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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

Meisterstücke an Schärfe und Schönheit der Züge. Auch die von Kohl aufgeführten fand ich heraus. Sie alle lassen wohl wünschen, daß der Todtengarten der Khane ein Reiseziel recht vieler Fürsten werden möge, von denen Mancher vor der Tatarenweisheit ihrer Grabsprüche sich beugen dürfte. Hier ruht Dewlet Gherai Khan unter einem Grabmal ohne Dach, und die Inschrift seines Marmors sagt es, warum? „Weil er den Himmel so schön und erhaben fand, daß er beständig aus seinem Grabe nur ihn, die Wohnung Gottes, zu sehen wünscht.“ Und hier liegt Toktamüsch Khan, der auf seinem Grabe statt Denkmals einen Weinstock zu pflanzen befahl, – „damit er, der Fürst, wenigstens im Tode die Früchte bringe, an welchen sein Leben so arm sei.“ Dort hat Selim Gherai Khan sich unter die Regentraufe des Daches der Moschee bestatten lassen, und sein Grabspruch gesteht es ehrlich, – „weil er hoffe, daß das Wasser des Himmels ihn mit der Zeit rein waschen könne vom Schmutze seiner Sünden, deren er so viele zu haben glaube, als Tropfen aus einer Wolke fallen.“ Und wiederum ein Anderer dieser Tatarenfürsten gebot, seine Grabstätte ringsum zu vermauern, nicht etwa, um von der Welt möglichst sicher geschieden zu sein, nein, sondern – „weil er sich nicht werth fühlte, auch nur vom kleinsten Strahle der Sonne beschienen zu werden.“

Wahrlich, die menschlich schöne Freude an der Himmelsherrlichkeit und die herzensehrliche Demuth, die aus diesen Sprüchen redet, ist es allein schon werth, daß wir das Bild, das diesen Artikel schmückt, mit erhöhter Theilnahme betrachten und dem Künstler dafür unsern besondern Dank sagen.

K. v. R.




Blätter und Blüthen.


Skizzen aus Oesterreich. I. Eine Messe in der Adelsberger Grotte. Es war Sonntag nach Pfingsten, als ich in der Lindenallee, welche von Adelsberg zu der weltberühmten Höhle führt, zwischen anderen Wandelnden demselben Ziele zuschritt. Man hatte mir schon im Wirthshause des Ortes gesagt, ich werde wohl schwerlich einen Führer finden, denn heute sei Alles festlich geputzt hinab in die Höhle, die alljährlich übliche gottesdienstliche Feier dort zu begehen, aber ich möge mich nur getrost auf den Weg machen, denn an diesem Tage strahle und flimmere jeder Fußbreit des unterirdischen Gesteines, werde ich alle Gänge und Windungen belebt finden. Ein paar handfeste Männer der Gegend, darunter ein Führer von Profession, der aus alter Gewohnheit, oder weil es nöthig sein mochte, oder gar wohl aus Speculation trotz des heiligen Tages und der Höhlenbeleuchtung, sein Grubenlicht mitgenommen hatte, dann einige freundlich blickende Weiber, alle im Sonntagsstaate, waren mir zur Seite, als ich zu der Brücke trat, wo man den Poikfluß durch ein Felsenthor in die Höhle hinabstürzen sieht, und durch eine höher am Berg sich wölbende zweite Felsenpforte in den Berg trat. Die Laterne des officiellen Begleiters, den ich sofort gedungen, war überflüssig, denn hier und dort im sonst wohl stockfinstern Gange blitzten von Gesteinvorsprüngen Lampen und Lichter herab, erhellten in Risse aufgepflanzte Fackeln mit röthlichem Flackerscheine das sich in Windungen dahinziehende feuchte Naturgemäuer und den sich mehr und mehr erweiternden etwas schlüpfrigen Pfad.

Alle waren wir schweigsam, selbst die Weiber. In Erwartung der Dinge, die da kommen sollten, fühlte ich meine Brust wie zusammengeschnürt. Die Schritte klangen hohl vom Gesteine nieder, unsere Schatten schlüpften bald vor uns hin, bald dehnten sie sich riesig hinter uns im röthlichen Scheine, der doch nicht völlig vermochte, das gierige Düster zu verdrängen.

Doch wie? Ein Murmeln tönte jetzt seltsam in den leisen Schall unserer Tritte hinein. War es das Rauschen des unter dem Steinboden, den wir traten, dahinströmenden Flusses? Klang das Beten der tief im Schooße der Erde versammelten frommen Gemeinde, im Nachhall von Schlucht zu Schlucht sich windend, zu mir hinauf?

Die Höhle erweiterte sich, die Wölbung stieg hoch empor, da und dort senkte sie sich wieder in zahllose kleine Stalagmitenspitzen zerklüftet, während Tropfsteinpfeiler zur Seite wie aus dem Felsen gemeißelt erschienen. Plötzlich aber thut sich vor den Füßen eine tiefe Schlucht auf; wir hemmten unseren Schritt. Ich starrte hinab in die Tiefe. Dort unten flimmerten und blitzten die zum Feste aufgestellten Lichter aus dem Dunkel herauf, es war, als habe das nächtliche Firmament mit seinen Sternen sich in den Schlund dieser Unterwelt versenkt. Wir aber standen in schwindelnder Höhe auf dem Rücken eines Felsens, einer Brücke, welche die Natur erschaffen und über den unten im Abgrunde strömenden Poik gezogen hat. In die Tiefe führt eine steile Holztreppe hinab, der Felsrücken ist doppelt durchbrochen, wie der Führer erklärte, und an der dreiundzwanzigsten Stufe der Treppe mündet die alte Grotte, an der dreiundvierzigsten eine schmale Kluft.

Von eigenthümlichen Empfindungen bewegt blickte ich zu den kühn gewölbten Bogen des Domes empor, die der Lichterglanz nur unbestimmt da und dort in langen, matten Streifen erhellte und um so riesiger erscheinen ließ, dann mußte ich den Blick unwillkürlich wieder dem Abgrunde zuwenden, der mich jetzt wie ein Bergsee anmuthete, auf dessen düsterm Gewässer Sterne und Nachthimmel sich abspiegelten.

Aber die Bauern und Bäuerinnen drängten; sie wollten zur Messe, zum sogenannten Banketsaale, der noch fernab lag und dem Blicke von hier aus unerreichbar.

Die Leute klommen die Treppe hinab, ich und der Führer aber schieden von ihnen an der dreiundzwanzigsten Stufe, denn es galt die alte Grotte zu besichtigen, die reich an Tropfsteinbildungen ist, während das Gestein des Domes nur wenige aufzuweisen hat und schmucklos, aber in gewaltiger Höhe emporragt.

Ein schmaler, wenige Klafter langer Steinabsatz ohne Geländer führte uns zur alten Grotte, die ebenfalls festlich beleuchtet war. Secundenlang hemmte ich den Schritt auf diesem fußbreiten Pfade, die wunderbare Empfindung, welche mich durchbebte, zog meinen Blick wieder und wieder zur Tiefe. Dort unten glitzerte der Fluß im Fackelscheine, zur Seite kletterten die Landleute im Sonntagsstaate, matt beleuchtet, hernieder, zwischen den Lichtern, über den graubraunen, zackigen Boden. hin, glitten Gestalten, gleich uns die Wunderwelt in Staunen und Schweigen durchstreifend.

Die alte Grotte enthüllte mir jetzt ihren Stalaktitenzauber. Wie blitzte da Alles an den Wänden von arabeskengleichen Verschlingungen und Figuren, von köstlichen rothen und weißen Draperien, rothen Orgelpfeifen auf weißflimmerndem Fels, rothen Korallen, aus blendendem Grunde hervortretend, zahllosen Steingestaltungen, in denen die Phantasie hier einen rosafarbenen Wasserfall sieht, dort abenteuerliche Gnomengestalten und ernste Heilige.

Endlich wanderten wir auf dem geländerlosen Pfade zurück zur Treppe und stiegen nun auch in die Tiefe, um jenseits zweiundachtzig Stufen zur Ferdinandsgrotte emporzuklimmen, die dem Beschauer in ihrem blitzenden Tropfsteingebilde eine märchenhafte Ueberschwenglichkeit entgegenhält. Was hat die Einbildungskraft der Menschen nicht Alles in diese wunderbar sich schnörkelnden, emporschiebenden, herabsenkenden, verzweigenden Steinformen hineingeträumt, und wahrlich, wie täuschend hat hier nicht oft auch die Natur das Leben und Menschenwerke beleuchtet, man möchte sagen kunstreich, und jedenfalls vollendet nachgebildet! Da findet man Sanct Peter’s reichgeschnitzten Stuhl, einen rothen Springbrunnen, schwermüthig sich neigende Cypressen, ein Meer mit hoch sich bäumenden, glitzernden Steinwellen, Thiergestalten, Hieroglyphensäulen, malerisch gefaltete Vorhänge oder Schleier, zart und durchschimmernd und mit rosa- und orangefarbenem breiten Saume, Altäre, Obelisken und tausend phantastische Dinge, ja selbst eine Stalaktitbildung, die so wunderbar geformt ist, daß ihr Schatten den Umrissen der heiligen Jungfrau mit dem Jesuskind in täuschendster Weise ähnelt.

Und diese schimmernde, bald groteske, bald erhabene, immer aber eigenthümliche Welt mit ihren vielfachen abenteuerlichen Steinverschlingungen, wie feenhaft war sie in diesem Augenblick durch Fackeln und Lichter beleuchtet, wie geheimnißvoll woben hier und dort die Schatten hinter den sich vordrängenden oder von der Decke herabstarrenden Tropfsteinformen! Ich mußte jenes alten Märchens gedenken, das von dem mit undurchdringlichem Dickicht umgebenen Reiche erzählt, in dem König und Prinzessin, Ritter und Hofgesinde, Vogel und Baum und Alles, was da lebte und webte, durch einen Zauberspruch zu Stein verwandelt ward und träumend ausharrte, bis ein ritterliches Glückskind den Fluch löste und die Prinzessin heimführte.

Noch stand ich gedankenvoll inmitten dieses steinernen Zauberreiches, da klang in weichen Accorden, lauter und lauter erschallend, in geisterhaft verhallenden und von Neuem aufwogenden Tönen ein Gesang, der aus überirdischen Welten herabzuklingen schien.

Staunend blickte ich auf; ich hatte ob all des Wundersamen, das ich hier erschaut, die Feier des Tages vergessen! Mein Führer zog mich lächelnd mit sich fort, nach einer zu gigantischen Umrissen sich dehnenden Höhle. Hunderte von Lichtern und Fackeln erhellten diesen Saal, dessen riesiges Gewölbe kein einziger Pfeiler stützte, an dessen Wänden aber rings prächtige Stalaktitsäulen, von der Meisterhand der Natur geschaffen, sich stolz erhoben. Inmitten dieser Halle war zum heutigen Feste ein Altar errichtet, dort blitzte das Kreuz des Erlösers, stand der Priester im glänzenden Meßgewande, umgeben von Chorknaben, die Räucherfäßchen schwangen und Glöcklein ertönen ließen, kniete eine gläubige Menge, im frommen Choral den Herrn der Schöpfung preisend.

Tief erschüttert, überwältigt, vermochte ich kaum zu athmen. Das Bild, das sich hier mir entrollte, versinnlichte mir in wundersamer Erhabenheit eine längst entschwundene Zeit. So wohl beteten einst die ersten Christen, die Märtyrer ihres Glaubens, insgeheim und in unterirdischen Höhlen, als noch die barbarischen Heiden sie mit Feuer und Schwert verfolgten, so stieg in verschwiegenen Grotten ihr Lobgesang zum Herrscher der Welten empor, zum alleinigen Gotte, dem sie treu anhingen, im Verderben wie im Tode!

Lange noch weilte ich an dieser Stätte, wie festgebannt. Was ich dann noch sah in tiefer sich in das Innere des Berges verzweigenden Höhlen, den staunenswerthen Calvarienberg mit seinen zahllosen Stalaktiten und all die reizenden und abenteuerlichen Gestaltungen, das Alles vermochte nicht den tiefen Eindruck zu verwischen, den ich in jener durch die Natur gewölbten Kirche von jenem unterirdischen Gottesdienste empfangen. Und als ich endlich in dem Gewimmel der geputzten Menschen das Tageslicht wieder begrüßte, als der Himmel über mir blaute und der Sonnenglanz mich goldig umfloß, da fühlte ich aufathmend und bebend, daß ich eine schöne, heilige Erinnerung von hier mit mir fortnehme für das ganze Leben.

Th. Canisisus.



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