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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

Die Marienburg und ihre Herrin.


„Im Begriff, mit dem theuren Kronprinzen mich zu meiner Armee nach dem südlichen Theile meines Königreichs zu begeben, lasse ich meine theure Königin und meine geliebten Töchter zu Herrenhausen Eurer bewährten Treue, Liebe und Anhänglichkeit zurück.“

So redete König Georg von Hannover heute vor einem Jahre in seiner Abschiedsproclamation zu Magistrat, Bürgervorstehern

Lustschloß Marienburg in Hannover.

und Bürgern seiner Residenz, als er, den Rathschlägen seiner Minister und seines eigenen Gefühls folgend, die Ansprache der zweiten Kammer und die dringende Bitte der städtischen Collegien zurückweisend, statt sich mit Preußen zu verständigen und im Lande zu bleiben, den verhängnißvollen Zug nach Göttingen antrat. Er „konnte als Christ, als Monarch und als Welf nicht anders“. Der Zug nach Göttingen führte ihn nach Langensalza und zuletzt in’s Exil nach Hietzing. Er wird niemals in sein Land zurückkehren, was ihm auch davon träumen mag. Nunquam retrorsum (niemals rückwärts), sein Wappenspruch, wird in dieser Beziehung auch sein Schicksal sein. Hannover ist für ihn, um mit seinen Worten zu reden, verloren „bis an das Ende der Tage“; es ist preußische Provinz geworden und wird es bleiben, wenn die Vorsehung nicht zu Gunsten des Welfenthums ein Wunder thut, was ebenso unwahrscheinlich ist, wie es nach der ganzen Vergangenheit des Königs Georg und namentlich nach seinem Verhalten während der Luxemburger Verwickelung kaum möglich sein wird.

Auch der ehemalige Kronprinz, jetzt einfach Prinz Ernst August, ist mit ihm im Exil, desgleichen die eine der beiden Prinzessinnen. Die Königin aber blieb mit der andern Tochter wirklich im Lande, und zwar zunächst im Schlosse Herrenhausen, auf dessen Dach noch bis in den Spätherbst vorigen Jahres die Welfenfahne flatterte und wohin von Seiten der Anhänger des Hofes aus der Stadt vielfach in demonstrativer Weise gewallfahrtet wurde, während Hofdiener höherer und niederer Classe sich andererseits bemühten, durch Verbreitung von allerlei wunderbaren Gerüchten in der Stadt die Getreuen in ihrer Treue zu erhalten und die Mißvergnügten zu größerer Abneigung gegen die neue Ordnung der Dinge zu reizen. Fast jede Woche bewegten sich Processionen mit gelb und weißen Fahnen, Deputationen mit Adressen und dergl. nach Herrenhausen. Im Spätherbst endlich hörten diese Agitationen auf, indem die Königin entweder selbst einsah oder darauf aufmerksam gemacht wurde, daß es gerathen sei, sich ein anderes, der Hauptstadt ferner gelegenes Domicil zu wählen. Es würde gut gewesen sein, wenn diese Wahl auf einen Ort außerhalb der Provinz Hannover gefallen

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verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 421. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_421.jpg&oldid=- (Version vom 15.3.2017)