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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

No. 29.

1867.
Die Gartenlaube.
Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.


Wöchentlich 1 1/2 bis 2 Bogen.     Vierteljährlich 15 Ngr.     Monatshefte à 5 Ngr.


Das Geheimniß der alten Mamsell.
Von E. Marlitt.
(Fortsetzung.)


Eine Viertelstunde später rollte Felicitas den Kinderwagen inmitten des Hofes langsam und vorsichtig auf und ab. Die fieberrothen Flecken auf den Wangen des jungen Mädchens erblichen allmählich unter dem erfrischenden Hauch der Luft, aber den Ausdruck finsteren Brütens auf der blassen Stirn vermochte er nicht wegzuwischen. … Es währte nicht lange, so kam Frau Hellwig in Begleitung der Regierungsräthin zurück; zu gleicher Zeit stieg der Professor die Treppe herab; er war im Begriff auszugehen, denn er hielt Hut und Stock in der Hand. Alle Drei traten in den Hof. Die Regierungsräthin trug ein großes Paquet, und nachdem sie ihr Kind begrüßt und geliebkost hatte, schob sie die Papierumhüllung des Paquets ein wenig zurück und lächelte in reizend schalkhafter Weise nach ihrem Cousin hinüber.

„Sieh ‘mal her, Johannes, bin ich nicht eine recht leichtsinnige Frau?“ scherzte sie. „So sehr mein Herz gegen weiblichen Putz gestählt ist, so wenig widersteht es den Verlockungen einer Leinenhandlung. Da sah ich in einer Auslage dies wundervolle Tischzeug – glaubst Du, ich hätte vorübergehen können? Nicht möglich! Ehe ich mich dessen versah, hatte ich das Tischzeug im Arm und dies Schock superfeine Leinwand dazu. … Nun adieu, Winterstaat! Wenn ich gewissenhaft sein will, so muß ich diese Lücke in meinem Etat durch Weglassung verschiedener Wintertoiletten wieder ausfüllen – sei’s drum – eine echte, deutsche Hausfrau kann nun einmal ihren Leinenschrank nicht voll genug haben!“

Der Professor antwortete nicht. Er sah über die Sprechende hinweg nach der Hofthür. Dort trat eben die Bürgersfrau heraus, die Felicitas neulich im Studirzimmer des zweiten Stockes gesehen hatte. Sie schien unter ihrem großen, verhüllenden Mantel sehr bepackt zu sein und schritt in fast ehrfurchtsvoller Haltung auf den Professor zu.

„Herr Professor, mein Wilhelm sieht wieder – er sieht so gut wie ich und alle gesunden Menschen,“ sagte sie; ihre Stimme bebte und ein Thränenstrom stürzte aus ihren Augen. „Wer hätte das gedacht! Ach, was war das für ein unglücklicher Mensch und wir Alle mit! … Nun kann er wieder sein Brod verdienen, und ich darf mich einmal ruhig hinlegen, denn ich hinterlasse kein blindes, hülfloses Kind. … Ach, Herr Professor, alle Schätze der Welt wären mir nicht zu viel für Sie! Aber wir sind ja so grundarme Leute – es ist ja gar nicht daran zu denken, daß wir Ihnen das je vergelten können, was Sie an uns gethan haben. … Seien Sie nicht böse, Herr Professor, ich meinte, wenigstens eine geringe Kleinigkeit –“

„Nun, was soll’s werden!“ unterbrach sie der Professor barsch und trat einen Schritt zurück.

Die Frau hatte während ihrer letzten Worte den Mantel zurückgeschlagen; ein großer Vogelbauer und eine Rolle Leinwand kamen zum Vorschein.

„Sie haben die Nachtigall da so gern gehört, wenn Sie bei uns waren,“ hob sie wieder an; „wenn Sie das Thierchen in einen kleinen Bauer thun, da können Sie’s getrost mit nach Bonn nehmen. … Und das Stück Leinwand – es ist nicht fein, aber fest, ich hab’s selbst gesponnen – wenn es Madame Hellwig zu Leintüchern brauchen wollte –“

„Sind Sie denn nicht recht gescheidt, Frau, daß Sie Ihrem Mann den Vogel da wegnehmen?“ fuhr sie der Professor grimmig an – man sah seine Augen fast nicht, so finster runzelten sich die überhängenden Brauen. – „Ich kann Vögel gar nicht leiden – absolut nicht leiden – und meinen Sie denn, Sie seien berufen, für unsere Leibwäsche zu sorgen? … Packen Sie auf der Stelle Ihre Sachen zusammen und gehen Sie nach Hause!“

Die Frau stand bestürzt und wortlos vor ihm.

„Das hätten Sie sich und mir ersparen können, Frau Walther!“ sagte er milder. „Ich habe Ihnen wiederholt erklärt, daß Sie mir damit nicht kommen sollen. … Nun, da gehen Sie jetzt und grüßen Sie mir Ihren Wilhelm, morgen werde ich noch einmal nach ihm sehen.“

Er reichte ihr die Hand und schlug den Mantel über die Gegenstände der verunglückten Expedition. Die Abgewiesene knixte mit niedergeschlagenen Augen und entfernte sich. … Frau Hellwig und die Regierungsräthin waren stumme Zeugen gewesen; das Gesicht der Ersteren drückte jedoch entschiedene Mißbilligung aus, und einmal hatte es sogar geschienen, als wolle sie sich selbst in den Handel mischen.

„Nun, das verstehe ich aber nicht recht, Johannes,“ sagte sie in zurechtweisendem Ton, nachdem die Frau das Haus verlassen. „Wenn ich bedenke, was Dein Studium gekostet hat, so sollte ich meinen, hättest Du gar keine Ursache irgend eine Entschädigung zurückzuweisen. … Die Idee mit dem Vogel war freilich dumm – das Gezwitscher könnte mir fehlen in meinem stillen Hause – aber die Leinwand hätte die Frau hier lassen müssen, wenn es auf mich angekommen wäre – Leinen wirft man nicht so mir nichts, dir nichts zum Fenster hinaus!“

„Ach Tantchen, da wäre ich wohl sehr schlecht bei Dir angekommen mit meinen barmherzigen Gedanken, die vorhin in mir

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verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 449. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_449.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)