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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

Blüthendurchbruch der Zeit. Das Fest der deutschen Jugend war das erste deutsche Bruderfest und zugleich, um mit Fries zu reden, das helle Morgenroth eines schönen Tages, der über unser[WS 1] schönes Vaterland heraufkam. Indem der deutsche Jünglingsgeist von der alten Lutherburg aus über die deutschen Universitäten sich verbreitete, zunächst die allgemeine deutsche Burschenschaft schuf, bald aber auch darüber hinaus alle Stände, alle Kreise unseres Volks durchdrang und überall deutschen Gemeingeist und Begeisterung für ein einiges freies Vaterland wirkte, wurde das Wartburgfest fürwahr zu dem größten, edelsten Fruchtbaum! Sind seine Früchte schon zum vollen schönen Tage geworden? O nein, noch sind wir nicht am Ziele, „untröstlich ist’s noch allerwärts“; aber eben diese gegenwärtige Zerrissenheit unseres Vaterlandes und der heiße unermüdliche Kampf seiner treuesten Freunde für die endliche Vollendung einer freiheitlichen Einigung unseres deutschen Vaterlandes muß uns doppelt und dringend mahnen, des großen Wartburgtages und seiner deutschen Jünglinge ehrend zu gedenken. Sollte denn wirklich, wie schon im Jahre 1857 ein deutsches Blatt frug, über solche Erinnerung erst Gras, erst Bäume aus dem Felsen gewachsen sein müssen? „Meine Herren, ich höre schon Gras wachsen,“ sagte L. Uhland auf dem Germanistencongreß zu Frankfurt am Main. –

Als bei der Eisenacher Abendmahlsfeier alle die Jünglinge den Worten des Geistlichen in Andacht lauschten, stampfte Robert Wesselhöft, in sich gekehrt dastehend, plötzlich mit dem rechten Fuße heftig auf; später darüber gefragt, gab er die Erläuterung, er habe daran gedacht, wie viel später dem freiwillig und feierlich gegebenen Worte durch Erschlaffung untreu werden würden. Er irrte. Die weitaus meisten der Männer von 1817 sind dem Geiste, in dem sie dort vereinigt standen, im Leben, das ihnen wahrlich nicht leicht gemacht worden ist, treu geblieben. Ihnen, die in den Herzen der deutschen Jugend die Liebe zum gemeinsamen Vaterland wirken und pflegen und unter den künftigen Führern, Lehrern, Richtern und Vertretern des Volkes ein Vorbild der Einheit und Einigkeit des theuern Vaterlandes aufstellen wollten, schlägt für die hohe patriotische Idee das Herz im Greisenalter noch ebenso warm wie einst in der Jugendgluth. Wie haben sie ihre Jugendbegeisterung, die vielleicht über die Schnur hieb, durch jugendliche Frische bis in’s Greisenalter bewährt! Das Jenaer Universitäts-Jubiläum 1858 wie das fünfzigjährige Jubelfest der deutschen Burschenschaft 1865 hat es bewiesen. Und als am 12. Juni 1865 ein kleines Häuflein Mitbegründer der deutschen Burschenschaft, unter ihnen Scheidler, im deutschen Haus zu Jena bei der Vorfeier ihres Burschenfestes zusammensaß, gedachten sie auch des Wartburgfestes als der eigentlichen That der Burschenschaft und beschlossen eine Gedächtnißfeier desselben am fünfzigsten Jahrestage; und als sie am Abend jenes erhebenden August-Festtags im „Paradies“ zu Jena mitten unter dem Jubel der jüngern Geschlechter und gegenüber dem Hausberg, wo der burschenschaftliche Wahlspruch: „Freiheit, Ehren, Vaterland“ in strahlendstem Glanze leuchtete, am Ufer der rauschenden Saale standen, schlossen sie, die Jünglinge mit dem Schneehaar, gleichwie zu neuer Besiegelung des alten Bundes die Hände in einander und sangen leise und innig (nach Binzer’s schönem Liede):

„Bis die Welt vergeht am jüngsten Tag,
Seid treu, ihr Burschen und singet uns nach:
     Frei ist der Bursch!

Mit dem 18. October 1867 nun vollenden sich fünfzig Jahre seit dem Wartburgfest von 1817. Möge es den Bestrebungen des Burschenschafts-Comités in Jena gelingen, eine würdige Erinnerungsfeier zu veranstalten; möge auch die gastliche Stadt Eisenach dazu freundlich einladen! Zwar haben sich inzwischen die Reihen der damaligen Festgenossen gar sehr gelichtet, auch Scheidler, der Burgvoigt von 1817, der Fahnenträger beim Burschenschaftsjubiläum, der „eifrige, ewige Jüngling von Jena“, der sein ganzes Leben der vaterländischen und volksthümlichen Bildung der deutschen Jugend gewidmet hat, ist vor Kurzem abgeschieden, ohne daß ihm vergönnt gewesen wäre, das Burschenschwert zum zweiten Mal zu führen. Noch leben aber zahlreiche Festgenossen des Wartburgfestes in Nord- und Süddeutschland, in der Schweiz und jenseit des Meeres. Freudig werden sie sich bei der Erinnerungsfeier nach langer Trennung wieder in die Arme sinken und jener goldenen Jugendzeit, jener erhebenden Festtage gedenken. Mit Stolz und ohne zu erröthen dürfen sie den Rittersaal wieder betreten, sich mit höherer Freude in’s Auge schauen und mit Carové sagen: „Wir hatten den Geist unsers Volks verstanden und, was er damals von uns gefordert, soviel an uns war, erstrebt und vollbracht!“

Und nur die Alten allein? Nein! neben ihnen erscheine am festlichen Tage die lebensfrische, fröhliche akademische Jugend von all’ den deutschen Universitäten. Im Jahre 1857 schrieb das Morgenblatt über die Zahmheit und Lahmheit der jetzigen Studirenden: „O Wartburg, Wartburg, auf deren Höhen die Väter einst ein Feuer geschürt, daß die Lohe davon weithin den deutschen Himmel röthete, in deren Hallen sie ein deutsches Wort geredet, daß davor die Fürsten erschraken, von deren mächtigem Feste der Dämon des Wahnsinns ausging, der Vaterlandsverräther suchte und eine sonst treue Hand zum Morde trieb, wie wirst du dich freuen, wenn die Musensöhne unserer Tage zu dir kommen![WS 2] Sie werden harmlos und heiter deine Gastlichkeit und deine schöne Fernsicht genießen; sie werden dein restaurirtes Alterthum mit Kunstsinn bewundern; sie werden artig französisch sprechen mit den Franzosen, und keinem wird es gelüsten, die Hand eigenmächtig gegen Vaterlandsfeinde zu erheben! O Deutschland, wie viel hast du einst von der Kraft und Begeisterung deiner Jugend gehofft, – und wie viel von ihr gefürchtet! Du hast jetzt nichts mehr zu fürchten!“

Nun wohl, ihr deutschen Studirenden, zeigt denn beim Erinnerungsfeste 1867, wie unbegründet die spöttischen Urtheile über die Richtung und Denkart der jetzigen akademischen Jugend sind, zeigt, wie auch ihr von Vaterlandsbegeisterung durchglüht und den Vätern nachzueifern bestrebt seid, und daß von euch, der jungen, frischen Kraft, das Vaterland die endliche volle Ernte des vor fünfzig Jahren ausgestreuten Samens erwarten darf!

Und nur die alten Burschenschaften? nur ihre jungen Epigonen? O nein, nein! Jene Zeit, die bloß das Samenkorn barg, hat schon bis jetzt reiche Frucht getragen und verspricht für die kommenden Tage noch reichere Frucht. Wir leben bereits inmitten einer großen deutschen Burschenschaft. Jeder deutsche Mann, jeder Bürger, dessen Herz für die große Sache der Einheit und Freiheit des noch immer ungeeinten, jetzt in drei Theile zerrissenen Vaterlandes schlägt – weß Standes und Berufs er auch sei – sei herzlich willkommen, auf daß das Erinnerungsfest eine wahre, würdige Erinnerungsfeier des ersten deutschen Nationalfestes, selbst ein wahres Nationalfest werde! Ihre Betheiligung sei uns Bürgschaft für die endliche Erreichung des großen nationalen Ziels. Möge dies dem Vaterland und der Menschheit gewidmete Blatt ihnen, wie vor zwei Jahren beim großen Burschenfeste, so auch heute bis weithin an den Rhein und zu den Alpen, durch den „norddeutschen Bund“ wie durch Süddeutschland und Deutsch-Oesterreich hin bis an das Meer und über das Meer den Gruß bringen, zum Feste echt brüderlicher, deutscher Einigung, und mögen sie dem freundlichen Ruf fröhlich Folge leisten! Frisch auf denn!

Frisch auf! frisch auf zur Burschenfahrt,
Ihr Jungen und ihr Alten,
Wir wollen dort nach unsrer Art
Den großen Festtag halten!




Erinnerungen aus dem letzten deutschen Kriege.
Nr. 7. Kriegsabenteuer eines Friedfertigen.


Vor wenigen Tagen hat man in Kissingen das Andenken jenes 9. Juli des vorigen Jahres, welcher den sonst so friedlichen Badeort und seine polyglottische Sommerbevölkerung in so große Schrecken und Gefahren bringen sollte, in ernster Feier begangen, wie man das Gedächtniß der Entscheidungstage von Gitschin, von Skalitz und Königgrätz festlich erneuert hat. Lebhaft sind dabei die Scenen des blutigen Gefechts wieder vor die Seele getreten, das an den Ufern der fränkischen Saale und bis mitten in die Straßen der freundlichen Stadt hinein sich Preußen und Baiern geliefert haben; es wird daher gewiß auch unsern Lesern nicht überflüssig erscheinen, wenn wir ihnen einzelne Momente jenes Kampfes, wie sie ein englischer, also ein völlig unparteiischer

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: unter
  2. Vorlage: kommdn
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 489. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_489.jpg&oldid=- (Version vom 29.1.2017)