Seite:Die Gartenlaube (1867) 438.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

hat sich in Hietzing und dessen Umkreisen schon ziemlich populär gemacht, denn bei jedem Unglücksfall ist Ernst August von Hannover mit Rath und That einer der Ersten auf dem Platze. Prinzessin Friederike beschäftigt sich eifrigst mit dem Studium der Geschichte, und der vielgenannte Archivrath Onno Klopp ist der glückliche Lehrer, dem die liebenswürdige Schülerin anvertraut wurde.

Ein besonders festlicher Tag in der Villa Braunschweig war der 27. Mai. Rauschender und prunkvoller mag das Wiegenfest eines glücklichen Fürsten gefeiert werden, aber herzlicher und rührender wahrlich nicht, als das Wiegenfest dieser heimathlosen Majestät. Doch nein, keine Majestät, ein Familienvater war es, der, umringt von seinen treuen Gefährten und Dienern, an den Herzen seiner innigstgeliebten Kinder lag, – es war der Verbannte, der innig umschlang, was ihm geblieben, und mit Thränen der Wehmuth seiner beiden Marien im fernen Heimathlande gedachte.

Bitter wie Wermuthstropfen mochten diese Thränen sein! Aber da draußen auf dem Blumenflor erklangen, wie versöhnend, vaterländische Weisen des Wiener Männergesangvereins, einen hannover’schen Sängerbund vertretend, der zur Feier des Tages des Königs eigene Compositionen eingesandt. Und als der Verbannte seine Lieder „Frühlingsgruß“ und „Treue Liebe“ hörte, – wer kann es ihm verargen, wenn sie ihm wie ein Echo aus der fernen Heimath klangen?

Am Arme seines schönen Töchterleins dankte er sichtbar gerührt, in schlichten, herzlichen Worten den Nahen und Entfernten für das zarte und sinnige Angebinde. Schon am Vorabende hatten in den feenhaft geschmückten Gewächshäusern der Villa Braunschweig der akademische und der Hietzinger Gesangs-Verein dem Könige ihre Ständchen dargebracht. Alle Mitglieder des Kaiserhauses und sämmtliche Würdenträger, alle hier weilenden Hannoveraner und unzählige Telegramme beglückwünschten den heimathlosen Fürsten.

So ist Georg der Fünfte oder so giebt er sich uns. Seine Umgebung bilden die Gräfin Wedell, Staatsdame der Prinzessin Friederike; Graf von Platen-Hallermund, ehemaliger Staatsminister; Graf Alfred Wedell, Sohn der Staatsdame, Schloßhauptmann und Vorstand der Hofämter; von dem Bussche, Vice-Oberstallmeister, und der geheime Cabinetsrath Dr. Lex.

Das sind die Männer des Rathes und der That, die, wie manche Stimmen behaupten, für König Georg den Fünften und seine Gefährten den neuen politischen Brückenbau von Hietzing nach Hannover leiten sollen.




Gefängnißleben zur Schreckenszeit.
Von Johannes Scherr.
(Schluß.)


Aus der Infirmerie erlöst, kam Beugnot in die „kleine Apotheke“, welche Zelle der Bischof Lamourette und sieben Conventsdeputirte von der Girondistenpartei mit ihm bewohnten und deren Wände über und über mit den Inschriften „Freiheit“, „Gleichheit“ und „Menschenrechte“ bedeckt waren. Einer der sieben Girondisten war Fauchet, Bischof von Calvados. Zu Ende Octobers wurden sie mit ihren Parteigenossen processirt und guillotinirt. Die Hinrichtung der „Einundzwanzig“ war eine rechte Festhekatombe, dargebracht dem Moloch Schrecken. Als die Verurtheilten vom Tribunal nach der Conciergerie zurückgebracht wurden, brachen sie unter der Wölbung der Gefängnißpforte mit einmal und wie aus einem Munde in das „Allons, enfants de la patrie!“ aus. Sie haben, wie bekannt, den weltgeschichtlichen Sang am folgenden Tage, am 31. October von 1793, auch am Fuße des Blutgerüstes und auf demselben angestimmt und so lange fortgeführt, bis das Fallbeil mit dem Lebensfaden des Letzten von ihnen auch das Lied abschnitt. Das ist Geschichte, aber Nodier’s „Letztes Bankett der Girondisten“ ist nur eine Novelle, obzwar eine sehr gute. Am 6. November ist Orleans-Egalité von der Conciergerie zum Revolutionsplatz gekarrt worden. Er blieb ganz gleichgültig, vor dem Tribunal, auf dem Karren und auf dem Schaffot. Als ihm, bevor er an das schreckliche Bret geschnallt wurde, die Henkersknechte die Stiefeln abziehen wollten, sagte er: „Das wäre reiner Zeitverlust. Ihr könnt mir sie bequemer abziehen, wann ich todt bin. Macht schnell voran!“

Vier Tage nach der Todesfahrt von Louis Philipp’s Vater machte Madame Roland die ihrige. Ob sie, die Treppe zum Blutgerüst hinansteigend, den Ausruf gethan: „O heilige Freiheit, welche Verbrechen begeht man in deinem Namen!“ ist fraglich; aber daß sie zu ihrem Todesgefährten Lamarche sagte: „Steigen Sie zuerst hinauf, weil Sie ja doch nicht den Muth hätten, mich sterben zu sehen“ – ist gewiß.

Manon Philipon, die Frau des girondistischen Exministers Roland, die „Aspasia der Girondisten“, die Prophetin und das Entzücken dieser armen Wolkenwandler von Schönfühlern und Schönrednern, war zuerst in der Abtei, dann in Sainte-Pelagie eingekerkert gewesen. Ihre Versetzung in die Conciergerie war für die Insassen derselben ein großes Ereigniß, welches Beugnot lebhaft beschrieben hat. In den beiden erstgenannten Gefängnissen hat sie ihre berühmten Memoiren niedergeschrieben, welche mit der Uebersiedelung in das letztgenannte abbrechen. An einer Stelle dieser Denkwürdigkeiten, welche nur mit großer Vorsicht als eine geschichtliche Quelle zu benützen sind, hat Citoyenne Roland ihr Portrait gezeichnet und gemalt, und diese kühne Selbstportraitirung giebt nicht nur ein Bild von ihrer Gestalt und ihren Zügen, sondern auch von ihrer Fühl- und Denkweise. Ihr ganzer Charakter prägt sich plastisch darin aus und dies Conterfei ist geradezu eine historisch-psychologische Merkwürdigkeit. Sehen wir sie uns einmal an. „Als ich ausgewachsen, war ich ungefähr fünf Fuß hoch. Meine Beine waren wohlgeformt, die Füße hübsch gebaut, die Hüften sehr gewölbt, die Schultern zurückgezogen, die Brust war breit und hochbusig, meine Haltung sicher und anmuthig, der Gang leicht und rasch. Mein Gesicht hatte nichts Besonderes als etwa eine große Frische und einen sanften Ausdruck. Prüft man jeden Zug einzeln, so darf man billig fragen: Wo ist denn da die Schönheit? Denn kein einziger ist regelrecht, aber mitsammen bilden sie ein gefälliges Ganzes. Der Mund ist ein wenig groß und es giebt tausend schönere; allein keiner weiß zärtlicher und verführerischer zu lächeln. Das Auge dagegen ist nicht sehr groß und seine Iris kastanienbraun. Es liegt weder zu tief, noch steht es zu sehr hervor; es blickt offen, frei, lebhaft und sanft, überwölbt durch schön gezeichnete Brauen von derselben Farbe wie die Haare, und es wechselt in seinem Ausdrucke wie die liebevolle Seele, deren Regungen es verkündet. Ernst und stolz, hat es zuweilen etwas Furchtbares, weit öfter aber ist es liebkosend und immer anziehend. Die Nase verursachte mir einigen Verdruß, weil ich fand, sie sei vorn ein Bischen zu dick; als Theil des Ganzen jedoch und von der Seite betrachtet, verdarb sie nichts. Die Stirn war breit, glatt, offen, von hochgewölbten Augenhöhlen getragen und keineswegs so nichtssagend, wie so manche Gesichter sie zeigen. Mein Kinn steht ziemlich weit vor und hat entschieden die Merkmale, welche die Physiognomiker als die der Sinnlichkeit bezeichnen; wenn ich diese Merkmale mit meinen übrigen Eigenthümlichkeiten zusammenstelle, bezweifle ich, daß jemals eine Frau mehr als ich für Sinnenlust geschaffen war, obzwar ich dieselbe weniger genossen habe als irgendeine. Ein mehr belebter als sehr weißer Teint, glänzende Färbung, häufig erhöht durch die plötzlich kommende Röthe eines kochenden, durch äußerst reizbare Nerven erregten Blutes; eine zarte Haut, ein runder Arm, eine wenn auch nicht kleine, doch niedliche Hand, weil ihre langen und schmächtigen Finger auf Gewandtheit deuten, ohne aufzuhören, anmuthig zu sein; schön gereihte und gut erhaltene Zähne; endlich eine Körperfülle, die auf vollkommene Gesundheit hinweist: – das sind die Schätze, welche die Natur mir geschenkt hat.“

Glaubt man nicht ein Portrait zu sehen, welches eine Sappho oder eine Aspasia von sich gezeichnet und gemalt hat oder wenigstens

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 438. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_438.jpg&oldid=- (Version vom 29.1.2017)