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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

der royalistische Poet André Chenier. Das von ihm zu dieser Stunde halbbeschriebene Blatt hat die Nachwelt unter die kostbarsten Reliquien der Revolution eingereiht: –

„So wie ein letzter Hauch, ein letzter Strahl des Gottes
Den Tag verklärt an seinem Schluß,
Rühr’ ich die Leier noch am Fuße des Schaffotes;
Wer weiß, wann ich’s besteigen muß?

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Wer weiß? Vielleicht bevor der Zeiger dort im Kreise

Auf dem geblümten Zifferblatt
Den sechszigfachen Schritt der vorgeschriebnen Reise
Helltön’gen Gangs vollendet hat,
Liegt schon der Schlaf der Gruft auf diesen bleichen Zügen;

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Vielleicht bevor es mir gelang,

Im angefangnen Vers den Reim zum Reim zu fügen,
Wird zu entsetzensheiserm Klang
Der Todverkündiger, der zum Gerüst der Schrecken
Uns schleppt mit seiner Söldnerbrut,

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Das Echo dieses Saals mit meinem Namen wecken. – –“

Und so geschah es buchstäblich. Der arme Chenier konnte den zuletzt angehobenen Quatrain seines dichterischen Testaments nicht zu Ende bringen. Man hörte von draußen das Rollen der vorfahrenden Todeskarren auf dem Pflaster, Gewehre klirrten vor der Pforte, sie ging auf, der „Todverkündiger“ erschien mit seiner Liste und der verhängnißvolle Appell begann. Der Dichter, welcher bekanntlich einen wahrhaft juvenalischen Zorn und Haß an den Jacobinern ausgelassen und ihnen zugerufen hatte:

„Ich spei’ auf eure Namen, ich sing’ euch an den Galgen“

– ist nicht weniger muthvoll gestorben als seine Todesgefährten. Doch ward er auf dem Blutgerüst von einem flüchtig-stolzen Bedauern angewandelt über das, was mit ihm zu Grunde ging, und da hat er sich mit der Hand an die Stirn geschlagen und ausgerufen: „Ich hatte doch etwas da drinnen!“ (j’avais pourtant quelque chose là!)

Zweiundsiebzig Stunden später wurden Robespierre, Saint-Just und Couthon ebenfalls von der Conciergerie aus, wohin sie in der dritten Morgenstunde des 10. Thermidor gebracht worden waren, nach dem Revolutionsplatz gefahren. Vor der Wohnung des „Unbestechlichen“ – der war er! –, vor dem Hause des Schreiners Duplay in der Rue Saint-Honoré, zwangen die „Furien der Guillotine“ den Karren, zu halten, und tanzten um denselben her die Carmagnole, die Luft mit dem Gebrülle: „Tod dem Tyrannen!“ erfüllend. Wer das aber, wie billig, am lautesten mitschrie, war eines der infamsten Scheusale der Revolutionszeit, Carrier, der Erfinder und Veranstalter der „Noyaden“ und der „republikanischen Hochzeiten“ von Nantes. Heutzutage kann es Jeder wissen, wer überhaupt Etwas wissen will, daß zu Robespierre’s Sturze die ärgsten Schufte, Schurken und Schandbuben sich verbunden haben. Das Urtheil über diesen Sturz, über den Mann und seine Bedeutung war übrigens schon damals so wenig ein einstimmiges, als es heute ein solches ist. Auf seiner Todesfahrt wurde Robespierre von einer Frau angetreten, welche ihm zuschrie: „Fahr’ zur Hölle, Bösewicht, beladen mit den Flüchen aller Gattinnen und aller Mütter!“ Aber in einer Provinz von Süd-Frankreich ließ eine Pächterin beim Eintreffen der Nachricht, daß der „Tyrann“, dessen ganze Hinterlassenschaft an Geld und Gut in einem Assignat von fünfzig Francs bestand, am 28. Juli guillotinirt worden sei, vor Schrecken das Kind fallen, welches sie auf dem Arme trug, hob die Hände gen Himmel und rief in ihrem Patois aus: „O, jetzt ist es um das Glück des armen Volkes geschehen; sie haben Den getödtet, welcher es so sehr geliebt hat (aco n’es finit bol bounhur del paouré poble; han tuat aquel que l’aimaba tant)!“ –

Nun wollen wir versuchen, die im Vorstehenden gegebenen Umrisse mit individuellem Leben zu füllen, und zwar mit Hülfe der Aufzeichnungen eines Gefangenen der Schreckenszeit, welche Aufzeichnungen erst in allerneuester Zeit in Buchform erschienen sind. Wir meinen damit die „Memoiren“ des napoleonischen Großen und bourbonischen Ministers Beugnot. Der Mann war ein abgesagter Feind der Revolution überhaupt und der Terroristen insbesondere. Die Mittheilungen aus seinem Kerkerleben sind also sicherlich nicht in’s Rosige gemalt. Hinwider ist er aber auch zu ehrlich gewesen, um Schwarz in Schwarz zu malen, und nachdem wir seinen Bericht der erforderlichen kritischen Controle unterzogen haben, dürfen wir mit Zuversicht erklären, daß das, was wir daraus mittheilen werden, den Werth eines historischen Zeugnisses besitzt.

Beugnot, gewesenes Mitglied der gesetzgebenden Nationalversammlung, wurde am 18. Vendémiaire (9. October) von 1793 in Paris verhaftet, nachdem er den von Seiten Danton’s ihm wiederholt und deutlich zugekommenen Wink, sich davon zu machen, unbeachtet gelassen hatte.

„Verdächtig des Royalismus!“ sagte der verhaftende Polizeicommissär. „Nach der Conciergerie! Guillotinefutter!“

Man gestattete dem Verhafteten eine Auswahl von Büchern mitzunehmen; aber der Commissär und der demselben beigegebene Gensd’arme spielten dabei die Censoren. Tasso’s „Befreites Jerusalem“ fand keine Gnade in den Augen dieser Censur.

„Aber warum soll mir dieses Buch verwehrt sein?“ fragte der Verhaftete.

„Lassen Sie das Buch lieber da, Bürger,“ erwiderte wohlweise der Gensd’arme, „denn, glauben Sie mir, Alles, was aus Jerusalem kommt, hat dermalen keinen guten Geruch.“

Als der Fiaker, welcher den Gefangenen zur Conciergerie – „cette vaste antichambre de la mort“ – brachte, an der Freitreppe derselben hielt, war diese von einer Schaar jener Weiber dicht besetzt, welche bei allen Spectakeln der Revolution die Rolle des Megärenchors mit Beeiferung durchführten. Sie empfingen Beugnot mit Füßegestampf, Händeklatschen und Hohngelächter und überschütteten die „neue Beute“ mit Schimpfnamen und Geifer, so daß er froh war, als er das Gitter hinter sich hatte. Während in der Schreibstube der Name des Ankömmlings in das Register eingetragen wurde, konnte er bemerken, daß die größere Hälfte des Saals durch eine niedrige Schranke von der kleineren gesondert war. Jene stellte das weiter oben erwähnte „Toilettezimmer der Dame Guillotine“ vor und in diesem Augenblick befanden sich zwei Verurtheilte daselbst, welche ihre Schaffottoilette bereits gemacht hatten und der Ankunft Samson’s harrten. Ein Municipalbeamter richtete Trostworte an die beiden Unglücklichen und fragte sie, ob sie den Namen des Präsidenten vom Revolutionstribunal kennten, welcher den Todesspruch über sie gefällt hätte. „Nein,“ gab der Eine zur Antwort, „aber behalte denselben für Dich! Ich will den Namen eines solchen Bösewichts nicht mit in mein Grab nehmen.“ – „Wenigstens hoff’ ich,“ sagte der Andere sanft, „daß dieser Präsident kein Franzose sei!“ – gewiß in seiner Art und unter diesen Umständen ein rührender Ausdruck von Patriotismus.

Beugnot mußte noch mit ansehen, wie die Armen durch den Henker abgeholt wurden, allein zu seinem Glück; denn während des Lärmens, welcher dadurch in der Schreibstube entstand, verwechselte der sonst sehr genaue Greffier seinen Namen mit dem eines andern so eben Eingebrachten, der wegen Verfertigung falscher Assignate verhaftet worden war und dessen Name allerdings dem Namen Beugnot’s sehr ähnlich klang. Dieser Verwechselung hatte er es höchst wahrscheinlich zu danken, daß er, wie übrigens so viele Hunderte anderer Gefangener, im Gefängnisse „vergessen“, das heißt niemals vor das Revolutionstribunal gerufen und folglich gerettet wurde. Der grausame Witz von der „Lotterie der heiligen Guillotine“ war nicht blos ein Witz, sondern auch eine Wahrheit. Nur waren da die Gewinner eigentlich die Verlierer und umgekehrt.

Zunächst freilich hatte die Verwechselung mit einem Falschmünzer die unangenehme Folge für unsern Gefangenen, daß er in sehr schlechte Gesellschaft gethan wurde, in eine Zelle nämlich, in welcher bereits ein Muttermörder und ein Einbrecher saßen. Da er aber fieberkrank wurde, brachte man ihn nach der sogenannten „Infirmerie“, dem Krankensaal der Conciergerie, welchen Beugnot freilich als das „schauderhafteste Hospital auf Erden“ schildert. Die Localität erinnerte ihn so sehr an die Darstellung der Hölle auf der Opernbühne, daß er annehmen zu dürfen glaubte, der Theaterarchitekt müsse diese Infirmerie zum Modell gehabt haben. Die Einzelnheiten sind zu widerlich und riechen zu übel, um hier wiedergegeben werden zu können. Genug, es war ein Ort des Grauens, und es begreift sich unschwer, daß Gefangene, welche längere Zeit hier verweilen mußten, nach dem „Nasenstüber auf den Hals“ – „chiquenaude sur le cou“ – sich sehnten, wie ein damaliger Bewohner der Conciergerie, Lamourette, constitutioneller Bischof von Lyon, den Fallbeilschlag der Guillotine genannt hat. Ist doch sogar die Langeweile zu einem Motiv des

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verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 426. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_426.jpg&oldid=- (Version vom 29.1.2017)