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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

kam sie nun knixend an mich heran, und lud mich ein, ihr zu folgen. „Nur in den ersten Stock, Monsieur,“ setzte sie hinzu, da ich fragend nach dem Dach hinüberblickte, und führte mich dann jenseits des Porcellan-Corridors an den Fuß einer Treppe, die mit so vielen schweren Stoffen umhängt und beschattet war, daß man schier in eine Wolke hinein zu steigen glaubte. Meine Führerin wußte mir indessen durch dieses künstliche Dunkel hindurch zu helfen, und als sie sich schließlich mit der Bitte um ein kurzes Gedulden empfahl, befand ich mich in einem zweifenstrigen, mäßig großen Zimmer, zu dessen erschöpfender Betrachtung mir abermals eine geraume Muße gelassen werden sollte. Genüge hier die Erwähnung, daß die Auswahl der Rococomeubel eine höchst sorgfältige war, daß über dem Pianino unter einem Baldachin eine aus Verviers datirende Improvisation Victor Hugo’s in goldnem Rahmen angebracht war: „les fleurs sont“ etc. etc. von einem Bewunderer des Dichters ihm in kalligraphischer Verherrlichung zugeeignet; daß ferner über dem breiten Kamine zwei Photographien mit der Unterschrift „Victor Hugo, Guernsey 1858,“ hingen, – angetuschte Federzeichnungen phantastischer Art, Burgen mit wehenden Bäumen und Wolken, genial genug, etwa im Geschmacke Salvator Rosa’s; daß endlich auf einem Tische ein Heft mit der Vignette: „Registre de la Bibliothèque,“ und mit dem Zusatze „contenant 1200 volumes“ ausgelegt war, ein Nachschlagebuch, das sich übrigens auf diesen volltönenden Titel beschränkte und kein Inhaltsverzeichniß enthielt. Neben solchen mehr decorativen Dingen war dem Besucher der Anblick zweier Reliquien intimerer Art gegönnt: das Aquarellportrait einer sehr lieblichen jungen Dame, wie ich vermuthe, das Bild der in der Seine ertrunkenen Tochter des Dichters, und davor, auf einer Rocococommode, – wohl der nämlichen wehmüthigen Erinnerung geweiht – der Gypsabguß eines jugendlichen Armes.

Endlich nahten Schritte, der Thür-Vorhang bewegte sich, und Victor Hugo trat ein.

Er ist bekanntlich 1802 geboren, also fünfundsechszig Jahre alt; aber seine äußere Erscheinung straft alle desfallsigen Angaben Lügen. Die Bewegungen des mittelgroßen Mannes sind rasch, sein Gang ist elastisch, seine Haltung völlig ungebeugt, seine Stimme hat frischen Klang, sein dunkles, nicht vorwiegend seelenvolles Auge blickt scharf drein, man glaubt einem vorzeitig Ergrauten von achtundvierzig bis höchstens fünfzig Jahren gegenüber zu stehen. Was seine Redeweise betrifft, so spricht er mit großer Leichtigkeit, ohne gerade wählerisch in seinen Ausdrücken zu sein, oder durch Gedankenblitze zu überraschen. Auch ist es, als ob der lange Aufenthalt unter den ziemlich derben Canal-Insulanern, vielleicht auch das Zurücktreten anderer Einflüsse, die dem Franzosen sonst so eigenartige Formen-Anmuth abgeschwächt hätte. Dabei gewahrt man allerdings sehr bald, daß der prophetisch positive Ton seiner Schriften aus seiner eigensten Natur entspringt. Was ist und werden wird, liegt fertig vor seinen Augen. So und nicht anders muß sich der Weltenlauf gestalten. Einzig das Wann bleibt das Geheimniß der Götter.

Orakelsprüche dieser Art lassen sich nicht füglich wörtlich nacherzählen. Selbst wenn, wie es hier geschah, auf theilweise bereits Gedrucktes hingewiesen wird, also in dem Weiterberichten keinerlei Indiscretion liegen kann, so verbietet sich’s doch – für mein Gefühl wenigstens – aus dem einfachen Grunde, daß eine derartige Wiedergabe all jenes Zaubers der Unmittelbarkeit entbehrt, welche in der lebendigen Wechselrede auch den gewagtesten Aussprüchen noch häufig eine gewisse nüchterne Verständigkeit verleiht. Als Summe der von Victor Hugo vorausgesagten Dinge – meine Einwendungen gehören nicht hierher – sei denn nur kurz erwähnt, daß er Europa auf dem Wege erblickt, sich zu einer einzigen großen Völkerfamilie zu verschmelzen. Dieser Proceß wird sich, da ihm die Sprachgrenzen für die allein vernünftigen Grenzen gelten, durch das Aufkommen „einer Sprache für Alle“ vorbereiten. Anwartschaft auf diese Rolle haben nur drei der jetzt lebenden Sprachen, die deutsche, die italienische, die französische. Die erstere hält Victor Hugo aber für die Italiener für zu schwierig; die zweite wiederum scheint ihm für die Deutschen allzugroße Anstrengungen zu erfordern; somit bleibt als künftige europäische Universal-Sprache das Französische. In dieser Sprache wird – versteht sich nach Beseitigung der Monarchien – in einem künftigen europäischen Parlamente unser Welttheil seine Angelegenheiten berathen und zum Austrage bringen. Dies etwa die Hauptperspective.

Wie bald nun diese Umgestaltung sich vollziehen wird, ist nicht wohl zu bestimmen. Sollte Napoleon morgen gestürzt werden – Victor Hugo nannte ihn immer nur Monsieur Bonaparte – so würde die französische Demokratie morgen der deutschen mit dem Zurufe Aimons-nous! die Hand entgegenstrecken; die deutsche würde diese Hand ergreifen; man würde Freihandel, vollständige Entwaffnung und gleiche Rechte Aller proclamiren; und binnen Kurzem würde die Sonne der Freiheit den Fruchtkern der neuen Verbrüderung zum stattlichen Baume entwickeln. Unter so veränderten Beziehungen würde natürlich auch das kirchliche Leben dann seine Revolution durchzumachen haben, und zwar in derselben Weise, wie die Herrschaft der Freiheit alle übrigen Einrichtungen ohne staatliche Einmischung naturgemäß umgestalten müßte. Wie man jetzt den Arzt rufen lasse und ihm seine Mühe und Leistung bezahle, eben so dann den Herrn Pfarrer.

Ich hatte mancherlei Zweifel laut werden lassen, wie ich vermuthe nicht grade zur Befriedigung Victor Hugo’s, dem es entschieden nicht darum zu thun war, die Ansichten andrer Kreise über diese Materie zu vernehmen. Aber die Annahme, daß sich Europa früher oder später einfach zum Französischen bekehren werde, schien mir denn doch eine so eigenthümliche Auffassung der sämmtlichen andern lebenden und lebenslustigen Sprachen vorauszusetzen, daß ich zum Schluß die Frage nicht unterdrücken mochte, ob Victor Hugo sich denn mit der englischen oder deutschen Sprache vertraut gemacht habe? – „Weder mit dieser noch mit jener,“ lautete die Antwort; „und zwar, was das Englische betrifft, trotzdem ich bereits achtzehn Jahre lang unter Engländern lebe und mit ihnen verkehre. Beweist aber das nicht besser als alles Andere, wie allgemein das Französisch bereits als Universal-Sprache acceptirt ist? Byron hätte in Frankreich nimmermehr mit bloßem Englisch ausgereicht. In Deutschland, höre ich, weiß man in jedem Hotel in unserer Sprache Bescheid zu geben. Und Sie selber, reden Sie nicht mit mir französisch?“ Meine Wißbegierde war nun im hohen Grade befriedigt – und da unser leidiger Sprachenfleiß uns denn schon halbwegs zu Franzosen gemacht hat, so ist es für die Gartenlaube wohl hohe Zeit, sich auf fremde Lettern einzurichten. –




Bruder Fritz.


Ein Bataillon der tapferen Coburg-Gothaer ward am Tage der Schlacht bei Langensalza, deren Jahrestag wir in dieser Woche feiern, von dem preußischen Feldherrn bestimmt, die Eingänge und Thore der Stadt vom Feinde zu säubern und diesen aus den südlichen Vorstädten zu vertreiben. Die Hannoveraner ließen es aber hier noch nicht zu einem ernsten Kampfe kommen, sondern zogen sich nach einigen Schüssen bei der Annäherung der Preußen zurück.

Unsere Freunde hielten am Eingange der Stadt eine kurze Rast, um sich nach einem dreistündigen Marsche in heißer Sonnengluth und im Staub etwas zu erholen. Ein nicht enden wollendes Hurrah- und Jubelgeschrei begrüßte die befreundeten Truppen, aus Hütten und Häusern trugen ihnen die freudig erregten Bürger Labungen aller Art zu und drückten ihnen brüderlich die Hände. Auch ich, einer der Nahewohnenden, hatte mich unter Volk und Krieger gemischt und den letzteren tapfer zugetragen. Als ich eben im Begriffe war, mit den leeren Trinkgefäßen in meine Wohnung zurückzukehren, wurde ich von einem der Officiere, einem hochgewachsenen, schönen, jungen Mann, zurückgehalten und angeredet.

„Mein verehrter Herr,“ sagte er, „ich höre, daß Sie der ..… sind. Mein Vater ist Ihr Standesgenosse. Dies, sowie Ihre soeben an uns bewiesene Menschenfreundlichkeit giebt mir den Muth, eine herzliche Bitte auszusprechen. Es hat dringende Eile, denn in wenig Augenblicken ziehen wir dem Feinde entgegen. Ob ich falle oder davon komme, Gott allein weiß es. Denken Sie, mein jüngster Bruder, mein und aller Liebling daheim, ist unserer Colonne

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verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 410. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_410.jpg&oldid=- (Version vom 29.1.2017)