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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

haben könnte? In Wahrheit, wir haben Mühe, zu glauben, daß diese Selbstportraitirung von einer modernen Frau, noch dazu von einer anerkannt tugendhaften und sittenstrengen Frau herrühre. Es ist da eine Objectivität der Koketterie, welche ganz antik, ein künstlerisches Gefühl und Behagen, welches ganz griechisch. Arme Manon! Das eben war dein Unglück und dein Verderben, daß du in den Säulenhallen der Agora und unter den Platanen der Akademie traumwandeltest, daß du eine Athenerin der perikleischen Zeit sein wolltest, zu sein glaubtest, während du unter den Franzosen, unter den Parisern vom letzten Decennium des achtzehnten Jahrhunderts lebtest. Niemand wandelt ungestraft unter Palmen, d. h. in der Aetherregion der Ideale. Die gemeine Wirklichkeit des Lebens greift mit plumper Faust hinauf, reißt die armen Ideologen, die da hungern nach Wahrheit und Gerechtigkeit, die da dürsten nach Freiheit und Schönheit, unerbittlich herab und schmettert sie erbarmungslos zu Boden. Geschöpf von Staub, Eintagsfliege von Mensch, wie dürftest du es wagen, dich zur Sonne erheben zu wollen? Tiefsinnigeres ward nie ersonnen als der Mythus von dem Höllensturz der himmelstürmenden Titanen…

Beugnot gesteht, er habe gegen Frau Roland ein abgünstiges Vorurtheil gehegt, bevor er sie in der Conciergerie kennen lernte. Die Gefangenen durften nämlich während ihrer täglichen Spaziergänge in dem Hofraum ganz unbelästigt mit einander verkehren, und bei schlechtem Wetter vertrat der große Corridor die Stelle des Hofraums. Die Frauen und Mädchen hielten auch innerhalb der Gefängnißmauern die Herrschaft des guten Tons und der Mode aufrecht, soweit nur immer ihre Mittel reichten. Sie erschienen Morgens im frischesten Negligé, Mittags im Gesellschaftsanzug, Abends im reizenden Deshabillé. Die Herren putzten sich ebenfalls nach Möglichkeit heraus und machten den Damen nach allen Regeln der Courtoisie den Hof. Der Corridor und der Hofraum des düsteren Gefängnisses summten tagtäglich von echt französischer Causerie und Galanterie; man sah da Büschel von Witzraketen steigen und hörte ganze Feuerwerke von Pariser Esprit zischen und prasseln. Beugnot sagt ausdrücklich: „Ich bin überzeugt, daß zu dieser Zeit keine Promenade von Paris eine solche Vereinigung von elegant gekleideten Frauen aufzuweisen hatte, wie der Hof der Conciergerie sie zur Mittagszeit aufwies. Er glich einem blühenden Blumenbeet, aber einem Blumenbeet mit eisernem Staket.“

Unser Gewährsmann kam von seiner Voreingenommenheit gegen Frau Roland bald zurück. Ihre Haltung war ebenso edel wie anmuthig, ihre Sprache von außerordentlicher Reinheit, Grazie und Eleganz, ihre Ausdrucksweise entsprach vollständig der Hoheit ihrer Gedanken. Der Begeisterung für das Ideal, dem republikanischen Glaubensbekenntniß blieb sie treu ohne Wanken und Schwanken. Weich wurde sie nur, wenn sie von ihrem Mann und von ihrer Tochter sprach; dann füllten Thränen ihre schönen Augen. Die Macht über Menschen, welche dieser außerordentlichen Frau eigen, verblieb ihr noch in der Tiefe des Kerkers. Die von ihr bewohnte Zelle war ein Eden des Friedens inmitten dieser Gefängnißhölle. Selbst dem Auswurf des weiblichen Geschlechts, von welchem Auswurf ebenfalls hinlänglich viele Exemplare in der Conciergerie vorhanden waren, sogar Straßendirnen und Taschendiebinnen zwang Manon Roland Hochachtung ab, und zwar durch ihre bloße Erscheinung, durch ein tröstendes Wort oder einen strafenden Blick. Wenn sie im Hofraum erschien, sahen diese Elenden zu ihr empor wie zu einer Schutzgottheit, während sie dagegen die gleichzeitig in der Conciergerie der Guillotine entgegenharrende Dubarry, Ludwig’s des Fünfzehnten letzte Haupt- und Staatsmaitresse, völlig und sehr grobschlächtig als Ihresgleichen behandelten, obgleich das Schandweib die vornehmste Miene aufsetzte.

Beugnot sah die Pythonissa der Gironde auch an dem Tage, als sie vor dem Revolutionstribunal erscheinen sollte. Sie stand an dem Gitter, welches den Corridor abschloß, wartend, bis der Greffier ihren Namen rief. Mit Sorgfalt gekleidet, trug sie ein weißes Musselinkleid, das mit Spitzen besetzt und durch einen Gürtel von schwarzem Sammet zusammengehalten war; dazu einen Hut von einfacher Eleganz, unter welchem hervor ihre schönen Haare auf die Schultern herabfielen. Ihr Gesicht zeigte eine reizende Belebtheit und ein Lächeln war auf ihren Lippen. Mit der einen Hand hielt sie die Schleppe ihres Kleides, die andere überließ sie einer Schaar von Frauen, welche sich herbeidrängten, dieselbe zu drücken und zu küssen. Viele schluchzten laut. Manon selber behielt ihre Fassung und sprach zu ihren Schicksalsgefährtinnen voll Güte und Milde, sie zum Frieden, zur Geduld, zur Hoffnung, zu allen den Tugenden ermahnend, deren Uebung dem Mißgeschicke ziemt. Beugnot näherte sich ihr, um einen Gruß zu bestellen, welchen ihm sein Mitzelleninsasse Clavières, der zugleich mit Roland Minister gewesen war, an sie aufgetragen hatte. Sie hatte keine Zeit mehr zur Antwort. Ihr Name wurde gerufen, und weinend öffnete ihr der alte Schließer Fontenay das Gitter. Im Hinaustreten gab sie Beugnot flüchtig die Hand und sagte: „Adieu, mein Herr. Wir haben uns oft gezankt; es ist Zeit, daß wir Frieden machen.“ Als sie aber sah, daß er nur mit Mühe seine Thränen verhielt, hob sie ihre Augen empor, sprach nur noch nachdrucksam das Wort „Muth!“ und verschwand. Kurz zuvor hatte sie eines Tages zu Beugnot gesagt: „Die Gleichgültigkeit und Kälte, womit die Franzosen den Terrorismus sich gefallen lassen, setzt mich in Erstaunen. Wäre ich frei und man schleppte meinen Mann zum Blutgerüst, ich würde mich am Fuße desselben erdolchen und bin überzeugt, daß Roland, wenn er meinen Tod erfährt, sich das Herz durchbohren wird.“ Das war die Rede einer Prophetin. Roland hatte nach der Aechtung der Girondisten in der Nähe von Rouen eine sichere Zufluchtsstätte gefunden. Kaum aber hatte er den Tod seiner Frau erfahren, als er, ohne ein Wort zu sagen, sein Asyl verließ und die Nacht hindurch ziellos fortwanderte. Bei Tagesanbruch zog er sein Stilet, stemmte den Griff desselben gegen den Stamm eines Apfelbaums am Wege und durchbohrte sich das Herz. Er wollte, wie ein Zettel, den er bei sich trug, besagte, „nachdem er vernommen, daß und wie seine Frau gestorben, keine Stunde länger auf dieser mit Verbrechen besudelten Erde weilen.“ Wer wird bei solchem Todesernst der Empfindung und Leidenschaft, welcher die Revolutionstragödie durchzieht, fürder noch die Schamlosigkeit haben, hofhistoriographisch von dem „hohlen Pathos“ dieses Trauerspiels zu faseln?

Clavières ist seinem Collegen, Parteigenossen und Freund Roland bald nachgestorben; nicht auf dem Schaffot, sondern ebenfalls durch eigene Hand. Er sollte vor dem Tribunal erscheinen und seine Anklageacte war ihm zugestellt worden. Das Lügensammelsurium derselben empörte ihn dermaßen, daß ein unwiderstehlicher Welt- und Menschenekel ihn erfaßte. Mitten in der Nacht wurde Beugnot durch den Ausruf Lamourette’s aufgeweckt: „Clavières, Unglücklicher, was haben Sie gethan?“ und vernahm zweierlei schreckliches Geräusch: das Röcheln eines Sterbenden und das Getropfe seines Blutes auf dem Boden. Alle Bewohner der Zelle fuhren von ihrem Lager empor; sie vermochten indeß keine Hülfe zu schaffen. Nach einer halben Stunde war Clavières todt, aber das Blut aus seiner Todeswunde tropfte noch immer auf den Boden.

Nur von einem seiner Mitgefangenen weiß Beugnot zu melden, daß er muthlos, ja geradezu feige gewesen. Es war der Duc du Châtelet. Als dieser Grandseigneur eines Tages auf dem Hofe laut jammerte, weinte und winselte, mußte er von einer Gefangenen, von der Demoiselle Eglé – die Demoisellerie war freilich etwas brüchig – die Abkanzelung hinnehmen: „Pfui doch! Was, Sie flennen? Erfahren Sie denn, Herr Herzog, daß Solche, welche keinen Namen haben, hier einen erwerben können, und Solche, welche einen haben, denselben mit Ehren tragen müssen.“

Ganz anders als der Herr Herzog benahm sich der Conventsdeputirte Cussy. Er war, mit den Girondisten geächnet, verhaftet und in die Conciergerie gebracht worden. Um ihn auf’s Schaffot zu schicken, bedurfte es für ihn, als einen Geächteten, nicht erst noch einer gerichtlichen Procedur. Da er aber überzeugt war, nur ganz zufällig auf die Liste der Vogelfreien gesetzt worden zu sein, so machte er das in einer Eingabe an den Convent bemerklich und ersuchte die Versammlung, die Zurücknahme des Aechtungsdecrets zu vermitteln. Der Convent verwarf das Gesuch wider alles Erwarten. Am folgenden Tage wurde der Moniteur zur gewohnten Stunde in das Gefängniß gebracht und das für Beugnot’s Zelle bestimmte Exemplar fiel Cussy in die Hände, der ebenfalls dort saß. Er las seinen Mitgefangenen den Bericht über die gestrige Conventssitzung vor, worin auch der Verwerfung seines Gesuches erwähnt war. Das war für den Unglücklichen ein Beilschlag. Aber ohne zu stocken, ohne die Stimme zu ändern, las er das ganze Referat zu Ende.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 439. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_439.jpg&oldid=- (Version vom 29.1.2017)