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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

„Die gnädige Frau meinten,“ nahm Rosa ihre Vertheidigungsrede wieder auf, „es sei ja doch nur ein leichtes Schnupfenfieber bei Aennchen, sie könnte ganz gut einmal auf ein halbes Stündchen allein bleiben; sie hat ihr allerhand Spielzeug auf’s Bettchen gegeben –“

„Und wo ist meine Cousine?“ unterbrach der Professor sie rauh.

„Die gnädige Frau sind mit Madame Hellwig in den Missionsverein gegangen.“

„So,“ schnitt er ihren Bericht kurz ab – er sah grimmig aus. „Jetzt gehen Sie und machen Sie den Plunder fertig!“ befahl er, nach der Thür zeigend, aus der sie gekommen war, dann rief er nach Friederike, aber die alte Köchin steckte mit beiden Händen in einem eben eingerührten Teig und schickte Felicitas.

Das junge Mädchen kam die Treppe herauf. Noch lag die feine Röthe innerer Bewegung auf ihren Wangen, doch ihr Auge streifte kühl und ernst das aufgeregte Gesicht des Professors. Sie blieb in ruhig fester Haltung stehen und erwartete schweigend seine Befehle. Es kostete ihm augenscheinlich große Ueberwindung, sie anzureden.

„Die kleine Anna ist ohne Aufsicht – wollen Sie bei ihr bleiben, bis ihre Mutter zurückkommt?“ fragte er endlich; einem aufmerksamen Ohr konnte es nicht entgehen, daß er seine Stimme zu einem freundlichen Ton zwang.

„Sehr gern,“ antwortete sie unbefangen, „aber ich habe ein Bedenken – die Frau Regierungsräthin liebt es nicht, das Kind mit mir zusammen zu sehen. Wollen Sie die Verantwortlichkeit übernehmen, so bin ich bereit.“

„Ja wohl, das will ich.“

Sie schritt ohne Weiteres in das Schlafzimmer und schloß die Thür. Der Rechtsanwalt sah ihr mit aufleuchtenden Augen nach.

„Fee’ nennt sie Heinrich seltsamerweise,“ sagte er zu dem Professor, während er neben ihm die Treppe nach dem zweiten Stock hinaufstieg, „und so sonderbar auch der Name auf seiner derben Zunge klingt, auf die Erscheinung paßt er prächtig… Ich muß aufrichtig gestehen, ich begreife nicht, wo Ihr, Du sowohl wie Deine Mutter, den Muth hernehmt, dies merkwürdige Mädchen Eurer alten Köchin und dem naseweisen Kammerkätzchen da unten gleichzustellen.“

„Ah – wir hätten sie in Sammet und Seide wickeln sollen, meinst Du?“ rief der Professor so heftig gereizt, wie ihn sein Freund noch nie gesehen. „Und weil dem Hause Hellwig eine Tochter versagt ist, so hätte, Deiner Ansicht nach, der leere Platz nicht vortrefflicher ausgefüllt werden können, als mit dieser Fee, oder besser ‚Sphinx‘, wie ich sie nenne… Du bist von jeher ein Schwärmer gewesen! … Uebrigens steht es Dir frei“ – sein Ton vibrirte vor innerer Aufregung – „die Tochter des Taschenspielers zur Frau Frank zu machen – meinen Segen als Vormund hast Du!“

Das feine Gesicht des Rechtsanwaltes erröthete bis unter den lockigen Haarstreifen über der Stirn. Er sah einen Moment angelegentlich durch das Fenster hinunter auf den Marktplatz – sie hatten im Gespräch das Zimmer des Professors betreten – dann wandte er sich lächelnd um.

„So wie ich das innerste Wesen des Mädchens auffasse, wird sie sich schwerlich um Deinen vormundlichen Segen kümmern; ich würde mithin lediglich auf ihre Entscheidung angewiesen sein,“ entgegnete er nicht ohne leisen Spott, „und wenn Du meinst, mein Ohr mit der Bezeichnung ‚Taschenspielerstochter‘ zu erschrecken, so irrst Du Dich gewaltig, mein sehr verehrter Professor… Du freilich, bei Deinen Grundsätzen, würdest einen solchen Gedanken nicht ohne gewaltige Nervenerschütterung ausdenken – ein Spielerskind mit warmem, raschem Herzschlag und das kühle Blut ehrenfester Kauf- und Handelsherren, das fein gemessen durch Deine Adern fließt – das ginge freilich nun und nimmer – die dort müßten sich ja sammt und sonders im Grabe umdrehen!“

Er zeigte durch die offene Thür in die anstoßende große Erkerstube. Dort an der langen Wandseite hing eine Reihe vortrefflich gemalter männlicher Oelbilder, stattliche, behäbige Gestalten mit funkelnden Diamanten an den Fingern und auf dem zierlich gefältelten Busenstreifen. Das waren verschiedene Bürgermeister und Commercienräthe, die einst den Namen Hellwig getragen hatten.

Der Professor ging hinüber in das Zimmer – die Nadelstiche des Spottes schienen an ihm abzugleiten. Er kreuzte die Arme über der Brust und schritt einigemal unter den Bildern auf und ab.

„Sie haben tadellos dagestanden im Leben,“ sagte er plötzlich stehenbleibend. „Ob Jeder ohne innere Anfechtung und Kämpfe diese makellose äußere Würde und Haltung behauptet hat – ich glaube es nicht. Die menschliche Natur hat viel Sprödes, sie widerstrebt da meist am hartnäckigsten, wo sie gehorchen muß… Alle diese Opfer sind Steine zu einem soliden Bau gewesen, und dieser Bau heißt ‚das Haus Hellwig‘. Sollen sie gefordert und gebracht worden sein, damit ein Enkel kommt und sie mit einem Fußtritt wie ein Kartenhaus umstößt? … Gott soll mich bewahren!“

Es sah fast aus, als habe er mit diesen Worten einen inneren Conflict gelöst, denn die seltene Gereiztheit, die Frank mit Verwunderung an ihm beobachtet hatte, war verschwunden, als er in sein Zimmer zurückkehrte. –

Felicitas mochte vielleicht eine halbe Stunde am Bett des Kindes gesessen haben, als die Regierungsräthin nach Hause kam. Ihr Gesicht verfinsterte sich sofort beim Erblicken des jungen Mädchens.

„Wie kommen Sie hierher, Caroline?“ fragte sie scharf, indem sie ihren Sonnenschirm auf das Sopha warf und hastig ihre feinen dänischen Handschuhe abstreifte. „Ich habe Sie doch sicher nicht um diese Dienstleistung ersucht!“

„Aber ich!“ sagte der Professor mit harter Stimme, der plötzlich hinter ihr auf der Schwelle der offenen Thür erschien. „Dein Kind brauchte Aufsicht, es kam mir barfuß auf der Treppe entgegen.“

„Nicht möglich! … Ja, Aennchen, wie konntest Du denn so unfolgsam sein?“

„Bist Du wirklich im Zweifel, Adele, wer hier den Vorwurf verdient?“ fragte der Professor noch immer sich beherrschend, aber es grollte bereits in seiner Stimme.

„Mein Gott, ich bin ja trostlos über dies pflichtvergessene Geschöpf, die Rosa! … Sie hat auf der Gotteswelt nichts zu thun, als das Kind zu beaufsichtigen, aber ich weiß schon, man darf nur den Rücken wenden, da gafft sie zum Fenster hinaus, steht vor’m Spiegel –“

„Zufällig steht sie in diesem Augenblick am Bügelbret und richtet im Schweiß ihres Angesichts ein Kleid her, das Du à tout prix morgen anziehen mußt,“ unterbrach sie der Professor, in schneidendem Hohn jedes Wort markirend.

Sie erschrak heftig. Die tödtlichste Verlegenheit spiegelte sich momentan auf ihrem Gesicht, allein sie faßte sich rasch.

„Gott, wie albern!“ rief sie, unmuthig die weiße Stirn runzelnd, „da hat sie mich wieder einmal völlig mißverstanden – ich habe häufig das Unglück!“

„Gut,“ unterbrach er sie beharrlich, „wir wollen dies Mißverständniß gelten lassen, aber wie mochtest Du ihr, deren Unzuverlässigkeit Du eben hervorhobst, Dein krankes Kind allein anvertrauen?“

„Johannes, mich rief eine heilige Pflicht!“ antwortete die junge Wittwe nachdrücklich mit einem schwärmerischen Aufschlag ihrer schönen Augen.

„Deine heiligste ist die Mutterpflicht!“ rief er – in diesem Augenblick war er sehr zornig. „Ich habe Dich nicht hierher geschickt, um in Missionsangelegenheiten thätig zu sein, sondern einzig und allein des Kindes wegen!“

„Um Gotteswillen, Johannes, wenn die Tante und mein Papa Dich hörten! … Früher dachtest Du anders!“

„Das gebe ich Dir vollkommen zu. Eigenes Denken aber wird uns stets auf den unerschütterlich festen Satz der Moral zurückführen, daß wir zunächst unsere ganzen Kräfte dem Boden zuwenden sollen, auf den uns die Vorsehung gestellt hat – und wenn Du dereinst hundert aus dem Heidenthum gerettete Kinderseelen dem Ewigen aufzählen kannst, sie werden nicht um ein Jota den Vorwurf rechtfertigen, daß Du Dein eigenes darüber hast zu Grunde gehen lassen!“

Das Gesicht der Regierungsräthin glühte wie eine Päonie. Sie rang nach Fassung und der gewohnten Sanftmuth, und es gelang ihr.

„Sei nicht so streng gegen mich, Johannes!“ bat sie. „Bedenke, daß ich ein schwaches Weib bin, aber gewiß immer nur das Beste will… Habe ich gefehlt, so ist es wohl auch hauptsächlich aus Liebe zu Deiner guten Mutter geschehen, die meine Begleitung wünschte – es soll aber gewiß nicht wieder vorkommen.“

(Fortsetzung folgt.)
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