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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

den Ambulance-Wagen wurden Pferde angeschirrt und bis Mitternacht hörte der Lärm nicht auf. Dann hörte ich die lange Wagenlinie unter meinen Fenstern in der Richtung auf Schweinfurt fortrasseln.

Am andern Morgen früh besuchte ich die Ufer des Flusses, wo die Truppen eben von dem Stroh aufstanden, das ihnen zum Lager gedient hatte. Die Leute waren heiter und trieben Späße, die Officiere waren ernst und aufgeregt, da sie wußten, daß sie mit einer Uebermacht zu thun haben würden. Von den Preußen hatte sich blos ein Späher gezeigt, der sich am Waldrande des Berges gegenüber zu weit vorgewagt hatte und von einer bairischen Kugel niedergestreckt worden war.

Um neun Uhr hörten wir die ersten Flintenschüsse. Aus den Fenstern unseres Hotels, dem dicht am Curgarten gelegenen russischen Hof, konnten wir Alles mit ansehen. Auf den Bergen drüben erschienen, aus den Wäldern der Maxruhe und des Altenbergs hervortretend, feindliche Plänkler, während General Falckenstein mit seinem Stabe auf der Höhe des Berges im Westen sichtbar wurde. Das Feuern wurde nun ein ununterbrochenes und in das Pfeifen der Gewehrkugeln mischte sich das Sausen der Geschosse einer preußischen Batterie, die auf einem Vorsprunge des Altenbergs aufgefahren war. Dieses Artilleriefeuer richtete sich aber nicht auf die Stadt, sondern auf die dichten Reihen der zweiten bairischen Division, die jetzt herangekommen war und die Höhen im Osten besetzt hielt. Augenzeugen beschreiben die Genauigkeit desselben als wunderbar. Jede Kugel traf und riß in den bairischen Bataillonen so furchtbare Lücken, daß die Befehlshaber die Linien sich öffnen ließen. So sehr die Baiern dort litten, so wacker hielten sie sich am Ufer des Flusses. Die angreifenden Preußen waren die Division Goeben, lauter Westphalen und etwa sechstausend Mann stark. Ihre Plänkler drangen mit ihrem gewöhnlichen Ungestüm gegen die Brücke vor, aber ein mörderisches Feuer der gut gedeckten Baiern empfing sie und trieb sie immer wieder zurück. Eine Stunde und länger thaten die Preußen ihr Möglichstes, doch ohne Erfolg. Auch daß Manteuffel der Division Goeben zu Hülfe kam, änderte nichts. Die Zugänge zur Brücke waren dem feindlichen Feuer so ausgesetzt, daß die Preußen nicht vordringen konnten, ohne sofort niederschossen zu werden. Ihre Plänkler sahen sich daher gezwungen, in den Häusern auf dem westlichen Ufer Schutz zu suchen, und wir sahen von unserem Fenster die Blitze aus den Fenstern des Hotel de Baviere, von denen die Preußen das bairische Feuer von der Brücke erwiderten. Es war übrigens klar, daß dieses Gewehrfeuer nicht im Stande war, die Vertheidiger der Brücke zu vertreiben und den Preußen einen Weg zu bahnen. Falckenstein hatte keine andere Wahl mehr, als die Stadt zu beschießen. Er zögerte aber, angeblich weil er selbst in Kissingen einst Heilung gefunden hatte, wahrscheinlich aus Humanitätsrücksichten gegen einen Ort, den er mit Kranken aus allen Ländern gefüllt glaubte. Wie er einem meiner Landsleute später erzählte, saß er mit der Uhr in der Hand auf dem Pferde, um noch zehn Minuten zu warten. War die Brücke dann nicht in preußischen Händen, so sollte mit der Beschießung der Stadt begonnen werden. Die preußischen Geschütze, deren Kugeln bisher dicht über unseren Dächern hinüber geflogen waren, brauchten blos niedriger zu zielen und Kissingen wurde ein Trümmerhaufen.

Dieses Schicksal wurde von uns abgewendet. Vom Altenberge aus wurden die stehengebliebenen Pfähle der Brücke unterhalb des Curgartens bemerkt und dem General gezeigt. Im nächsten Augenblicke eilten einige hundert Preußen zu dem Schweizerhäuschen an der Straße von Gemünden, rissen die Breter der äußeren Wandbekleidung los und trugen sie zum Flusse. In wenigen Minuten war auf den Pfählen ein Uebergang hergestellt und im Nu waren ein paar Bataillone Westphalen drüben und rückten über die Wiesen gegen die Stadt vor. Die Baiern sahen kaum, was dort vorging, als sie Anstalten zur Vertheidigung ihrer Flanke trafen. Eine starke Abtheilung besetzte Sanner’s Hotel und ließ von den Fenstern des Hinterhauses einen Kugelhagel auf die Stürmenden niederschmettern. Mancher Preuße wurde auf den Rasen gestreckt, aber Goeben’s Leute waren zu zahlreich und zu ungestüm, um zurückgeschlagen werden zu können. Sie kamen wie ein Bergstrom daher, stürmten das Hotel und drangen mit aufgepflanztem Bajonnet in den Speisesaal, wo die Gäste sich auf den Boden gelegt hatten, um den Kugeln zu entgehen. Sie riefen den Herren und Damen zu, daß sie noch liegen bleiben möchten, da fortgeschossen werde, stürmten die Treppe hinauf und machten alle Baiern, die im Hause waren, zu Gefangenen. Eine andere feindliche Abtheilung hatte inzwischen, nicht ohne einen heftigen Kampf, das südliche Ende des Curgartens genommen. Dicht vor unseren Fenstern hörten wir das Geschrei von Kämpfenden und das Krachen von Schüssen. So neugierig wir auch waren, wurden wir doch durch den Ton anschlagender Kugeln und durch klirrende Scheiben von den Fenstern ferngehalten. Die Baiern wurden auf unser Hotel zurückgeworfen und suchten sich zum Theil durch das Haus zu retten. Die Preußen waren ihnen aber zu rasch und verfolgten sie durch die Thür und die Treppen aufwärts. Die meisten Gäste hatten sich in den Keller geflüchtet, oben befand sich blos noch ein Amerikaner. Als er die Treppe hinauflief und den ersten Absatz erreicht hatte, wo er sich rechts wenden mußte, um die nächsten Stufen zu erreichen, fuhr ihm eine preußische Kugel durch den Schnurrbart und zerschmetterte die Gasthofsglocke zu tausend Stücken. Bleich vor Schrecken, rieb er sich die Ohren, um zu probiren, ob er noch lebe, und lief dann weiter. Die Baiern wurden bald überwältigt und warfen die Waffen weg. Nun durchsuchten die Pickelhauben mit aufgepflanztem Bajonnet das ganze Hotel und kamen auch zu uns. Sie waren übrigens weit rücksichtsvoller, als sich bei ihrer Aufregung vermuthen ließ, und gingen weiter, sobald sie sahen, daß keine Gefangene zu machen seien.

Als ich auf die Straße ging, war die steinerne Brücke, um die man so lange gekämpft hatte, frei. Die preußischen Colonnen stürmten in die Stadt, während ihre Kanonenkugeln noch immer über die Häuser flogen und den abziehenden Baiern an den Berghängen jenseits schwere Verluste zufügten. An der Thür unseres Hotels, dicht neben der Leiche eines bairischen Soldaten, hielten zwei preußische Officiere und tranken behaglich den Rheinwein, den der Wirth ihnen in großen Römern auf’s Pferd reichte. Ueberall zeigten sich Spuren des Kampfes. Im Curgarten lagen Todte zwischen Tornistern, Seitengewehren, Feldflaschen und Patronen, die entweder den Gefallenen gehört hatten oder von den Fliehenden weggeworfen worden waren. Noch an diesem Tage zeigte sich, daß von der Einwohnerschaft blos zwei ihren Tod gefunden hatten, und zwar durch verirrte Kugeln. Nur auf diese Weise hatte ein Unglück vorkommen können, da die Preußen allen Nichtkämpfenden die größte Schonung bewiesen.

Von den Badegästen wurde nicht einer verletzt, obgleich manche in große Gefahr geriethen. Zwei Damen und ein Herr, die einen Spaziergang machten, mußten sich in einen Graben legen, um den Kugeln zu entgehen, und in diesem Schlupfwinkel drei Stunden ausharren. Andere, die sich weiter auswärts befanden, flüchteten in nahe Dörfer und kamen erst wieder zum Vorschein, als Alles ruhig war. In die größte Angst geriethen die Gäste des Hotel de Russie. Sie hatten die Thür verrammelt und waren in den Keller gegangen. Aus den nächsten Häusern hatten die Preußen viele Kugeln bekommen und glaubten, daß auch aus dem Hotel auf sie geschossen worden sei. Als sie nun stürmten, feuerten sie durch die Gitter der Kellerlöcher, doch wurde glücklicher Weise Niemand getroffen.

Am Nachmittag und Abend ging es in Kissingen lebhaft zu. Dreißigtausend Preußen lagen in der Stadt und fortwährend wurden Verwundete eingebracht. Die Soldaten fanden gute Quartiere und Speisen und Getränke in Fülle, nachdem sie tagelang im Freien gelagert und nichts als Schwarzbrod gegessen hatten. Aus jedem Hause schallten Töne heraus, die bewiesen, wie freudig die armen Leute ihr Wohlleben stimmte. Im Hotel de Russie, wo Falckenstein mit seinem Stabe quartierte, zeigte sich eine neue Scene. Im Speisesaale saßen statt der ruhigen Curgäste preußische Officiere an den Tafeln. Große Batterien leerer Flaschen zeugten für ihre Thätigkeit und von ihrer lauten Unterhaltung konnte man taub werden. Oben an einem der Tische saß der Veteran Falckenstein und sprach leise mit seinen Divisionsgeneralen Manteuffel und Goeben. Obgleich am andern Tage früh aufgebrochen werden sollte, wurde es doch fast Morgen, ehe das Klappern der Säbel und das Klirren der Sporen auf den Treppen und Gängen aufhörte.

Falckenstein’s Ziel war, Schweinfurt so schnell wie möglich zu erreichen. Am 11. Juli war daher die Armee schon sehr früh in Bewegung und vier Stunden lang zogen die Preußen in dichten Reihen durch Kissingen. Sie erreichten ihren Zweck übrigens

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verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 491. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_491.jpg&oldid=- (Version vom 29.1.2017)