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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

die seit acht Tagen in die Tiefe gestürzte Masse? Ist die furchtbare Höhle nicht bald groß genug, um, besonders wenn die Tausende von Centnern des Eisenschachts auf sie drücken, Haus und Menschen zu verschlingen? Gott bewahre die braven Männer vor Unglück!

Mag der neue kühne Schacht, wie man hofft, in fünf bis sechs Tagen zum Ziele führen, oder mag das Grab sich geschlossen zeigen, – sicher ist nur Eines: die Ernährer von vierundvierzig Familien sind todt – aber ihre Frauen und Kinder leben und für sie recht mit dem innigsten Mitgefühl des Herzens zu sorgen, ist unser Aller heilige Pflicht! –

Aber auch Das ist nun allgemeine Pflicht, auf die Frage: „Wer trägt die Schuld eines solchen Unglücks?“ mit der Aufzählung von Thatsachen ohne Schonung irgend einer Person zu antworten. Richtet man diese Frage an den Ersten Besten der dort uns Begegnenden, so verfinstert sich sein Blick. „Sehen Sie sich das Ding von außen an, so wissen Sie, wie’s drinnen ausgesehen hat“ – war die Antwort einer Frau auf meine Frage. Ich hatte das verwahrloste Aeußere der Schachtgebäude den anfangs ohne Zweifel sehr stürmischen Rettungsarbeiten zugeschoben; jetzt erfuhr ich, der Volksmund habe die Neufundgrube schon längst als den „liederlichen Schacht“ bezeichnet. Und dennoch haben sich die Bergleute nicht geweigert, noch einen Schritt in diesen Schacht zu thun?

Auf diese Frage antwortete mir ein Bergmann, mit dem ich in der Mittagsstunde unter einem Breterdach vor einem Regenschauer Schutz fand. „Lieber Herr, so fragen Alle, die das Unglück ansehen, aber womit sollen wir unsere Kinder satt machen, wenn wir nichts verdienen? Weigert sich ein Bergmann, einen Schacht zu befahren, so kommt er leicht in den Ruf der Widerspenstigkeit und findet auch in anderen Schachten keine Arbeit. Alle, die jetzt da drunten liegen, hat nur die liebe Noth hinuntergezwungen.“

„Und wie hoch steht sich ein fleißiger Arbeiter?“ fragte ich.

„Wenn er Glück hat, so kann er die Woche fünf Thaler und vielleicht noch ein wenig drüber verdienen, oft werden’s aber auch kaum vier. Wer fünf, sechs Kinder daheim hat, kann Zeiten erleben, wo er kein Stückchen Butter auf’s Brod bringt.“

„War der Schacht wirklich baufällig?“ fragte ich weiter.

„Ja! Das wußte Jedermann. Warum man die Reparatur immer verschoben hat, weiß ich nicht, das nur ist allbekannt, daß ein braver Obersteiger vom Dienst kam, weil er auf die Ausbesserung des Schachtes drang; er liegt, weil er noch vor seinem Abgang im Schacht durch einen Gesteinssturz ‚geschmissen‘ wurde, jetzt krank daheim, aber der sein Nachfolger geworden wäre, liegt todt im Schacht, Gott habe auch ihn selig!“

„Sie meinen den Krüger? Fällt diesem wirklich ein großer Theil der Schuld zur Last?“

„Lieber Herr, wir wollen nicht richten, denn Gott hat gerichtet. Wenn vielleicht nicht die Einrichtung wäre, daß der Steiger von jedem Hund Kohlen zwei und der Director fünf Pfennige erhält, so wäre ihnen eine Arbeitsunterbrechung durch die Reparatur wohl gleichgültiger gewesen. Krüger muß aber wirklich den Schacht nicht für so baufällig gehalten haben, sonst läge er jetzt nicht selber in ihm begraben.“

So spricht der Volksmund. Ueber die nächste Ursache der Katastrophe wurde von competenter Seite mir mitgetheilt, daß Form und Lage der obersten Bruchhöhle, wie man aus den Anschauungen derer schließen müsse, welche an Ort und Stelle fuhren, zu der Vermuthung leite, daß eine Kluft (Spalt) eine mächtige Masse Gesteins gelöst und nun dessen ganzes ungeheures Gewicht gegen die Wandungen der Schachtzimmerung gedrückt habe. Solche Klüfte, in welchen gewöhnlich Wasseradern rinnen, könnten durch den vergangenen sehr nassen Winter außergewöhnlich reiche Wasserzuflüsse erhalten haben und von denselben so ausgewaschen worden sein, daß die Loslösung von der übrigen compacten Felsmasse erfolgte und der Druck gegen die Schachtwände begann, die selbst im gesundesten Zustand ihm dann hätten weichen müssen. Doch ist auch die Möglichkeit nicht ausgeschlossen, daß zwischen der siebenten und zehnten Bühne das Wasser des Gebirgs nicht gehörig dem Kunstgezeuge zugeführt wurde, sondern hinter der Zimmerung abfloß, so daß diese dann auf der Innenseite verfaulte, während sie von außen noch ganz gesund ausgesehen haben kann. Darüber bringt vielleicht die gerichtliche Untersuchung Licht.

Die Presse greift dem Amte des Richters nicht vor, wenn sie dem Publicum das Thatsächliche einfach, wie man es an Ort und Stelle überkommt, mittheilt, anstatt dem Gerücht die Verbreitung allein zu überlassen. Die Strafe ist des Richters Recht; des Volks und seiner Vertreter Sache wird es aber sein, für beruhigenderen gesetzlichen Schutz desjenigen Arbeiters zu sorgen, welcher von allen Erdenloosen das undankbarste gezogen hat.

Das sei eine Arbeit der nächsten Zukunft: der Augenblick aber erfordert Hülfe, Hülfe für vierundvierzig Wittwen und einhundertsiebenunddreißig Waisen! Möge keine glückliche Mutter ihr Kind küssen, kein Weib des Gatten Gruß, keinen Vater des Sohnes Anblick erfreuen, ohne daß sie an den Jammer von Lugau gedenken! Opferstöcke stehen überall, wo der Dank gegen Gott sie sucht.

Fr. Hofmann.




Blätter und Blüthen.


Ein Vorschlag in Güte. Der bekannte amerikanische Dichter Longfellow lebte vor einigen Jahren zu Newport in tiefster Zurückgezogenheit, mit der Abfassung eines neuen poetischen Werkes beschäftigt, das seiner „Evangeline“ in keiner Weise nachstehen sollte. Eines Tages begehrte ein Fremder ziemlich ungestüm, den Dichter zu sprechen, wurde jedoch von dem Dienstmädchen rund abgewiesen. Er wollte sich dies durchaus nicht gefallen lassen, und die Dienerin ging, weil der Unbekannte hartnäckig darauf, bestand, ihren Herrn selbst noch einmal zu fragen, ob er den Mann empfangen wolle, allein der Dichter wünschte durchaus ungestört zu bleiben. Als der Besucher diesen Bescheid erhielt, schob er das Mädchen ohne Weiteres bei Seite und drang in das Studirzimmer des überraschten Dichters ein, der den Eindringling mit finsterer Miene empfing.

„Mr. Longfellow,“ sagte der Letztere, „Sie müssen meine Dreistigkeit entschuldigen, allein mich führt ein Geschäft hierher, welches bei Weitem wichtiger für Sie als für mich ist, und ich komme deswegen extra von Boston aus hierher. Dort existirt nämlich eine große Stiefelwichsfabrik, die Ihnen wohl bekannt sein wird, Sie wissen ja – Warren und Compagnie. Diese Leute halten sich einen Dichter, der ihnen gereimte Annoncen und Etiketten für ihre Wichse verfertigt, und sie machen durch diese Verse sehr gute Geschäfte. Nun müssen Sie wissen, daß ich ebenfalls ein Wichsfabrikant bin, und so dachte ich, wenn wir in Compagnie arbeiteten – Sie lieferten die Reime und ich die Wichse – so könnten wir ein famoses Geschäft machen, noch viel besser als Warren und Compagnie. Sie würden dabei nicht schlecht fahren, sage ich Ihnen – was meinen Sie dazu?“

„Werft ihn hinaus! Werft ihn hinaus!“ rief Longfellow im höchsten Zorn, und so verließ der indiscrete Wichsfabrikant das Zimmer mit noch größerer Eile, als er es betreten hatte, indem er dabei viel von „unpraktischen Menschen, die ihren Vortheil nicht einsehen“, vor sich hin murmelte.




Freiligrath-Dotation.


Bei der Redaction der Gartenlaube gingen ein: O. B. in Cassel 5 Thlr.; einige Bürger beim Gastwirth Foltz in Anneweiler 10 fl. Rh.; einige Schüler des Gymnasiums in Riga (80 Rubel) 72 Thlr. 3 Ngr.; S. in Coburg 1 Thlr.; aus Germersheim am Rhein 2 Thlr.; Liederhalle in Crimmitzschau 10 Thlr.; einige Deutsche in Rouen, durch Wanckel 8 Thlr. und 1 fl. Oestr.; von 5 westfälischen Lehrern nach Lesung des Herbst’schen Artikels gegen Freiligrath 10 Thlr.; Feuer-, Rettungs- und Turnverein in Gleiwitz 3 Thlr. 15 Ngr.; Sammlung durch Dr. Seitz in Jever 6 Thlr. 12 ½ Ngr.; Wagner in Serpuchow (Rußland) 10 Thlr.; A. Z. in Frankfurt a. O. 1 Thlr.; von Freunden des Dichters 1 Thlr. 22¼ Ngr.; C. B. in Weißenfels 2 Thlr.; Bruns in Celle 1 Thlr. 23 Ngr.; Sammlung des Hannover’schen Couriers in Hannover 23 Thlr. 15 Ngr.; Nolan und Faust 1 Thlr. 15 Ngr.; Dr. Br. und Fräulein Br. 3 Thlr.; Sammlung des Wochenblattes in Zwickau 37 Thlr. 10 Ngr.; gesammelt von Mitgliedern des deutschen Vereins Eintracht in Pest-Ofen (129 fl.) 69 Thlr. 8 Ngr.; Hälfte-Ertrag einer Vorlesung von Consistorial-Rath Krause in Weimar über „Frauenadel in Rost’s Ludwig der Eiserne“ 52 Thlr. für die Freiligrath-Dotation, „insbesondere für Frau Freiligrath, unsrer Landsmännin“; 8 Thlr. für 6 Exemplare vom Freiligrath’s Glaubensbekenntniß. – Quittung des Barmer Comités in nächster Nummer.

Die Redaction.




Inhalt: Das Geheimniß der alten Mamsell. Novelle von E. Marlitt. (Fortsetzung.) – Charaktere aus der Thierwelt. 1. Der junge Hund. Von Gebrüder Adolph und Karl Müller. Mit Illustration. – Eine Stunde auf der Berliner Börse – Kaukasische Civilisation. Mit Abbildung. – Tief unter der Erde! Brief aus Lugau. Von Fr. Hofmann. – Blätter und Blüthen: Ein Vorschlag in Güte. – Freiligrath-Dotation.



Verantwortlicher Redacteur Ernst Keil in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 464. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_464.jpg&oldid=- (Version vom 7.2.2017)