gefolge war, so vermutheten die deutschen Sänger natürlich in dem sie freundlich grüßenden Militär durchaus nicht den „Schrecken“ des ganzen Landes und sangen auf sein Verlangen gern dasselbe Lied da capo und nachher noch mehrere andere.

Der König, der deutschen Sprache vollkommen mächtig, unterhielt sich über zwei Stunden mit unseren Landsleuten auf’s Angenehmste und bekam in seinem Incognito gar manche bittere Wahrheit zu hören, ohne deshalb aus demselben herauszutreten. Als jedoch Herr Wild, ein feingebildeter Elsässer, vom feurigen Wein der Gegend begeistert, sich etwas zu hoch in die politischen Tagesfragen zu versteigen begann, da nahm der König Abschied von den deutschen Sängern und zwar mit folgenden Worten: „Meine Herren, es waren die schönsten Stunden, die ich auf diesem Zuge verlebte; ich danke Ihnen von Herzen dafür und wünsche, daß Sie hier, wenn auch ohne mich, noch recht viele Jahre zu Ihrem und des Landes Nutzen stabil bleiben möchten. Singen und sprechen Sie deutsch, was Ihnen beliebt, nur hüten Sie sich, Ihre Reden und Lieder in der Sprache der Landeskinder verlauten zu lassen, denn wenn dies der König erführe, könnten Sie leicht ‚fern von Madrid‘ – Sie sehen, ich kenne Ihren Schiller auch – ‚Zeit zum Nachdenken über die heutigen Stunden erhalten‘. Leben Sie wohl, meine Herren!“

Des andern Tags bezog eine Brigade in Catanzaro Quartier. Die Stadt war im obligaten Festschmuck. Die gewöhnlichen Empfangsfeierlichkeiten fanden statt, denn Ferdinand zog heute officiell in die Stadt ein. Selbstverständlich war die ganze Stadt auf den Füßen, um ihren „lieben“ Landesvater zu bewillkommnen, und wer beschreibt den Schrecken unserer vierzehn deutschen Sänger, als sie in ihrem Gast von gestern den gefürchteten König erkannten! Herr Wild und zwei Preußen reisten sofort nach Messina ab, um so schnell als möglich nach Marseille abdampfen zu können, und die Uebrigen mochten wohl lange Zeit Damoklesqualen geduldet haben.

Diese vierzehn Deutschen, die trotz bourbonischer Galeeren- und Henkerregierung hoch über der Bucht von Squillace deutsches Lied und deutsche Sitte gepflegt hatten, verdienen sicherlich das höchste Lob, und um so mehr, als nur sechs von ihnen in Catanzaro selbst wohnten, die übrigen acht aber jeden Sonntag von Monteleone, Squillace und andern Ortschaften über Berg und Thal oft mehrere Stunden weit herbeipilgerten, um den heimathlichen Laren zu opfern. Es war dies jedenfalls eine größere Aufopferung, als die der Deutschen in der Weltstadt an der Themse, die mitunter auch meilenweit vom Vereinslocale entfernt wohnen, dafür aber die guten und billigen Communicationswege zur Verfügung haben, welche in Calabrien heute noch zu den unbekannten Dingen gehören.




Die Roßmäßler’sche Conchyliensammlung und „Roßmäßler’s Ehre“. E. A. Roßmäßler, dessen Lebensbild mit trefflichem Portrait wir in einer der nächsten Nummern der Gartenlaube bringen, hatte als Specialität wissenschaftlicher Naturforschung sich die Land- und Süßwasser-Mollusken erwählt; sie sind der Gegenstand seines berühmtesten Werkes, der „Ikonographie“ derselben, und bilden den Inhalt einer großartigen Sammlung. Es kann wohl kaum eine glaubwürdigere Empfehlung derselben geben, als wie sie ein hervorragender Conchyliologe, Archidiakonus Adolph Schmidt in Aschersleben, in folgender brieflicher Zuschrift ausspricht:

„Es ist,“ schreibt er einem Leipziger Freunde, „eine schwierige Sache, auf Ihre gefälligen Anfragen über den Umfang und den Werth der Conchyliensammlung des sel. Roßmäßler mit ein paar Worten Auskunft zu geben, zumal Ihnen, der Sie kein Conchyliensammler sind. Doch so viel sagt sich wohl Jeder, der kein Fachmann ist, daß die Sammlung des Mannes, welcher über ein Vierteljahrhundert lang die erste Autorität für die europäischen Binnenconchylien gewesen, der durch seinen immensen Fleiß als Sammler und Forscher die Kenntniß dieses Gebiets angebahnt hat und der dann mit den von ihm Angeregten und weiter Fortgehenden stets gleichen Schritt gehalten hat, ich sage, daß die Sammlung dieses Mannes mit der eines noch so eifrigen Dilettanten gar nicht verglichen werden kann. Ja, es ist nicht die geringste Uebertreibung, wenn ich behaupte, daß diese Sammlung in der ganzen Welt einzig dasteht. In ihr finden sich in großer Fülle die zuverlässigsten Originalexemplare aus der Hand von Ziegler und andern Vorarbeitern; ja, sie enthält die Originalexemplare zu Roßmäßler’s Hauptwerke – das will doch gewiß am meisten besagen. Das Meiste, was er in seiner weltberühmten Ikonographie abgebildet und beschrieben hat, war sein Eigenthum. Ich weiß, daß kurz vor meiner ersten Bekanntschaft mit Roßmäßler die sächsische Regierung ihm eintausend Thaler für die Sammlung geboten hat und daß er sich mit Recht nicht entschließen konnte, sie für einen solchen Preis hinzugeben. Das war vor fast zwanzig Jahren. Wie ist diese Sammlung nun seitdem angewachsen! Welche herrlichen Schätze sind derselben, abgesehen von dem immer mächtiger wachsenden Tauschverkehr, ganz besonders durch Roßmäßler’s Reise nach Spanien einverleibt worden. Diese kenne ich ganz speciell, denn der selige Roßmäßler legte Werth darauf, daß ich das kolossale Material von lebend mitgebrachten Sachen vor der Publication der vielen neu aufgefundenen Arten anatomisch durcharbeitete. Für Manchen hat es daher vielleicht auch Interesse zu erfahren, daß diese herrliche Sammlung nebenbei die Originalexemplare zu mancher von mir veröffentlichten anatomischen Arbeit darbietet.

Das Wiener Museum legt mit Recht großen Werth auf den Besitz der Draparnaud’schen Sammlung – aber was ist diese im Vergleich mit der Roßmäßler’schen! Wie ich höre, reflectirt Jemand im Interesse einer nordamerikanischen Universität auf Ankauf der genannten Sammlung. Es wäre ein Jammer, wenn dies Juwel europäischer Wissenschaft über’s Meer wanderte. Können Sie dazu beitragen, daß es Deutschland oder einem deutsch redenden Volke erhalten bleibt, so thun Sie das ja; Sie würden sich dadurch ein großes Verdienst erwerben!“

Leider ist dazu wenig Aussicht, da von unseren Staatsanstalten wenige so dotirt sind, daß sie einige Tausende für eine Sammlung auf einmal aufwenden könnten, und Roßmäßler’s Hinterbliebene sind nicht im Stande, der deutschen Wissenschaft ein Opfer zu bringen. Er konnte seiner Wittwe nichts hinterlassen, als seinen Namen, seine Bücher und diese Sammlung. Die Wittwe erhält eine jährliche Pension von fünfundachtzig Thalern. Um nicht in Roßmäßler’s Namen das deutsche Volk anzubetteln, haben Freunde des Verewigten ein Schriftchen drucken lassen: „Roßmäßler’s Ehre“, welches die zu seiner Gedächtnißfeier in Leipzig vorgetragenen Reden von Prof. Wigard in Dresden und unserm Brehm (jetzt in Berlin) und Dichtungen von Eduard Burckhardt und Ludwig Würkert sammt einem Portrait des Gefeierten bietet. Mögen die Freunde und Verehrer, Gesinnungs- und Glaubensgenossen Roßmäßler’s dieses Schriftchens zum Besten der Wittwe sich annehmen! Die buchhändlerische Besorgung hat die Buchhandlung von Robert Friese in Leipzig übernommen; besondere Einsendungen richtet man an „das Roßmäßler-Comité in Leipzig“ oder dessen Vorsitzenden Dr. Friedrich Hofmann daselbst. – Die Opferansprüche unserer Zeit sind freilich groß, aber wo die Pflicht der Dankbarkeit gegen einen verdienten Mann die Herzen mahnt, hat man in Deutschland diese Mahnung noch niemals überhört.




Inhalt: Das Geheimniß der alten Mamsell. Von E. Marlitt. (Fortsetzung.) – Ein großer Meister und sein größtes Werk. Mit Abbildung. – Käthchen Murat, die amerikanische Prinzessin. – Ein Erzähler der Gartenlaube. Mit Portrait. – Pariser Weltausstellungs-Briefe. Von Michael Klapp. 3. – Blätter und Blüthen: Ferdinand Freiligrath. – Deutsches Lied. – Die Roßmäßler’sche Conchyliensammlung und „Roßmäßler’s Ehre“.



Verantwortlicher Redacteur Ernst Keil in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
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verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 512. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_512.jpg&oldid=- (Version vom 29.1.2017)