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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

wie gewöhnlich; die blonden Locken hingen wild und aufgelöst an den Wangen herab, welche in einem unschönen Roth glühten, aus den Taubenaugen aber sprühte es unheimlich.

„Ich habe Ihnen noch nicht einmal danken können, Caroline, daß Sie Aennchen während meiner Abwesenheit beaufsichtigt haben,“ sagte sie. Das sollte freundlich klingen, aber die sanfte Stimme verschärfte sich, sie klang höher als gewöhnlich und war dadurch schneidend. „Sie stehen ja aber auch hier wie eine Einsiedlerin unter dem abgelegenen Nußbaum – wie soll man Sie da finden?“ fuhr sie fort. „Haben Sie diese interessante, zurückgezogene Rolle öfter gespielt? … Ich würde es dann freilich um so leichter begreifen, daß ich Aennchen so unverantwortlich vernachlässigt wiederfinden muß. Ich habe Rosa bereits sehr gescholten, das Haar hat nicht die mindeste Pflege gehabt, ihre Haut ist so sonnenverbrannt, daß man sie für ein Kaffernkind halten möchte, und ich fürchte, sie ist überfüttert worden.“

„Hast Du nicht noch einen Vorwurf für die Pflegerin, Adele? Besinne Dich!“ mahnte der Professor in vernichtendem Hohn. „Vielleicht ist sie auch schuld, daß Dein Kind an den Skropheln leidet, möglicherweise hat sie die vielen Gewitterregen über den Thüringer Wald geschickt, die Dir die Laune verdorben haben, wer weiß“ – er hielt inne und wandte sich mit einer fast verächtlichen Geberde ab.

„Ja, es ist besser, Du redest nicht aus, Johannes,“ klagte die junge Wittwe, mit einem krampfhaften Weinen kämpfend. „Ich muß fast annehmen, Du weißt nicht mehr, was Du mir gegenüber sprichst. Ich habe Sie nicht beleidigen wollen, Caroline,“ wandte sie sich an das Mädchen, „und damit Sie sehen, daß ich nicht den mindesten Groll gegen Sie hege, oder Ihnen gar mein Vertrauen entzogen habe, will ich Sie bitten, heute Abend Aennchen noch einmal zu überwachen – ich fühle mich sehr angegriffen und reisemüde.“

„Daraus wird nichts!“ entschied der Professor hart. „Die Zeit der grenzenlosen Aufopferung ist vorüber. Du verstehst es vortrefflich, Adele, die Kräfte Anderer auszunutzen; von nun an wirst Du Dein Kind selbst wieder unter Deine Obhut nehmen.“

„Gut – ist mir auch recht!“ rief Frau Hellwig herüber. „Dann mag das Mädchen heute Abend tüchtig jäten; von Heinrich und Friederike kann ich’s ohnehin billigerweise nicht mehr verlangen – sie werden zu alt.“

Ein tiefes Roth lief wie eine Flamme über das Gesicht des Professors. So schwer auch seine eigenartigen Züge sich entziffern ließen, in diesem Moment zeigten sie unverkennbar Scham und Verlegenheit. Vielleicht noch nie war ihm das Empörende der Stellung, in die er selbst dies junge, reichbegabte Wesen gedrängt hatte, so zum Bewußtsein gekommen, wie jetzt. Felicitas verließ sofort ihren Platz unter dem Nußbaum; sie wußte, die wenigen Worte der Frau Hellwig waren ein Befehl für sie, dem sie ohne Weiteres Folge leisten mußte, wenn sie nicht eine Fluth spitziger Bemerkungen hören wollte. Aber der Professor trat ihr in den Weg.

„Ich glaube, ich habe hier auch noch ein Wort als Vormund mitzusprechen,“ sagte er, scheinbar sehr ruhig, „und als solcher wünsche ich nicht, daß Sie dergleichen Arbeiten verrichten.“

„So – willst Du sie etwa in den Glasschrank setzen?“ fragte Frau Hellwig, indem sie nun auch ihren großen Fuß auf die Wiese setzte und rascher als gewöhnlich sich vorwärts bewegte. „Sie ist genau nach Deiner Vorschrift erzogen, ganz genau! … Soll ich Dir vielleicht Deine Briefe vorzeigen, in denen Du immer und immer wieder, ja wirklich bis zum Ueberdruß, wiederholst, daß sie dienen solle und müsse, daß sie nicht streng und scharf genug in der Zucht gehalten. werden könne?“

„Es fällt mir nicht ein, auch nur ein Iota von dem verleugnen zu wollen, was auf mein ausdrückliches Verlangen geschehen ist,“ entgegnete der Professor mit dumpfer, aber fester Stimme, „ebenso wenig kann ich mein Verfahren bereuen – es ist damals aus reiner, voller Ueberzeugung, aus dem aufrichtigen Wunsch, das allein Zweckmäßige und Vernünftige zu thun, hervorgegangen, aber ich werde mich auch nie der Schwäche schuldig machen, einen erkannten Irrthum eigensinnig festzuhalten, lediglich der Consequenz halber, und deshalb erkläre ich hiermit, daß ich jetzt anders denke und folglich auch anders handeln werde.“

Die Regierungsräthin bückte sich bei den letzten Worten. Sie pflückte eine einsame Kleeblume, weiche die Sichel verschont hatte, und zerzupfte sie in Atome. Frau Hellwig aber lachte spöttisch auf.

„Mache Dich nicht lächerlich, Johannes!“ sagte sie in eisigem Hohn. „In Deinen Jahren fängt man nicht noch einmal von vorn an mit seinen Grundsätzen, da müssen sie fest und hart sein, sonst wird’s eine Stümperei für’s ganze Leben. … Du hast übrigens nicht allein in der Sache gehandelt – ich war auch dabei, und ich sollte meinen, mein ganzes Leben beweise es, daß ich mit Gottes Gnade stets das Richtige gethan habe. … Es sollte mir leid thun, wenn jetzt noch die Hellwig’sche Schwäche auch in Deinem Charakter zum Durchbruch käme, dann, das sage ich Dir rund heraus – wären wir geschiedene Leute. … So lange das Mädchen noch in meinem Hause ist, bleibt sie mein Dienstbote, der nicht einen Augenblick auf der faulen Bärenhaut liegen darf, und damit Basta! … Nachher mag sie meinetwegen nichtsnutzig werden, die große Dame spielen und ihre Hände in den Schooß legen.“

„Das wird sie nie, Madame Hellwig!“ sagte Felicitas, indem sie mit einem flüchtigen Lächeln ihre schöngeformten, aber braunen und hart gearbeiteten Hände betrachtete; „Arbeit gehört mit zu ihren Lebensbedingungen… Wollen Sie die Güte haben, mir die Beete zu bezeichnen, damit ich anfangen kann?“

Der Professor, welcher der herben Standrede seiner Mutter gegenüber seine gelassene Haltung angenommen hatte, wandte sich jäh um nach Felicitas, und ein tief erbitterter Blick traf ihr Auge.

„Ich verbiete es Ihnen hiermit nochmals!“ befahl er mit finster gerunzelten Brauen rauh und entschieden. „Und wenn meine Einsprache als Vormund Ihren unbezähmbaren Trotz nicht zu beugen vermag, so appellire ich jetzt als Arzt an Ihre Vernunft. … Sie haben sich bei Aennchens Pflege überangestrengt, Ihr ganzes Aussehen beweist es. Binnen Kurzem wollen Sie das Haus meiner Mutter verlassen – es ist unsere Pflicht, dafür zu sorgen, daß Sie wenigstens einen gesunden Körper in Ihren künftigen Wirkungskreis mitbringen.“

„Nun, das ist doch noch ein Grund, der sich hören läßt,“ meinte Frau Hellwig. Für ihr Ohr, das bisher vergebens auf einen Tadel ihres Sohnes gewartet hatte, klangen die Worte „unbezähmbarer Trotz“ offenbar wie Musik. „Sie mag meinetwegen für heute nach Hause gehen,“ setzte sie hinzu; „obgleich ich eigentlich nicht recht begreife, wie das Bischen Pflege sie elend gemacht haben soll. Sie ist jung und hat ihr gutes Essen dabei gehabt. … Da sieh Dir andere Mädchen in ihren Verhältnissen an, Johannes, die müssen Tag und Nacht arbeiten und haben doch rothe Backen!“

Sie nahm den Arm der jungen Wittwe und ging über die Wiese zurück, in der Meinung, daß ihr Sohn folge; auch die Regierungsräthin vermied es, offenbar aus Trotz und Groll, sich nach ihm umzusehen. Anfänglich hatte es auch den Anschein, als wolle er mitgehen, allein schon nach wenigen Schritten wandte er sich um und während der letzte Schimmer des verunglückten, blaßblauen Reisekleides hinter der nächsten Taxushecke verschwand, schritt er langsam wieder auf den Nußbaum zu. Er blieb einige Secunden lang schweigend neben Felicitas stehen, die eben die Bänder ihres runden Strohhutes unter dem Kinn zusammenband. … Plötzlich bog er sich nieder und sah unter die breite Hutkrempe, welche Stirn und Augen des Mädchens vollkommen bedeckte. Noch war die Erbitterung in seinen Zügen vorherrschend; als jedoch ihr Auge dem seinen begegnete, da schmolz sein Blick.

„Sie fühlen wohl gar nicht, daß Sie mir heute sehr wehe gethan haben?“ fragte er kopfschüttelnd und so weich, als ob er zu einem Kinde spräche.

Sie schwieg.

„Felicitas, es ist mir nicht möglich, zu denken, daß Sie zu jenen Frauen gehören sollten, denen die Bitte um Verzeihung aus einem Männermunde ein ersehnter Genuß ist,“ sagte er jetzt sehr ernst und nicht ohne eine Beimischung von Schärfe.

Sie fuhr empor. Ihr weißes Gesicht mit dem wahrhaft keuschen, mädchenhaft reinen Ausdruck erröthete bis über die Stirn.

„Eine solche Bitte hat in meinen Augen stets etwas Peinliches für den Gekränkten,“ antwortete sie nach einer Pause in sanfterem Tone, als sie gewohnt war, ihm gegenüber zu sprechen; „von Solchen aber, denen in der Welteinrichtung eine besondere Würde zugestanden ist, möchte ich sie um keinen Preis hören…

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verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 483. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_483.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)