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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

Sie hatte beklommen zugehört. Wie neulich bei Erzählung seiner sogenannten Vision hatte seine Stimme etwas Bestrickendes. Er war nicht so unerklärlich erregt, wie damals, aber die wahr und aufrichtig gemeinte Reue, die er, ohne seiner männlichen Würde irgend etwas zu vergeben, mit einem so milden Ernst an den Tag legte, ergriff sie wider Willen.

„Dürfte ich noch über meine nächste Zukunft verfügen, so würde ich unbedingt und getrost Ihr Anerbieten annehmen,“ sagte sie weicher, als sie je zu ihm gesprochen; „aber ich bin gebunden – an dem Tage, wo ich Frau Hellwig’s Haus verlasse, trete ich in einen neuen Wirkungskreis.“

„Unabänderlich?“

„Ja – mein einmal gegebenes Wort ist mir heilig, ich ändere oder deutele niemals daran, sollte es mir in seiner Consequenz auch die größten Unannehmlichkeiten bringen.“

Er stand rasch auf und trat aus dem Bereich der Birke.

„Und darf man auch jetzt noch nicht erfahren, was Sie vorhaben?“ fragte er, ohne das Gesicht nach ihr zurückzuwenden.

„O ja,“ entgegnete sie gelassen; „Frau Hellwig würde bereits darum wissen, wenn ich Gelegenheit hätte, in ihre Nähe zu kommen – die Frau Hofräthin Frank hat mich als Gesellschafterin engagirt.“

Diese wenigen letzten Worte hatten die Wirkung eines plötzlichen Donnerschlags. Der Professor wandte sich jäh um, und über sein Gesicht schoß eine dunkle Flamme.

„Die Frau da drüben?“ fragte er, als traue er seinen Ohren nicht, und deutete mit der Hand nach dem Frank’schen Garten. Er kehrte rasch unter den Baum zurück. „Das schlagen Sie sich nur gleich aus dem Sinn,“ sagte er entschieden und gebieterisch; „dazu werde ich nie meine Einwilligung geben.“

Jetzt erhob sich auch das junge Mädchen mit einer unwilligen Bewegung – die mühsam gepflückten Blumen fielen auf den Rasen. „Ihre Einwilligung?“ fragte sie stolz. „Die brauche ich nicht! In vierzehn Tagen bin ich völlig frei und kann gehen, wohin es mir beliebt.“

„Die Sache liegt jetzt anders „Felicitas,“ entgegnete er sehr beherrscht. „Ich habe mehr Rechte über Sie, als Sie denken. Es können Jahre vergehen, ehe diese Rechte erlöschen, und auch dann – ja, auch dann fragt es sich noch, ob ich Sie freigebe.“

„Das werden wir sehen!“ sagte sie kalt, mit entschlossener Haltung.

„Ja, das sollen Sie sehen! … Ich habe gestern mit Doctor Böhm, dem vertrautesten Freund meines verstorbenen Vaters, ausführlich und eingehend über Ihre damalige Aufnahme in meinem elterlichen Hause gesprochen, und es stellt sich Folgendes heraus: Sie sind meinem Vater mit der ausdrücklichen Bedingung übergeben worden, daß er Sie unter seinem Schutz behalten müsse, bis Ihr eigener Vater Sie zurückfordere, oder ein anderer braver Beschützer sich finde, der – Ihnen seinen Namen gebe. Mein Vater hat mich für den Fall seines Todes schriftlich als seinen Stellvertreter in dieser Angelegenheit ernannt, und ich bin fest entschlossen, die Bedingung aufrecht zu erhalten.“

Jetzt war es um die Fassung des jungen Mädchens geschehen.

„Gott im Himmel!“ rief sie außer sich und schlug die Hände zusammen. „Soll denn dies Elend nie aufhören? … Ich soll gezwungen werden, in dieser entsetzlichen Abhängigkeit weiter zu leben? Jahrelang hat mich der Gedanke aufrecht erhalten, daß ich mit meinem achtzehnten Lebensjahr erlöst sein würde! Nur in diesem Gedanken habe ich vermocht, äußerlich ruhig und unverwundbar zu scheinen, während ich innerlich namenlos litt! … Nein, nein, ich bin nicht mehr das geduldige Geschöpf, das sich aus Achtung vor dem Willen der Todten knechten und treten läßt! … Ich will nicht! … Ich will nichts mehr mit den Hellwigs zu schaffen haben – ich werde diese verhaßten Fesseln abschütteln um jeden Preis!“

Der Professor ergriff ihre beiden Hände, seine Züge waren bei den letzten Worten todtenbleich geworden.

(Fortsetzung folgt.)




Ein großer Meister und sein größtes Werk.


„Weß ist dies Grabmal?“ fragte der König.

„Es ist des heiligen Sebaldus,“ antwortete der Küster.

„Und wer ist dessen Meister?“

Peter Vischer, der weiland ein Rothgießer allhie gewesen.“

„So ist dies Denkmal allein Peter Vischer’s, von dem die Welt wird noch reden, wenn sie den Sebaldus längst vergessen hat.“ Der aber dies begeistert ausrief, war Gustav Adolf, als er im Jahre 1632 bei Nürnberg dem Wallenstein gegenüberstand.

Es mag wohl bisweilen gefunden werden, daß der Künstler, der ein Denkmal fertigt, mehr werth ist, als Derjenige, welchen es feiert. Ob aber die ketzerische Majestät von Schweden nicht aus purem Vorurtheil gegen die Heiligen insgemein einen so harten Spruch that, müssen wir dem Urtheil der Leser anheimgeben.

Neben dem „Sacramentshäuschen“ von Adam Krafft und dem „Englischen Gruß“ von Veit Stoß, beide in der Lorenzerkirche, rühmt die Stadt, welche man für mittelalterliche Kunst das Schmuckkästchen Deutschlands nennen möchte und als die Mutterstadt deutscher Kunstgewerbe preisen muß, unser Nürnberg, sich keines mehr bewunderten Kunstwerks, als des Sebaldusgrabs von Peter Vischer und seinen Söhnen in der Kirche dieses Heiligen. Solche außerordentliche Verherrlichung, durch welche die Kunst denselben so hoch wie den Heiland und dessen Mutter erhöht, macht es uns zur Pflicht, nach Leben und Thaten dieses Schutzpatrons von Nürnberg uns bei der Legende zu erkundigen. Sie erzählt ungefähr Folgendes:

Es war einmal ein dänischer Königsprinz, der hieß Sebaldus und lebte zur Zeit des Frankenkönigs Pipin und seines großen Sohnes Karl als ein fleißiger und frommer Student in Paris, bis seine Eltern ihn heim entboten in ihr Land. Dort ermahnten sie ihn, nunmehr ein ehelich Gemahl zu nehmen. Gehorsam und in der Einfalt seiner Unschuld fragte er, welche Jungfrau er ehelichen solle. Während Alle darüber nachdachten, ließ eine Schwalbe ein schönes braunes Frauenhaar vor ihnen niederfallen, offenbar zum überirdischen Anzeichen, daß die Eigenthümerin dieses Haars die Erwählte sein solle. Es meldeten sich aber Tausende von Paris bis Dänemark, die das Haar das ihre nannten, und Sebaldus’ Wahl fiel endlich just auf „so eine aus Paris“, über die das ganze dänische Volk den Kopf wie ein Mann schüttelte und die königlichen Eltern in groß Jammern ausbrachen. Sebaldus bekehrte jedoch die Sünderin zu Treue und Frömmigkeit, und nachdem sie Beides ihm vielmals gelobt, feierte er die Hochzeit. Als aber der Abend kam, führte er die Braut in die Kammer und ging von dannen, weit fort, bis er in einen Wald kam, wo er nun als Einsiedler lebte. Dies trieb er fünfzehn Jahre lang. Endlich verließ er die Wildniß und pilgerte gen Rom, und hatte er schon in der Waldeinsamkeit sich im Wunderthun versucht, Krüppel durch Beten curirt und fromme Gäste seiner Einsiedelei durch einen Engel mit Wein und Brod tractiren lassen, so übte er, nachdem er des Papstes Segen sammt dem Auftrag empfangen, den Deutschen nördlich von der Donau das Evangelium zu predigen, seine wunderthätige Kraft nun in’s Große aus. Auf seiner Wanderung von Rom nach dem Norden machte er Blinde sehend, Lahme gehend, Taube hörend, Hungerige zehrend etc. Seine Gefährten waren die Heiligen Willibald und Wunibald. Als er mit diesen zur Donau kam, hatte der Eisgang die Brücke zertrümmert. Sebaldus aber breitete seine Kutte über dem Wasser aus, stellte sich darauf und wurde so über die wilden Fluthen getragen, während seine Genossen am Ufer ihm nachjammerten. Jenseits kehrte er in einer Bauernhütte ein, ließ Eisschollen im Ofen brennen und verschaffte den Leuten ihr verlorenes Ochsenpaar wieder, indem er dem Bauer ihren Aufenthaltsort angab und für seine Augen die finstere Nacht in hellen Tag verwandelte.

Sebaldus schritt dann fürbaß in’s fränkische Land hinein, bis er im Lorenzer Walde bei Nürnberg den Pilgerstab in den Boden steckte und seine Siedelei baute. Auch seine beiden Gefährten stellten sich bei ihm ein. Der Ruf seiner erstaunlichen Wunder zog bald viele Hülfsbedürftige, Fromme und Neugierige zu seiner Klause und auch gen Nürnberg ging er oft, wo er in hohen

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verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 502. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_502.jpg&oldid=- (Version vom 20.3.2017)