Seite:Die Gartenlaube (1867) 408.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

über Todtenschädel philosophiren und fragen: „Glaubst Du, Horatio, daß Alexander nach seinem Tode auch so aussah?“ Dabei prasselte der Regen an die großen Atelierfenster, der Sturm heulte und rüttelte draußen an den Läden, ein kalter, unheimlicher Hauch ging durch die hohen Räume und durchfröstelte mich bis in’s Mark.

Kaulbach schien ähnliche Eindrücke zu haben: „Ist’s nicht da drinnen, als sei ich schon gestorben?“

„Wenn schon, das und das und das,“ dabei deutete ich auf die einzelnen Gemälde, „bleibt, das stirbt nicht.“

„So kalt, so öde, so moderduftig, das ist die rechte Stimmung für einen Todtentanz. Da ist das erste Blatt,“ sagte der Meister und stellte den Carton auf die Staffelei.

Es ist ein eigenthümlicher Zug, der durch unsere germanische Natur wie ein rother Faden geht, diese Sehnsucht zum Tode, dieser Hang über die letzten Geheimnisse des Lebens nachzubrüten. Ist doch die Chorea Machabaeorum der immer und immer wiederkehrende Vorwurf gewesen, den unsere Künstler seit dem vierzehnten Jahrhundert sich mit Vorliebe aneigneten und in den verschiedensten Weisen ausführten.

Wie war ich gespannt, als ich von Kaulbach zum ersten Mal das Wort „Todtentanz“ hörte. Daß er, der eine Geschichte der Menschheit mit glühendem Pinsel geschrieben, das größte Geschichtswerk aller Zeiten, den Todtentanz nur in der erhabensten und großartigsten Weise bringen konnte, versteht sich wohl von selbst.

Aber wie??

Da war nun des Räthsels volle Lösung, so unendlich einfach, so still erhaben, so überwältigend tragisch!

Napoleon der Große sitzt vor einer Weltkugel, einen Cirkel in der Hand. Zu seinen Füßen sind die Karten der seinem Schwerte unterworfenen Länder ausgestreut, sein gedankenschwerer Blick starrt finster hinaus in’s Unendliche: „Ihm ist die Erde zu klein, er suchet nach neuen Welten“. Sein Adjutant, der geflügelte Tod, schiebt der einen Spitze des Cirkels als „neue Welt“ einen schauerlichen Globus unter, einen Todtenschädel. Von den mit den Emblemen des Napoleonismus bedeckten Wänden hebt sich als düsteres „mene, mene tekel upharsin“ in scharfen Umrissen das Bild des starren Felseneilandes St. Helena. In dem Ganzen die tiefe, stille Ruhe des Grabes, die ernste Majestät des Todes! Das Bild Napoleon’s, die schönen, stillen Züge, die marmorne Stirn, unter der die welterschütternden Gedanken wohnten, weckt alle die Erinnerungen von einstens; der ganze Groll und Haß unserer Väter, der so oft an dieser ehernen Ruhe machtlos zerschellte, bis er endlich doch den Koloß zerschmetterte, wird lebendig; wieder herauf tauchen die Erinnerungen an die Erzählungen unserer Mütter, denen wir mit kleinen, ängstlich klopfenden Kinderherzen in langen Winterabenden lauschten, jene Erzählungen von den wilden Völkerwanderungen, die im Anfange unseres Jahrhunderts durch Europa rasten und alles Bestehende über den Haufen warfen, von den bärtigen, fremden Männern, die, von der Gluth der ägyptischen Sonne gebräunt, ihrem Adler folgten von den heißen, sonneverbrannten Wüsteneien in Spanien bis in die öden, eisigen Steppen Rußlands, von all’ dem unsäglichen Jammer, von all’ der gräßlichen Noth, die ihren Fußtritten folgten.

Und dieser Adler, dem Alle zujauchzten, als er seinen freudigen Siegesflug über die Welt begann, war dieser Mann; auf sein Geheiß begannen die Völker in Waffen zu wandern von den Pyramiden bis zum Kreml, auf sein Gebot flammten Dörfer und Städte in die Höhe, auf seinen Befehl gingen Millionen in den Tod, durch seinen Willen stiegen Könige von ihren Thronen und Reiche, die für ewig gegründet schienen, verschwanden von der Erde.

Und diesem Mann, der sich allmächtig dünken mußte in der Fülle seiner Kraft und Stärke, diesem Manne, den schon nach wenigen Decennien die Sage mit ihren nebelhaften Schleiern umhüllte und ihn im Volksmunde zum Halbgott machte, nahte doch endlich die ewige Allmacht, mit ihrem ernsten, gewaltigen: „Bis hierher und nicht weiter!“

Der stumme Träger dieser Botschaft, wie ist er gewaltig gezeichnet, der gewaltige Tod! Das ist nicht der Tod,

          „der da lauert am Krankenpfühl
Und das wimmernde Kind auf die Bahre legt;
Nein, der Schlachtenlenker im Kampfgewühl,
Der den Mann und den trotzigen Jüngling erschlägt.“

Am Brande der lodernden Städte hat er sich seine Schwingen versengt, die Kugeln der von ihm zum Morden geführten Schaaren haben seine Gewänder zerfetzt: so bietet der würdige Adjutant des großen Schlachtenlenkers dem Herrscher die neue Welt – den grinsenden Todtenschädel.

Es liegt eine welterschütternde Ironie in diesem Bilde, eine furchtbar ernste Mahnung in ernster, schwerer Zeit.

Wird sie verstanden werden?! –

Dies Blatt steht nicht allein da, es ist nur der Anfang einer Reihe von erschütternden Bildern, auf denen die Großen und Mächtigen dieser Erde mit dem Tode den letzten Reigen tanzen.

Und weil es die sind, die der jüngsten Vergangenheit angehören, die, welche wir zum Theil selbst noch gekannt oder deren abgeschlossenes Leben uns, der Gegenwart, klar genug daliegt, um schon historisch richtig beurtheilt werden zu können, und doch wieder nahe genug, daß wir ein lebhaftes persönliches Interesse daran gewinnen müssen, so wird dieser „Todtentanz“ des großen Meisters jedenfalls eines seiner Werke werden, das in der langen Kette derselben auf das höchste Interesse und die schwerwiegendste Bedeutung Anspruch machen muß und kann.

K. A. Dp–ff.




Ein Besuch bei Victor Hugo.
Von R. Waldmüller (Ed. Duboc).


Verehrer des Dichters Victor Hugo hatten mir’s bei meiner Abreise nach Jersey halb und halb zur Pflicht gemacht, demselben ihre Grüße zu überbringen; mir selbst aber konnte es nur erwünscht sein, für dasjenige, was in seinen Dichtungen mir theils sympathisch, theils antipathisch war, im persönlichen Berühren und Aussprechen eine Ausgleichung zu finden. Einige Wochen nach meiner Ankunft in Jersey erkundigte ich mich deshalb nach seinem Aufenthalt. Mein alter Hauswirth bedeutete mich indessen in ziemlich gereiztem Tone: „Dieser Herr ist nicht mehr hier.“ – „Gott sei Dank!“ fügte seine Schwiegertochter hinzu. Nähere Aufklärung war weder von ihr noch von ihm zu erhalten.

In der Bibliothek von St. Helier fand ich bald darauf Gelegenheit, von einem früheren Gesinnungsgenossen Victor Hugo’s über dessen Verbleiben Auskunft zu erhalten, und jetzt erinnerte ich mich allerdings, vor Jahren schon in den Zeitungen die Ausweisung einer Anzahl französischer Flüchtlinge erwähnt gefunden zu haben. Wie ich glaube, handelte es sich damals um Reclamationen Seitens der französischen Regierung. Es war hinzugekommen, daß einer der in Jersey verweilenden Flüchtlinge, Felix Piat, der Königin Victoria in einem offenen Briefe über ihren Besuch bei Louis Napoleon den Text gelesen, und daß sich eine Anzahl der übrigen Flüchtlinge den Ansichten Felix Piat’s angeschlossen hatte – genug, der englische Gouverneur, im Einverständniß mit einem sogenannten Indignations-meeting, das auf der Place Royale in St. Helier abgehalten wurde, machte von seinem Ausweisungs-Rechte Gebrauch.

Die Schwester-Insel Guernsey ihrerseits beeilte sich, die Ungastlichkeit Jersey’s gut zu machen. Die Etats von Guernsey luden Victor Hugo zur förmlichen Uebersiedelung ein; und da, im Gegensatz zu den Gesetzen Jersey’s, auch den Katholiken die Erwerbung eignen Grundbesitzes auf Guernsey gestattet ist, so folgte Victor Hugo nicht nur dem ehrenden Rufe, sondern kaufte sich sogar auf Guernsey an. Dieses der ungefähre Hergang. Es mögen seitdem etwa zehn Jahre verstrichen sein.

Als ich im vorigen October auf Jersey ankam, hatten bereits die Herbststürme begonnen. Das Meer war sehr unzuverlässig geworden. Die englischen Dampfböte wurden häufig durch Nebel

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 408. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_408.jpg&oldid=- (Version vom 15.3.2017)