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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

standesgemäße, Partie, denn diese Gleichheit gilt Dir ja auch als unerläßlich zu einer guten Ehe – en fin, man bezeichnet sie allgemein als diejenige, welche Dich –“

„Du bist boshaft und hast Adele nie leiden mögen,“ unterbrach ihn der Professor gereizt, „ich fürchte, lediglich aus dem Grunde, weil sie die Tochter des Mannes ist, der Dich sehr streng gehalten hat… Sie ist gutmüthig, harmlos und eine vortreffliche Mutter.“

Er schritt auf die langsam näher kommenden Damen zu und begrüßte sie freundlich.


14.

Es dauerte nicht lange, so war der Kiesplatz belebt von anmuthigen Frauengestalten, die, meist in hellen Muslin oder Gaze gehüllt, wie weiße Sommerwolken, auf- und abschwebten. Die dunklen, steifen Taxuswände gaben einen vortrefflichen Hintergrund für diese graziösen, leichtbeschwingten Wesen; silberhelles Lachen und lebhaftes Geplauder schollen durch die weiche Luft, dann und wann unterbrochen durch eine der sonoren Männerstimmen. Der geladene Kreis war bald vollzählig, man gruppirte sich um den Kaffeetisch und die Arbeitskörbchen wurden hervorgeholt.

Auf einen Wink der Frau Hellwig schritt Felicitas mit dem Kaffeebret über den Kiesplatz.

„Mein Wahlspruch ist: ‚Einfach und billig!‘“ hörte sie die Regierungsräthin in munterem Ton sagen, als sie näher kam. „Ich trage grundsätzlich im Sommer keinen Stoff, der mich über drei Thaler kostet.“

„Sie vergessen aber, meine liebe Frau Regierungsräthin,“ widersprach eine andere junge, sehr geschmückte Dame, während ein boshafter Blick über die gerühmte einfache Toilette glitt, „daß Sie auf diesem billigen Stoff eine Menge gestickter, mit Spitzen garnirter Einsätze tragen, die den Werth der Robe selbst mindestens um das Dreifache übersteigen.“

„Bah, wer wird diesen Duft nach prosaischen Thalern berechnen!“ rief der junge Frank, belustigt den feindlichen Blick auffangend, den beide Damen austauschten. „Man sollte meinen, er trüge die Damen himmelwärts, wären nicht – ja, wären nicht zum Beispiel solche dicke, goldene Armbänder, die unzweifelhaft wieder zur Erde niederziehen müssen!“

Sein Auge haftete mit sichtbarem Interesse auf dem Handgelenk der nicht weit von ihm sitzenden Regierungsräthin; es zuckte wie unwillkürlich zurück, und eine hohe Röthe bedeckte für einen Moment Stirn und Wangen der jungen Wittwe.

„Wissen Sie, meine Gnädige,“ sagte er, „daß mich dieses Armband seit einer halben Stunde lebhaft beschäftigt? … Es ist von prächtiger, uralter Arbeit. Was aber meine Wißbegierde ganz besonders reizt, das ist die muthmaßliche Inschrift, dort inmitten des Kranzes.“

Das Gesicht der Regierungsräthin hatte bereits wieder seine zartrosige Farbe; ihre sanften Augen blickten ruhig auf, während sie unbefangen die Armspange löste und ihm hinreichte.

Felicitas stand in diesem Augenblick hinter dem Rechtsanwalt. Sie konnte bequem den Schmuck in seinen Händen sehen. … Seltsam, es war bis in die kleinsten Einzelheiten derselbe Armring, der im Geheimfach der alten Mamsell lag und ohne Zweifel eine geheimnißvolle Rolle im Leben der Einsamen spielte; nur war er hier von weit geringerem Umfang, er umschloß ziemlich eng das feine Handgelenk der jungen Frau.

„daz ir liebe ist âne kranc,
Die hât got zesamme geben
ûf ein wünneclichez leben“.

las der Rechtsanwalt geläufig. „Merkwürdig,“ rief er, „die Strophe hat keinen Anfang… Ah, es ist ja ein Bruchstück aus den Minnesängern, und zwar aus dem Gedicht ‚Stete Liebe‘ von Ulrich von Lichtenstein; die ganze Strophe lautet in der Uebersetzung ohngefähr:

Wo zwei Lieb einander meinen
Herziglich in rechter Treu’
Und sich Beide so vereinen,
Daß die Lieb’ ist immer neu,
Die hat Gott zusammengeben
Auf ein wonnigliches Leben.

Dieses Armband hat unzweifelhaft einen treuen Cameraden, der ihm eng angefügt ist durch den „Anfang der Strophe,“ bemerkte er lebhaft angeregt. „Ist das Seitenstück nicht in Ihrem Besitz?

„Nein,“ entgegnete die Regierungsräthin und bückte sich auf ihre Arbeit, während der Schmuck von Hand zu Hand ging.

„Und wie kommst Du zu dem sehr merkwürdigen Stück, Adele?“, frug der Professor herüber.

Wieder stieg eine leise Röthe in das Gesicht der jungen Dame.

„Papa hat es mir vor Kurzem geschenkt,“ antwortete sie, „Gott weiß, von welchem Alterthümler es stammt!“

Sie nahm den Schmuck wieder in Empfang, legte ihn um den Arm und richtete dabei eine Frage an eine der Damen, wodurch das Gespräch sogleich eine andere Wendung erhielt.

Während die Aufmerksamkeit Aller auf das interessante Armband gerichtet gewesen war, hatte Felicitas die Runde um den Tisch gemacht; man hatte sich rasch bedient, ohne die Trägerin des Kaffeebretes weiter zu beachten. Sie ging ebenso unbemerkt, wie sie gekommen, nach der Küche zurück. Auf Bitten der kleinen Anna, die sich auf dem schattigen Weg neben dem Hause tummelte, blieb sie einen Moment stehen, griff, Haupt und Oberkörper elastisch zurückbeugend, mit hochgehobenen Armen in die niederhängenden Aeste der zunächststehenden Akazie und versuchte, einen Zweig für das Kind zu brechen… Für eine tadellos gebaute weibliche Gestalt kann es nicht leicht eine vortheilhaftere Stellung geben, als die, in welcher das junge Mädchen für einige Augenblicke verharrte – der Rechtsanwalt nahm plötzlich seine Lorgnette, er war ziemlich kurzsichtig; diese zwei dunklen Männeraugen, die mit sichtlichem Erstaunen auf der jugendlichen Gestalt unter der Akazie hafteten, wurden scharf beobachtet, und zwar von der scheinbar sehr eifrig stickenden Regierungsräthin. Nachdem Felicitas in’s Haus gegangen war, ließ der junge Mann das Glas fallen – er hatte offenbar eine hastige Frage auf den Lippen, mit welcher er sich an Frau Hellwig wenden wollte, aber die junge Wittwe schnitt ihm sofort das Wort ab; sie verlangte Aufklärung über einen Unfall, der ihm auf einer seiner Reisen zugestoßen war, und brachte ihn somit geschickt auf ein Thema, das er selbst sehr gern berührte.

Später erhob sie sich geräuschlos und schritt hinüber nach dem Gartenhaus.

„Liebe Caroline,“ sagte sie, in die Küche tretend, „es ist nicht nöthig, daß Sie drüben bedienen… Ah, ich sehe, da ist ja ein Kaffeewärmer, das macht sich vortrefflich! … Füllen Sie die Kanne mit heißem Kaffee; ich werde sie mitnehmen und das Einschenken selbst besorgen – es ist so gemüthlicher für die Gäste, und – aufrichtig gesagt – Sie sehen zu erbärmlich aus in dem verwaschenen Kattunkleidchen. Wie mögen Sie sich nur in diesem kurzen, abscheulichen Rock vor Männeraugen sehen lassen! ist geradezu unanständig – fühlen Sie das nicht selbst, Kind?“

Der geschmähte Rock war der beste des jungen Mädchens, ihr sogenannter Sonntagsrock. Freilich war er verwachsen und bereits ziemlich mißfarben; aber er war tadellos sauber gewaschen und gebügelt… Daß ihr nun auch das noch zum Vorwurf gemacht wurde, worein sie sich stets stillschweigend und klaglos gefügt hatte, machte sie bitter lächeln; aber sie schwieg – war doch jedes vertheidigende Wort überflüssig und hier geradezu lächerlich.

Als die Regierungsräthin an den Kaffeetisch zurückkehrte, war ein Gespräch, das sie vorhin zu vereiteln gesucht hatte, bereits im vollen Gange.

„Auffallend schön?“ wiederholte Frau Hellwig rauh auflachend. „Pfui, mein lieber Frank, was soll ich von Ihnen denken! … Auffallend, ja, das gebe ich Ihnen eher zu; aber auffallend, wie ein Mädchen nicht sein soll… Sehen Sie sich doch dies blasse Gesicht mit den liederlichen Haaren genauer an! Diese herausfordernden Mienen und leichtfertigen Bewegungen, die Augen, die respectablen Leuten unverschämt und dreist in’s Gesicht starren – das sind Erbstücke einer elenden, zuchtlosen Mutter. Art läßt nicht von Art, und was hinter’m Zaun geboren ist, das wird sein Lebtag nicht ehrbar… Ich hab’s erfahren; neun Jahre lang hab’ ich mir keine Mühe verdrießen lassen, dem Herrn eine Seele zuzuführen – dies verstockte Geschöpf hat alle meine Sorgfalt zu Schanden gemacht!“

„Ach, Tantchen, das ist ja nun bald überstanden!“ begütigte die Regierungsräthin, während sie Kaffee einschenkte und herumreichte. „Noch einige Wochen, und der böse Störenfried verläßt Dein Haus für immer… Ich fürchte leider auch, daß der gute Same auf steinigen Boden gefallen ist – ein edler Zug steckt

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verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 404. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_404.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)