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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

über ihn laut gewordenen Stimme entlehnen, vollende das Bild des berühmten Autors: „Der Stubengelehrte alten Stils kann ihn nicht begreifen, der Doctrinär und Fusionär nicht leiden, ihn, der seine Ueberzeugungen mit nackten Worten hinschleudert und von Transigiren nichts wissen will.“ Fügen wir bei: das Volk liebt, der tiefer Denkende versteht und würdigt ihn.




Deutsch-amerikanische Lebensläufe.
Von Adolf Douai.
3. Der Holzhacker.


Der Dritte, an welchen die Reihe des Erzählens kam, war P…, ein Farmer aus Missouri, der sich im Unionskampfe einen geehrten Namen erworben hatte, ein riesiger, baumstarker Recke, mit Zügen und Gliedmaßen, wie aus knorrigem Eichenholze zugehauen, dessen gutmüthige Miene aber Jedem zurufen zu wollen schien: „Kann ich denn was dafür, daß man mir scheu aus dem Wege geht, wie einem Mammuth? Habe ich nicht die wohlwollendsten Absichten? Wer hat ein besseres Gewissen als ich?“ Er bedurfte auch einiger Zeit zum Räuspern und Zurechtsetzen, ehe er Worte finden konnte, wie eine riesige Maschine, welche langsam in Gang kommt, und einer Einleitung, die wir weglassen, um sich wegen Mangels an Redegewandtheit zu entschuldigen. Endlich half ihm ein Schluck 65er zum Anfange seines amerikanischen Lebenslaufs.

„Als ich,“ sagte der Farmer P. aus Missouri, „im Herbste 1856 in Philadelphia landete, war guter Rath theuer. Auf meinen erlernten Beruf, Cameralwissenschaften, fortzukommen, war außer Frage, und Geld hatte ich ungefähr soviel, wie ein Bruder Studio, wenn das Semester zu Ende geht. Man rieth mir allerlei Erwerbswege an, zu deren Verfolgung aber mehr Geld, oder mehr Englisch gehörte, als ich erschwingen konnte. Diese Rathschläge von Leuten, welche schon lange im Lande, über die ersten Nahrungssorgen hinweg und gewissermaßen schadenfroh waren, Andere in den nämlichen Verlegenheiten zu erblicken, welche sie selbst anfänglich hatten ausstehen müssen, kamen mir in meinem grimmigen Humor ebenso vor, wie der Rath, den man wohl Kindern giebt, wenn sie einen Sperling fangen wollen, ihm doch Salz auf den Schwanz zu streuen. Ich sah ein, daß ich die erste beste Arbeit suchen müßte, und beschloß in Betracht meiner körperlichen Rüstigkeit, es als Holzhacker zu versuchen. Ich kaufte mir also eine Säge, eine Axt und einen Sägebock und begab mich vor die Hausthüren, vor denen ich eine Fuhre Holz abladen sah, mit dem Anerbieten meiner Dienste. Hui! wie da die Spähne flogen! Es ist doch gut, dachte ich bei mir selbst, daß es Arbeiten giebt, mit denen man sein Brod verdienen kann, ohne Kant’s Kritik der reinen Vernunft und Hegel’s Phänomenologie vollkommen verstanden zu haben, die mir soviel Kopfzerbrechen gekostet hatten. Ich bin mein Lebtage nicht so sehr mit mir zufrieden gewesen, wie am ersten Abende meines holzhackerischen Lebenslaufes, als ich mit anderthalb Dollars redlich verdienten Geldes nach Hause ging, umsomehr, als dies überhaupt das erste Geld war, welches ich jemals verdient hatte. Denn bis dahin hatte ich lediglich meiner Eltern Geld verstudirt und verjubelt. Wie ich nun so in mein stilles Glück versunken heimwärts gehe – ich hätte die ganze Welt umarmen mögen und baute auf meine mit Holzhacken zu machenden Ersparnisse mir schon eine idyllische Zukunft – da überfiel mich an der nächsten Straßenecke eine ganze Rotte zerlumpter und besoffener Irländer, welche das Holzhacken in den Straßen der Stadt der Bruderliebe als ihr Monopol zu betrachten schienen und mir meinen Eingriff in ihre wohlerworbenen Rechte büßen lassen wollten. Ehe ich mich dessen versah, regnete es Püffe, Faustschläge und Fußtritte auf mich, und zwei meiner Gegner versuchten mir meine Werkzeuge zu entreißen. Der gute Rath der Bibel: seid langsam zum Zorn![1] ließ sich hier schlechterdings nicht buchstäblich befolgen. Wozu anders giebt der Schöpfer dem Menschen Leibesstärke, als um sich seines Lebens zu wehren? Und dann – da bekanntlich ein irischer Schädel nicht eher Vernunft annimmt, als bis man ihm mit dem Knüttel zuredet, so that ich vielleicht am Schlusse meines Tagewerkes noch eine extragute, menschenfreundliche Handlung, indem ich ihre Liebkosungen nicht unbeantwortet ließ. Kurz, mit dem Axtstiel in der einen, dem Sägebock in der andern Hand liebkoste ich sie, bis ich Meister des Schlachtfeldes blieb. Wie mir das Abendessen darauf geschmeckt hat, läßt sich nicht beschreiben.

Allein wenn ich in anderen Stadttheilen Holz sägte und hackte, wo man mich noch nicht näher kannte, wiederholten sich die Angriffe der irischen Monopolisten auf mich. Natürlich wiederholte sich auch deren Ausgang. Einmal kam die Polizei dazu und schritt ein; aber da ich der Einzige war, der ruhig stehen blieb, im Bewußtsein treu erfüllter Pflicht, während meine Angreifer Fersengeld gaben, so wurde ich allein verhaftet und in das Sectionshaus eingesperrt, wo ich die Nacht zubringen mußte. Als ich den nächsten Morgen vor den Richter gestellt wurde, konnte ich natürlich keinen meiner Angreifer namhaft machen. Ich hatte also weiter keine Genugthuung, als die, daß die verkannte Unschuld am Ende doch immer gerechtfertigt wird und daß, was das Laster betrifft, auch in Amerika der Krug solange zu Wasser gehe, bis er zerbricht – was freilich mitunter etwas lange dauern kann. Mit löblicher deutscher Standhaftigkeit aber beschloß ich, als Holzhacker auszudauern, bis ich mir einen Wirkungskreis erobert hätte, und führte diesen Entschluß recht vorsätzlich in allen Stadttheilen aus, was mir täglich anderthalb Dollars, den Irländern aber, meinen Mitbewerbern, ungezählte Beulen und blaue Flecke eintrug.

Das Verdienst bleibt doch auf die Dauer nicht unbekannt und unbelohnt. Eines Tages trat ein feingekleideter Angloamerikaner auf mich zu und redete mich an: ‚Ich habe bemerkt, daß Sie ein starker, furchtloser und tapferer Mann sind. Einen solchen suche ich längst. Wollen Sie in meine Dienste treten? Ich brauche einen Usher (Portier, Thürsteher) und zahle vierzig Dollars den Monat bei freier Kost und Wohnung.‘

‚Mir recht,‘ antwortete ich, ‚vorausgesetzt, daß es ein anständiger Dienst und eines gebildeten Mannes würdig ist. Ich bin ein deutscher Studirter.‘

Er musterte jetzt erst meine Gesichtszüge genauer und, wie es schien, beifällig, reichte mir die Hand und führte mich in ein Speisehaus, wo wir zusammen Mittag machten. Er setzte mir dabei die Pflichten auseinander, welche ich bei ihm zu erfüllen haben würde, und versprach mir höheren Lohn und eine bessere Stellung, sobald ich Genüge leiste. Er war Inhaber einer Academy in einem benachbarten Land- und Fabrikstädtchen, in welcher sowohl Knaben als Mädchen – aber in getrennten Räumen – unterrichtet wurden. Als Usher hatte ich nicht blos Fremde anzumelden, ungebetene Gäste abzuweisen, Botengänge nach auswärts zu machen, sondern auch widerspenstige Jungen zurechtzuweisen – womöglich ohne körperliche Züchtigung, den Verkehr zwischen Jungen und Mädchen zu verhüten, überhaupt die ultima ratio des Directors zu bilden.

Eines Tages z. B. gerieth der Director in Streit mit einem Irländer, der für gelieferte Arbeit nicht hoch genug bezahlt zu sein glaubte. Da der Kerl einen pöbelhaften Lärm im Hause anstimmte, den Director vor seinen Schülern beschimpfte und mit Gewalt drohte, so bekam ich den Wink, ihn zur Thür hinauszuschaffen. Dies ging nun durchaus nicht friedlich ab; er schlug nach mir, und es blieb mir nichts Anderes übrig, als ihn wie ein Wickelkind zwischen steif ausgestreckten Armen in die Höhe zu heben und jenseit der Grenzen des Grundstücks wieder niederzusetzen. Da ihm dabei die Rippen im Leibe ein klein wenig geknackt haben mochten, warf er nunmehr mit Steinen nach mir und den Fensterscheiben des Hauses, und ich konnte weiteres Unheil nur dadurch verhüten, daß ich ihn packte, unter die benachbarte Pumpe trug und dort solange einwässerte, bis er sich auf’s Bitten legte und mir Urfehde schwor. Ob er mir freilich späterhin für meine praktische Unterweisung in der Reinlichkeit und Sanftmuth Dank gewußt hat, daran erlaube ich mir zu zweifeln.

Ein anderes Mal mußte ich einem der größeren Schulknaben einen ähnlichen Dienst erweisen. Diese hatten alle den größten Respect vor mir, weil sie den Vorfall mit dem Sohne der grünen

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verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 471. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_471.jpg&oldid=- (Version vom 29.1.2017)
  1. WS: Jak. 1,19