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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

Ehren stand. Noch im kräftigsten Leben fühlte er den Tod nahen und verfügte als seinen letzten Willen, daß man die Ochsen jenes Bauers an der Donau vor seinen Leichenwagen spannen und ihn dahin bestatten solle, wo das Gespann still stehe. So geschah’s. Die Ochsen liefen von freien Stücken aus ihrem Stall in die Siedelei des Sebaldus im Lorenzerwald, und als sie eingespannt waren, zogen sie den Wagen bis vor die St. Peterscapelle unweit der Burg von Nürnberg. In diesem unansehnlichen hölzernen Kirchlein hatte nun Sebaldus seine Ruhestätte bis ein Blitz dasselbe entzündete und das Feuer es verzehrte und man die noch gut erhaltenen Särge in das nahe Schottenkloster zu St. Aegidien brachte. Sämmtliche Todte waren offenbar damit einverstanden, denn sie schliefen ihren großen Schlaf ruhig weiter fort; nur Sebaldus bewies, daß er seinen ewigen Ruheplatz nicht vergeblich so genau bestimmt haben wollte. Schon während der ersten Nacht kehrte er dahin zurück, und dies geschah natürlich drei Mal, um das Wunder groß und stark genug zu machen, daß ein so stattliches Münster wie die Sebalduskirche darauf gebaut werden konnte. Dasselbe erhebt sich nun hoch und herrlich da, wo einst die Ochsen am Berge gestanden, und zu Ehren „des heiligen Peichtigers vn großen Nothhelfers, der ein sunderlicher loblicher Patron und Fürbitter ist der Stadt Nürembergk, allda er leibhaftig gar gnedilich rastet“ wie die „Historie“ seines Lebens sagt, die Albrecht Dürer mit einem Holzschnitt geziert hat.

Die Wunder waren da und die alten Nürnberger so stark im Glauben an dieselben, daß sie ihrer Verehrung für den von ihnen zu ihrem Schutzpatron erhöhten heiligen Mann Ausdruck gaben lange, ehe der Papst in Rom für viel Geld und gute Worte ihn durch eine Bulle im Jahre 1424 unter seine Heiligen versetzte. Hörte doch Sebaldus auch nach seinem Tode nicht auf, die herrlichsten Wunder zu verrichten. So kroch, wenn jährlich an seinem Gedächtnißtag in feierlicher Procession sein Sarg herumgetragen wurde, Keiner, der von Rückenweh oder anderen rheumatischen Uebeln geplagt war, darunter weg, ohne auf der andern Seite geheilt herauszukommen.

Für einen solchen Heiligen konnte man schon ein Uebriges thun, und Jedermann muß dem Herrn Sebald Schreyer, Kirchenmeister zu St. Sebald, Recht geben, daß demselben das Sacramentshäuschen Adam Krafft’s in der Lorenzerkirche keine Ruhe ließ, sondern daß er Alles aufbot und nicht rastete, bis seine Kirche ein gleich kunstvolles Werk aufzuweisen hatte. So entstand Peter Vischer’s Sebaldusgrab, und zwar in der langen Zeit von 1506 bis 1519.

Wer nicht die Freude erlebt hat, durch Nürnbergs Straßen zu wandeln und in seinen Kirchen und Kunstsammlungen zu weilen, wer also auch nicht selbst vor dem Sebaldusgrab gestanden, dem ist auch nicht mit einer Beschreibung desselben geholfen. Nur zum Verständniß des Modellbildes, welches unsere Illustration zeigt, stehe hier das Nothwendigste. Das Ganze thürmt sich in drei Absätzen auf: das Postament, auf welchem der silberne Sarg des Heiligen steht, die sich über demselben erhebende Säulenhalle und darüber das Kuppelgewölbe mit dem kleinen Christus als höchstem Schmuck. Die Höhe dieses Grabmals beträgt fünfzehn Fuß, die Länge acht Fuß sieben Zoll und die Breite vier Fuß acht Zoll, das Gewicht desselben hundertundzwanzig Centner vierzehn Pfund, die Kostenberechnung 2402 Gulden 6 Heller 10 Pfennige. Von den sechsundneunzig Figuren ist jede einzelne ein Meisterstück in Richtigkeit der Zeichnung, Schönheit der Erfindung und Reinheit des Gusses; am bekanntesten davon wurden durch Kupferstich- und Guß-Vervielfältigung die zwölf Apostel auf Postamentchen an den Pfeilern, welche das Kuppelgewölbe oder die Bekrönung tragen und die, nach dem Ausspruch eines Meisters, als Grundtypus von Apostelköpfen für alle Zeiten angesehen werden können, und die auf den Capitälern dieser Pfeiler stehenden Kirchenväter. In Nischen des Postaments ist auf der einen Schmalseite der heilige Sebaldus in ganzer Figur, auf der anderen die Porträtfigur Peter Vischer’s aufgestellt; die Langseiten sind geschmückt durch vier Darstellungen von Wundern des heiligen Sebaldus in erhabenen Figuren. Sie sind zu charakteristisch für die Glaubensfestigkeit und die Sitten jener Zeit, als daß wir sie unseren Lesern nicht mittheilen sollten. Auf der einen Seite rechts ist die Scene abgebildet, wo unser Heiliger, begleitet von seinem Schüler Dionysius, zuerst mit Wilibald und Wunibald zusammentrifft und diese vom Hungertode errettet, indem auf sein Gebet zu Gott ein Engel vom Himmel ihm ein Stück Brod für die Verschmachtenden bringt. Links davon ist zu sehen, wie der Heilige einem Frevler gegenüber, der ihn verspottet, den Herrgott um ein Zeichen bittet zur Bekräftigung seiner Lehre vor allem Volk. Und siehe da, die Erde öffnet sich und ist eben darüber, den Sünder zu verschlingen, als dieser sich eiligst bekehrt und den heiligen Sebaldus dadurch in den Stand setzt, ihn wieder zu erheben und zu retten. Die andere Seite stellt echt nürnbergische Erlebnisse des heiligen Sebaldus aus seiner Einsiedlerzeit dar. Dazumal pflegte er nämlich, so oft er gen Nürnberg ging, bei einem armen Wagner einzukehren. Einst, in strengem Winter, findet er die Stube kalt, weil kein Holz mehr vorhanden war. Da gebietet er der Frau des Wagners, die Eiszapfen vom Dache abzubrechen und ihm zu bringen. Das geschieht und der Heilige verwandelt das Eis durch sein Gebet in Holz, das gleich darauf lustig im Ofen brennt. Die letzte Nische zeigt uns abermals den armen Wagner. Der Heilige war zu ihm gekommen und hatte ihn gebeten, ihm Fische auf dem Markt einzukaufen, trotzdem es noch verbotene Zeit war, denn dazumal wurde Jeder, welcher Fische kaufte, ehe die Herrschaft auf der Burg ihre Einkäufe gemacht hatte, mit Blendung gestraft. Der fromme Wagner gehorchte seinem heiligen Gast mehr als der Obrigkeit und ward dafür von dieser geblendet. Sebaldus aber betete, und der Geblendete sah wieder wie zuvor. – Wenn einmal die alten Nürnberger sich Jemanden zum Schutzpatron wählten, so waren sie auch die Männer dazu, ihn mit den nöthigen Wundern zu versorgen.

Lassen wir uns indeß durch solche heilige Schnurrpfeifereien die Freude am Kunstwerk und am Künstler selbst nicht verderben. Wir merken wohl, Gustav Adolf hatte Recht, und es wird eine Zeit kommen, wo man solche ehrwürdige Bauwerke, wie die Sebalduskirche, mit dem Namen auch von der Erinnerung an den läppischen Ursprung befreit, wie man ja längst schon an dem Kunstwerk des Sebaldusgrabes Composition und Guß dieser Legendenbilder bewundert und den kindischen Inhalt nicht einmal mehr des Belächelns werth achtet.

Es wird aber Zeit, uns nach dem Künstler selber umzusehen, wissen wir doch, daß wir bei ihm einen gar ungewöhnlichen Haushalt treffen werden.

Früher mußte man bei St. Katharinen oder am Katharinengraben Vischer’s Haus suchen; später brauchte man nur nach der Peter-Vischersgasse zu fragen, da war es bezeichnet mit „L. Nr. 761“, und wer in den Hof desselben trat, konnte noch den ungeheuren Rauchfang sehen, der ohne Zweifel zur Gießhütte des Meisters gehört hatte.

Wer aber vor etwa vierthalbhundert Jahren in dieses Haus getreten wäre, der würde hier die zahlreichste Familie der Stadt auf dem engsten Raum zusammengedrängt gefunden haben. Wie ein Patriarch des alten Testamentes hatte er all’ die Seinen unter seinem Dache versammelt: seine fünf Söhne waren seine Arbeitsgesellen, andere hielt er nicht, und wenn auch nur einer derselben, Hermann, sich durch Kunstleistungen hervorthat, so standen die übrigen wenigstens mit der fleißigen treuen Hand dem Vater zur Seite. Alle fünf, Peter, Hermann, Hans, Paul und Jacob, waren aber auch verheirathet, ihre Frauen wohnten mit in des Vaters Haus und auch die Nachkommenschaft mußte dort Platz finden. Brüder und Schwägerinnen lebten in schönster Eintracht, die Verehrung vor dem Alten, dessen treues Weib gestorben war, hielt Alles zusammen, und Jedes arbeitete unter seiner Obhut und ihm zu Liebe eifrig für die gemeinsame Wirthschaft.

Ein solcher Haushalt setzt die höchste Einfachheit der Lebensbedürfnisse voraus, und auch darin scheint Peter Vischer ein Meister gewesen zu sein. Seine liebste Erholung nach schwerer Wochenarbeit war es Jahre lang, an jedem Sonn- und Feiertag Nachmittag mit seinen Jugendfreunden und gleichgestimmten Strebegenossen, dem großen und berühmten Bildhauer Adam Krafft und dem Kupferschmied Sebastian Lindenast, sich im Entwerfen neuer Zeichnungen zu üben. Jeder suchte da eine gemeinsame Aufgabe in seiner Weise zu lösen. „Man wird versucht zu sagen“ – bemerkt ein Biograph Vischer’s – „es gewähre diese Eintracht, diese Austauschung der Ideen, diese gemeinschaftliche Uebung der drei wackeren Männer unter einander einen höchst interessanten Zug aus dem ehemals reichsstädtischen Stillleben, das eben in seiner Abgeschlossenheit einen doppelten Reiz erhält. Kein Drängen

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verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 503. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_503.jpg&oldid=- (Version vom 29.1.2017)