Seite:Die Gartenlaube (1867) 474.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

daß es im späteren Berufsleben nachhaltig wirken werde. Als nun aber das schändliche Treiben in Wien offenkundig wurde, da nahm auch die Jenaische Burschenschaft, wie schon in Gießen und Berlin der Fall gewesen war, einen mehr politischen Charakter an. Man begann sich laut über all’ die Treulosigkeit der Diplomatie auszusprechen, und es war kein Wunder, wenn unter der früher so begeisterten und nun so getäuschten Jugend ein vergrimmter Ernst Platz griff und der Entschluß immer entschiedener wurde, für die Einheit Deutschlands und für verfassungsmäßige bürgerliche Freiheit dann einzustehen, wenn die Einzelnen in das praktische Leben treten würden. Aber um dies Ziel zu erreichen, war die Burschenschaft in Jena allein nicht ausreichend; diese Vereinigung mußte auf allen deutschen Hochschulen in gleichem Sinne und Geist eingeführt werden. So entstand unter den Jenensern die Idee einer allgemeinen deutschen Burschenschaft, und um sich allseitig zu verständigen, wurde das Wartburgfest ausgeschrieben. Es sollte ein dreifaches Fest gefeiert werden: das Jubiläum der Reformation als der Befreiung aus geistiger Knechtschaft, der Sieg in der Leipziger Schlacht als der Befreiungsmoment von der Fremdherrschaft und endlich die Gründung einer allgemeinen deutschen Burschenschaft.“

Soweit der greise Burschenschafter mit dem treuen, jugendlichen Herzen.

Die Studirenden Hans Ferdinand Maßmann, Candidat der Theologie aus Berlin, und Karl Hoffmann aus Rödelheim bei Frankfurt a. M. waren es, welche, als sie sich im Herbste 1816 in der Nähe Rödelheims, der Eine um nach Jena, der Andere um nach Gießen zurückzukehren, trennten, zunächst in Erinnerung des auf das nächste Jahr fallenden Reformationsfestes den Grundgedanken des Wartburgfestes zuerst faßten und in Jena und Gießen anzuregen sich das Wort gaben. Hier in Jena, der kleinen Stadt, welche Böckh bei Begrüßung der Universität an deren Jubiläum im Namen aller Universitäten so treffend „eine Metropole der tieferen und höheren Erkenntniß und Wissenschaft, eine Weltstadt“ genannt hat, in Jena, wo von jeher und vollends unter Karl August und Goethe der Geist die freieste Bewegung hatte und die Burschenschaft in Begeisterung für die heilige nationale Einheitsidee bereits entstanden war, fand jener Festgedanke, welchen Maßmann, als er Ostern 1817 nach Berlin zurückkehrte, in Jena hinterlassen und sein Landsmann Eduard Dürre besonders lebendig erhalten hatte, lebhaften Anklang. Von hier aus erließ unterm 11. August 1817 Robert Wesselhöft im Namen der Burschenschaft die Einladung an die andern Hochschulen, um das Fest „in drei schönen Beziehungen, nämlich der Reformation, des Sieges bei Leipzig und der ersten freudigen und freundschaftlichen Zusammenkunft deutscher Burschen von den meisten vaterländischen Hochschulen, am dritten großen Jubiläum der Reformation zu begehen“. Trotz allen Verdächtigungen, die ihm von außen her über beabsichtigte Umtriebe in der deutschen Jugend- und Burschenwelt zugetragen wurden, ertheilte der wahrhaft patriotisch gesinnte Fürst Weimars zum Fest die Erlaubniß, veranlaßte selbst die gastliche Aufnahme der Studirenden in den Eisenacher Bürgerhäusern, übergab ihnen die Wartburg, ließ zum dortigen Mahl die Fischteiche öffnen und sorgte für die Illumination der Wartburg und für das Holz zum Siegesfeuer.

Es war am Morgen des 18. Oct. 1817, als die aus Berlin, Erlangen, Gießen, Göttingen, Heidelberg, Jena, Kiel, Leipzig, Marburg, Rostock, Tübingen und Würzburg erschienenen Festtheilnehmer, gegen fünfhundert an Zahl, in feierlichem Zuge zur Wartburg hinaufzogen. Es war ein frischer, klarer Herbstmorgen. Die Festmusik erklang, die Glocken tönten dazwischen. Scheidler, der Jenaer Burschenschafter, der zum Burgvoigt und Oberanführer des Ganzen gewählt worden, schritt mit entblößtem Jenaischem Burschenschwert voran; Lauteren von Heidelberg, Binzer von Kiel, Lynstedt von Leipzig und Sartorius von Gießen folgten ihm als Burgmannen. Eduard Graf v. Keller aus Jena trug die jenaische schwarz-roth-goldene Burschenfahne, der sich alle willig untergeordnet hatten; ihn umgaben Aegidi von Berlin, Karl Ludwig Sand von Erlangen, Heinrich von Marburg und Crome von Göttingen als gewählte Fahnenbegleiter mit Burschenschwertern. Ihnen folgten die Studenten Jahn und Bauer von Berlin, Schneider und Ebermayer von Erlangen, Buri und Kümmel von Gießen, Krüger und Bortning von Göttingen, Carové und Kohl von Heidelberg, Riemann und Siewerssen von Jena, Förster und Olshausen von Kiel, Hoffmann und Trenner von Leipzig, Sallmann und Claus von Marburg und Michelsen, Wokrow und Johnsen von Rostock als die übrigen Mitglieder des Festausschusses, dann die übrigen Studenten, meist in schwarzem deutschen Rock, die Mützen mit Eichenlaub geschmückt, das ihnen Maßmann vorauseilend von den Eichen gebrochen hatte.

So zogen die frischen, blühenden Jünglinge ernst und feierlich in die alte Wartburg und in den mit Laubgewinden gezierten Rittersaal ein. Dort hatten sich bereits vier jenaische Professoren eingefunden: Schweitzer, der Redacteur der weimarischen und sonach ersten Verfassung in Deutschland und nachheriger Minister des Großherzogthums, Kieser, der, schon Professor, den Befreiungskrieg als freiwilliger Jäger mit durchgekämpft hatte, der nachherige Historiograph des Wartburgfestes, Oken, der geistvolle Naturforscher und Patriot, welcher, wie sein großer College Luden, „ein Vaterland, innerlich stark, mit den nöthigen Bürgschaften der Sicherheit nach außen und einer vernünftigen, gesetzlich geordneten Freiheit im Innern“ erstrebte, endlich der Philosoph Fries, der die studirenden Jünglinge zum Bündniß angeregt hatte, „daß im Geiste eins und einig werde das deutsche Vaterland, daß es im regen Gemeingeist gedeihe zum öffentlichen Leben.“ Sie Alle erblickten in dem Feste den Keim eines großen, fruchtreichen Baumes. Dort, im Rittersaal war es, wo H. Riemann (aus Ratzeburg), der als Lützower in tobender Schlacht sich das eiserne Kreuz erworben hatte, in kräftig wackerer Rede die Reformation als die Wiedergeburt des freien Gedankens und das Gedächtniß der Leipziger Schlacht als die Errettung des Vaterlandes aus schmählichem Sclavenjoche feierte, der treulos getäuschten Hoffnungen des deutschen Volkes gedachte und begeistert ausrief: „In den Zeiten der Noth haben wir Gottes Willen erkannt und sind ihm gefolgt. An dem, was wir erkannt haben, wollen wir aber auch nun halten, so lange ein Tropfen Bluts in unsern Adern rinnt: der Geist, der uns hier zusammengeführt, der Geist der Wahrheit und Gerechtigkeit, soll uns leiten durch unser ganzes Leben, daß wir, alle Brüder, alle Söhne eines und desselben Vaterlandes, eine eherne Mauer bilden gegen jegliche äußere und innere Feinde dieses Vaterlandes, daß uns in offener Schlacht der brüllende Tod nicht schrecken soll, den heißesten Kampf zu bestehen, wenn der Eroberer droht; daß uns nicht blenden soll der Glanz des Herrscherthrons, zu reden das starke, freie Wort, wenn es Wahrheit und Recht gilt; – daß nimmer in uns erlösche das Streben nach Erkenntniß der Wahrheit, das Streben nach jeglicher menschlichen und vaterländischen Tugend! Mit solchen Grundsätzen wollen wir einst zurücktreten in’s bürgerliche Leben, fest und unverrückt vor den Augen als Ziel das Gemeinwohl, tief und unvertilgbar im Herzen die Liebe zum einigen deutschen Vaterlande!

Alle Anwesende waren tief ergriffen, den Jünglingen, selbst den Männern, traten Thränen in die Augen und in der Stille der eigenen Brust wurden heilige Schwüre für das ganze Leben geleistet. Eine kurze warme Ansprache von Hofrath Fries und der kirchliche Segen, welchen E. Dürre, vom Augenblick hingerissen, aussprach, schloß diesen erhebenden Theil der Feier.

Damit waren die Ideen des Festes klar ausgesprochen, sie bildeten bei dem nachherigen fröhlichen Zusammensein auf dem Burghof das Thema der Gespräche der einzelnen Gruppen, und lustig erscholl hier das so äußerst bezeichnende Festlied des Dr. Friedrich Förster in Berlin:

Frisch auf! frisch auf zur Burschenfahrt,
Ihr Jungen und ihr Alten!
Wir wollen hier nach unsrer Art
Den großen Festtag halten.

5
Heut ist des Doctor Luther’s Tag,

Zuerst ein Jeder singen mag:
„Hoch lebe Doctor Luther!“

Zum zweiten leb’ im deutschen Land
Jetzt und zu allen Zeiten

10
Ein jeder wackre Protestant,

Der nimmer scheut zu streiten.
Dreht uns der Papst die Nase nicht,
So giebt’s noch manchen Lumpenwicht,
Den wir darniederschlagen.

15
Das dritte Hoch! wir rufen’s frei

Dir, Herzog, hier zu Lande,
Der Du Dein Wort gelöset treu,

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 474. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_474.jpg&oldid=- (Version vom 29.1.2017)