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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

Ich bin hier immer gefaßt, mit den seltsamsten Menschen zu verkehren, man geht eben jetzt mit Hinterwäldlern, Antipoden, Indianerhäuptlingen und anderen wildfremden Menschen hier um; man steht mit Siamesen auf, ißt mit Menschenfressern an der Table d’hote im Hotel und legt sich mit einem der Vettern des Taikun schlafen. So bringt man hier international den Tag durch. Aber nur mit jenem Gefühl des Gefaßtseins, das ich hier überall, wo ich hingehe, mitnehme, erspart man sich in dieser Zeit seltensten Menschenumgangs jedwede Seelenbeklemmung. Ich bin gefaßt selbst darauf, daß mich nächstens im Omnibus ein Häuptling irgend einer oceanischen Insel auf einer Fahrt in den Expositionspalast fragt, wann ich morgen zu Hause sei und ob er sich die Freiheit nehmen dürfe, mich verspeisen zu dürfen. In dieser Fassung besteige ich auch den Wagen, der mich nebst fünf anderen Herren auf’s Marsfeld bringen soll. Ein Blick genügt und ich ersehe, daß ich die ersehnte Häuptlingsbekanntschaft für heute noch nicht machen kann. Einer von den fünf Herren ißt, wie ich sehe, lieber Chocolade von Menier als Menschen, wofür ich ihm sehr dankbar bin, die andern vier essen gegenwärtig gar nicht. Der Chocoladenesser ist der richtige Expositionsreisende, wie er im Buche steht oder einst stehen wird. Er hat alle Taschen voll von Annoncen, die ihm Leute auf der Straße zugesteckt und die er bereitwilligst alle in Empfang genommen, darunter: Speisezettel, billige Restaurants, Anpreisungen von „Cabinets inodores“, von Schneidern, die halb umsonst arbeiten etc. Der Mann steckt Alles oder doch wenigstens Vieles ein – das muß ein Deutscher sein, denk’ ich mir, und gedacht und angesprochen war Eines. Ich irrte mich nicht. Er kommt aus einem kleinen rheinischen Städtchen mit dem Acht-Thaler-Kölner-Zug, hat Frau und drei Töchter, denen er Alles zu erzählen versprochen, ist von Paris entzückt, von der Ausstellung noch mehr und möchte nur noch den Napoleon sehen. Das erfuhr ich in circa fünf Minuten, in der sechsten betrachtete er mich schon als seinen Freund und bot sich mir an, die Krupp’sche Kanone, die er immer nur gern „unsere Kanone“ titulirte, näher zu erklären.

Als fühle er, seine Höflichkeit, die er mich so sehr fühlen ließ, motiviren zu müssen, sagte er mir: „Gott, man muß sich hier zusammennehmen, denn was sind die Franzosen für höfliche Leut’!“ Es gelang mir nach längerem höflichen Bemühen, den Landsmann zum Rückzug auf sich selbst zu bewegen. Ich will ja noch zu meinen anderen Reisegenossen schauen. Zwei davon sind in einem recht nachdrücklichen Gespräche in einer Sprache, die mir sehr fremd. Ich weiß nur, daß der Dialog etwas wie Reitergefecht an sich hatte. Da hört man Schwerter klirren, Hufe stampfen, Waffen rasseln, es ist etwas urwüchsig Lärmendes in dieser Sprache der beiden Männer, was sprechen sie nur für eine? Ich zerbreche mir den Kopf, ich frage den deutschen höflichen Mann, er zuckt die Achseln und spricht die höfliche Vermuthung aus, es würden Tataren sein. Diese Vermuthung bricht einen Augenblick lang das Gerassel der Sprache der fremdartigen Herren und einer von ihnen sagt zu unserem nicht geringen Erstaunen zu meinem Nebenmann im Omnibus: „Belieben zu entschuldigen, wir sind Ungarn und nicht Tataren; belieben Deutscher zu sein?“ Und das sagte er in jener Gesangsfärbung, die das Deutsche im Munde eines Ungarn so komisch macht. Richtig, Baratom-Nachbar war ein Magyare. Warum habe ich ihm nicht auf die hohen Stiefeln gesehen und auf den altverfassungsmäßig aufgewichsten „Schnauzbart“, da hätte ich es gleich merken können.

Und wer war es noch obendrein, wie ich später hörte? Der Glockenmacher aus Pest, eine komische Figur des Marsfeldes. Der Mann hatte einmal der ganzen kaiserlich österreichischen Abtheilungscommission nicht geringen Schreck verursacht. Er hatte zwei Tage gefehlt und seine großen Glocken auf dem Marsfelde standen ungeläutet. Wo mochte der Glockengießer von Pest hingerathen sein? Man fing bereits an, sonderbare Vermuthungen zu hegen, da war er am dritten Tage wieder da und erzählte, wo er durch zwei Tage gewesen. Er war am 7. Mai vom Ausstellungsgebäude Abends von dem Wege in seine Wohnung, welcher ungefähr zwei Stunden vom Marsfelde entfernt war, ein wenig abgewichen und war kreuz und quer in und um Paris irre gezogen, des Französischen gar nicht, des Deutschen nur schlecht mächtig und blos im Besitze der ungarischen Sprache, die man in und um Paris herum leider nirgend spricht. So geschah es, daß er am 8. Mai Abends in seiner Wohnung ankam, um sie am 9. Morgens wieder zu verlassen und wieder auf’s Marsfeld zu wandern. Da kam er wieder auf die falsche Fährte des verflossenen Tages, irrte wieder umher und gelangte erst spät Abends auf’s Marsfeld, wo er das Ausstellungshaus bereits geschlossen fand. Nun nahm er sich endlich doch einen Wagen und fuhr wieder nach Hause, mit dem festen Vorsatze, nicht mehr auf’s Marsfeld per pedes apostolorum gelangen zu wollen. Der Mann war zwei Tage auf dem Wege von Paris auf’s Marsfeld – kann man sich der Exposition zu Liebe mehr exponiren? Und er erzählte das selbst in schlechtem Deutsch, aber mit gutem Humor, der Glockengießer von Pest! Er schien mich übrigens mit größerem Vertrauen zu beehren, als er sonst auszugeben gewöhnt war, und legte mir, als ich ihm auf Verlangen meinen Namen nannte, seine großen schweren Glocken an’s Herz. Mein Name! Was er mir für Freuden heute bereitet! – Kaum nannte ich ihn, da biegt sich der vierte Omnibusgenosse aus der Wagenecke hervor, reicht mir die Hand und – fängt auch an, Deutsch zu sprechen! „Freut mich, Herr, kennen zu lernen Landsmann meiniges! Bin ich ehrlicher Deutscher, Trumpetenmacher aus Königgrätz und bitt’ ich Ihnen sehr, Trumpeten meinige wie Trumpeten Ihrige zu betrachten.“

Und der Mann sprach das Deutsche ganz so verschnürt, wie er den deutschen Rock verschnürt trug. Hat nicht auch der Posaunenfabrikant von Jericho ausgestellt und ist er nicht auch im Omnibus und fängt mit mir plötzlich an Deutsch zu reden? Es sollte mich nicht wundern. Es giebt ja gar keine Franzosen in Paris! Da, mein fünfter Omnibusgenosse ist wenigstens ein Türke. Das ist doch etwas Fremdes. Ich bitte ihn um Feuer von seiner Cigarette für die meinige, er giebt es mir freundlichst und ich knüpfe ein Gespräch mit ihm an. Er spricht vortrefflich Französisch, ein eleganter Bursche, wie man sie unter den Türken sonst gar nicht findet, trägt den Fez mit Grazie, kurz, er hat nichts vom „kranken Mann“. Ich freue mich über die orientalische Bekanntschaft, wir steigen an der Porte Jena des Ausstellungspalastes ab, wir gehen gemeinschaftlich hinein, ich meinen Frank erlegend, er seine Photographie vorzeigend. Ich frage ihn, in welcher Gruppe er ausgestellt hat. „In der sechsten,“ sagte er, „aber ich bin ausgestellt, ich habe nicht ausgestellt. Ich bin Garçon im türkischen Café.“ Ein türkischer Garçon! Wie interessant! „Sie sind,“ frage ich ihn zum Abschied, „aus Stambul selbst?“ – „O nein,“ sagt er lachend, „ich bin aus Grenelles“ (bei Paris). Und fort ist er. Ein Türke aus einer Pariser Vorstadt! Abscheulich. Und der Kerl macht gar kein Hehl aus seiner Pariser Abstammung. Da haben Sie es. Endlich, nach langem Suchen, findet man einen Pariser und der ist, wie sich herausstellt, während der Exposition als – Türke engagirt. Und jetzt sage mir noch Jemand, es gäbe Pariser in Paris!





Freiligrath-Dotation.

Bei dem Barmer Haupt-Comité sind wiederum eingegangen: Ertrag eines Concertes auf Sanssouci in Barmen 21 Thlr. 26 Ngr.; von zwei Freunden des Dichters 14 Thlr. 22 Ngr.; von D. W. Jensen in Kiel 31 Thlr.; C. vom Hofe in Lüdenscheid 77 Thlr.; Ertrag eines Concertes in Duisburg 237 Thlr.; Wissenschaftlicher Verein in Duisburg 100 Thlr.; Rostocker Zeitungs-Expedition 79 Thlr.; von Deutschen in Montpellier 32 Thlr.; H. B. in Barmen 3 Thlr.; W. H. in Lüttich 5 Thlr.; durch die Herren Pott, Beckhaus und Herborn in Schwerte 30 Thlr.; Comité in Vlotho durch F. Schmidt 26 Thlr.; Max Richter und Genossen in Mülheim a. d. Mosel 14 Thlr. 20 Ngr.; H. Engels in Gelsenkirchen 4 Thlr.; Wilh. Nahe aus Holstein 50 Thlr.; Bremer Comité durch Consul E. von Heymann 800 Thlr.; Solinger Comité durch H. W. Lang 225 Thlr. 5 Ngr.; Beitrag von Vereinen und Bewohnern der Stadt Worms 100 Thlr.; Oldenburger Zeitung 6 Thlr.; Zeitzer Zeitung 1 Thlr. 10 Ngr.; durch Prof. Dr. Zober in Stralsund 42 Thlr.; aus Barmen: G. A. D. 5 Thlr.; L. S. 5 Thlr.; O. und S. 5 Thlr.; F. W. 10 Thlr.; C. S. 5 Thlr.; A. W. 7 Thlr.; L. E. T. 5 Thlr.; F. S. 20 Thlr.; F. K. 5 Thlr.; F. H. 5 Thlr.

Gesammt-Einnahme bis heute 6164 Thlr. 22 Ngr. 6 Pfge.

Bei der Redaction der Gartenlaube: F. W. in A. 2 Thlr.; aus Treis a. d. Mosel 1 Thlr.; O. in Greiz 5 Thlr.; E. Wfg. in Gotha 2 Thlr.; Ertrag einer Lotterie in Torgau 6 Thlr.; von einer Hochzeitsgesellschaft im bairischen Bahnhof in Leipzig 3 Thlr.; X. Y. in Leer 2 Thlr.; Bürger-Verein in Augsburg 50 fl.; zweite Einsendung der Zeitung „Deutschland“ in Weimar 5 Thlr.; Gesangverein in Gotha 35 Thlr.; W. S. 5 fl.; Deutschmann in Wittenberg 1 Thlr.; L. K. und W. S. in Magdeburg 10 Thlr.; Fräulein C. B. in Thornfield in Irland 5 Thlr.; T. in R. 1 Thlr.; Liedertafel in Eisenach 2 Thlr.; St. in Leipzig 1 Thlr.; Zorn in Stettingen 2 Thlr. 24½ Ngr.; Sammlung des Tageblattes in Gotha 17 Thlr.; Männergesangverein Teutonia in Paris 100 Franken = 26 Thlr. 20 Ngr.; dem Dichter der „Blumenrache“ ein deutsches Mädchen aus Temesvár 1 Ducaten; Männergesangverein Apollo 7 Thlr. und Fräulein R. in Chemnitz 1 Thlr.; einige Verehrer des Dichters in Altötting 14 fl. = 8 Thlr. in Erinnerung an dessen eigene Worte:

„Ruhm und Ehre jedem Fleiß!
Ehre jeder Hand voll Schwielen!
Ehre jedem Tropfen Schweiß,
Der in Hütten fällt und Mühlen.

5
Ehre jeder nassen Stirn

Hinterm Pfluge – doch auch dessen,
Der mit Schädel und mit Hirn
Hungernd pflügt, sei nicht vergessen!“

Erlös einer in Troppau unter Verehrern Freiligrath’s veranstalteten Sammlung 19 Thlr. 15 Ngr. und 42 fl. ö. W.; zweiter Beitrag der Wickrather Börse 50 Thlr.; Reinertrag der Aufführung der Schiller’schen Räuber von der Gesellschaft Thalia in Brünn 62 fl. ö. W.; Steffens und Sohn in Burtscheid 2 Thlr.; Künstler-Verein in Breslau 147 Thlr. 9 Ngr.; für 11 Exemplare von Freiligrath’s Glaubensbekenntniß 11 Thlr.

Die Redaction.




Nicht zu übersehen!

Für die mit dem dritten Quartal dieses Jahrgangs neu hinzutretenden Abonnenten unsers Blattes bemerken wir, daß wir ihnen ausnahmsweise die Nummern 21–26, mit deren erster die eben laufende Erzählung von E. Marlitt „Das Geheimniß der alten Mamsell“ beginnt, apart zum Preise von 7 ½ Ngr. nachliefern werden.

Die Verlagshandlung.




Inhalt: Das Geheimniß der alten Mamsell. Novelle von E. Marlitt. (Fortsetzung.) – Die Marienburg und ihre Herrin. Mit Abbildung. – Gefängnißleben zur Schreckenszeit. – Von Johannes Scherr. – Die Reformatoren in der Gießhütte. Mit Illustration. – Pariser Weltausstellungs-Briefe. Von Michael Klapp. 2. Eine Ausstellungsfahrt. – Freiligrath-Dotation.



Verantwortlicher Redacteur Ernst Keil in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
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